BIG IN JAPAN | Teil 11
  09.08.2021


Mit großen Augen, Kamera, Notizbuch und Stift sowie seinen unübersehbaren 2,08 Meter Körpergröße ist der Stuttgarter Sportjournalist Tom Bloch vor Ort in Tokio bei den Olympischen Spielen und berichtet exklusiv für uns in seiner Serie BIG IN JAPAN.

Arigato gozaimasu, Tokio!

Japaner in Deutschland wollen von mir immer nur das eine: Ein Foto von sich, mit mir. Wegen dem Größenunterschied. Lustig. Insofern war ich gewarnt. Aber in Tokio gab es nur ein einziges Mal eine vergleichbare Situation. Äußerst höflich und respektvoll vorgetragen, durch Midori, einem jungen Mädchen, Volunteer beim Beachvolleyball. Es sei heute ihr letzter Tag. Obwohl ich gerade vom Volleyball herüber hechelte und zu spät zum Viertelfinale von Thole/Wickler war, nahm ich mir natürlich die Zeit. Wir hatten uns ein paar Tage vorher getroffen, als eine Gruppe von Volunteers nach dem letzten Spiel –als jeder nur vorbeieilte, um mit dem Bus so schnell wie möglich ins Hotel zu kommen – aufgeregt eine Gruppe von Zikaden am Baum beobachtete, die sich gerade häuteten. Die meist versteckt tätigen Verursacher des extremen Gezirpes im Shiokaze Park zeigten kurz ihr Antlitz. Die Volunteers versuchten in der Dunkelheit, mit ihren Smartphones das Naturschauspiel zu fotografieren. Die Ausbeute war mager. Auch mir gelangen brauchbare Fotos nur, indem ich mit meinem geschulterten Riesen-Teleobjektiv eine Zikade bei der Metamorphose ablichtete und dafür unter großem Gekichere der Gruppe hinkniete. Wir alle hatten einen schönen gemeinsamen Moment.

Ja, die japanischen Volunteers. Was für eine unglaubliche Hingabe. In sengender Hitze, bei strömendem Gewitterregen. Sie stehen, sie winken, sie lenken, sie lächeln. Immer zuvorkommend und freundlich. Mit einer Disziplin, die so gar nicht wirkt wie Disziplin.

Bei der Schlussfeier im Olympiastadion wurde wieder einmal klar, wie wenig die eigentlichen Akteure der olympischen Spiele wichtig genommen werden. Zum einen die Athleten, von denen sowieso nur noch die da waren, die ihre letzten Wettkämpfe bestritten haben. Zum anderen die Volunteers, die ja selbst bei der Schlussfeier noch im Einsatz waren. Dafür wurde vor jedem feierlichen Akt am Mikrofon durchgegeben, welche wichtige Person jetzt was als nächstes macht, und wieviel Titel oder Olympiasiege diese Person hat. Die Goldmedaille von 1976 vom IOC-Präsidenten Thomas Bach wurde gefühlte zwanzig Mal erwähnt, während viele Athleten am Rande der Veranstaltung im Dunkeln schon längst wieder das Stadion verlassen haben.

In so einer Abschiedsstimmung gehen einem natürlich noch einmal die vielen persönlichen olympischen Momente durch den Kopf. Und es wird bei all den Siegern klar, dass es einen großen Verlierer gibt: Japan und seine Menschen.

Der so wichtige Austausch, das Eintauchen und Kennenlernen einer fremden Kultur und Lebensweise, welches sonst Olympia begleitet und dem Gastgeberland einiges zurückgeben kann, konnte den Zuschauern kaum daheim präsentiert werden, weil sich auch die Journalisten in der olympischen Blase bewegen mussten. Dabei gibt es wohl kein anderes Land, das die größte Veranstaltung der Welt trotz Pandemie durchführen hätte können. Mit einem enormen Aufwand und mit vielen Einschränkungen für jeden Einzelnen. Nur durch entsprechende Vorschriften und der japanischen Perfektion, diese auch entsprechend umzusetzen und zu erfüllen, konnte Olympia überhaupt stattfinden.

Den Journalisten blieb als einziger Kontakt der mit den stets freundlichen Volunteers. Diese eindrucksvollen Erlebnisse haben vor allem eine Denkweise deutlich gemacht: Nicht das „Ich“ ist wichtig, sondern das Wohlergehen des Gegenübers. Egoismus ist in Japan ein Fremdwort. Sich selbst zurücknehmen, Rücksicht auf andere nehmen, Respekt zeigen. Ein Denken, welches in Deutschland gerade in der Pandemie immer weniger zu finden ist.

Arigato gozaimasu, Tokio!

Ich werde Euch vermissen.

BIG IN JAPAN | Teil 11