Stipendium der SportRegion Stuttgart

Kooperation mit dem Olympiastützpunkt Stuttgart

 

Die SportRegion Stuttgart unterstützt die Kampagne „Olympiastützpunkt Stuttgart – Team Paris“ der Fördergesellschaft des Olympiastützpunktes (OSP) Stuttgart. Der olympische Leistungssport in Stuttgart und der Region soll dabei gezielt gefördert werden. Ziel der Kampagne ist es, dass sich möglichst viele der vom OSP Stuttgart betreuten Akteure für die Olympischen und Paralympischen Sommer­spie­le, die im Jahr 2024 in Paris stattfinden werden, qualifi­zieren. In diesem Zusammenhang existiert bereits seit fast zwei Jahrzehnten das Patenschaftsmodell der SportRegion Stuttgart, in dessen Rahmen ausgewählte Sportlerinnen und Sportler gezielt gefördert werden.

Das SportRegion-Stipendium erhalten: Alina Beck (BMX-Radsport), Timo Eder (Turnen), Yannis Fischer (Para-Leichtathletik), Johanna Göring (Leichtathletik), Alina Kenzel (Leichtathletik), Helen Kevric (Turnen), Jello Krahmer (Ringen), Katharina Menz (Judo), Nina Ndubuisi (Leichtathletik), Philip Schaub (BMX-Radsport), Maurice Schmidt (Rollstuhlfechten) und Johnathan Vetter (Bogenschießen).

TOM UND BENNI IN PARIS

Paris-Impressionen vom Tom Bloch und Benjamin Lau

 

Der Sportjournalist Tom Bloch und der Fotograf Benjamin Lau waren in Frankreich vor Ort. In ihrer gemeinsamen Kolumne TOM UND BENNI IN PARIS haben die beiden exklusiv für die SportRegion Stuttgart über ihre Erlebnisse in der Weltstadt an der Seine im Ausnah-mezustand berichtet.

 

Folge 1: Dem Tom sein halbes Six-Pack

Nicht, dass ich mir den Song „New York, Rio, Tokio“ –  das One-Hit-Wonder aus dem Jahr 1986 – als Motto ausgesucht hätte. Aber ich habe tatsächlich zufällig diese Mega-Metropolen genau in dieser Reihenfolge besucht. New York mehrmals in den 80er, 90er und Nuller Jahren. Rio 2016 und Tokio 2021 als akkreditierter Fotograf für Beachvolleyball und Volleyball bei den Olympischen Spielen. Alles unvergessliche Erlebnisse.

Rio, Tokio, Paris.

Nun also die ersten Spiele für mich in Europa. Gut für den Bio-Rhythmus: Das erste Mal ohne Zeitverschiebung.Die Goldmedaillen-Party von Laura Ludwig und Kira Walkenhorst anno 2016 gemeinsam mit dem deutschen Beachvolleyballteam in einer Bar auf dem Dach eines Hotels direkt an der Copacabana war seinerzeit die Krönung meiner dienstlichen Schlaflosigkeit. Die Feierlichkeiten begannen um 3 Uhr früh Ortszeit. Denn das Finale wurde ja erst um Mitternacht angepfiffen, dank NBC, dem wichtigen US-amerikanischen Olympia-Broadcaster, der seinen Einfluss geltend machte, um entscheidende Ereignisse der amerikanischen Bevölkerung zur Prime-Time servieren zu können. Als ich seinerzeit so gegen Sechs zurück in meine Unterkunft bin und mich gerade hingelegt hatte, klingelte das Telefon, denn ein Kollege von den Lübecker Nachrichten wollte Fotos von der Party für eine Sonderseite, die er grad noch fertigmachte. Also, Augen und Laptop wieder aufgeklappt…

Ähnlich lief es in Tokio. Wenn man sein Tagwerk erledigt hatte und das Kopfkissen längst lockte, fuhren bei den Kollegen daheim die Rechner hoch. Und dementsprechend kamen die Anfrage, die man natürlich bedienen wollte. Denn einem freien Journalisten geht es genauso wie den Olympia-Veranstaltern: Irgendwie müssen die hohen Investitionen ja wieder reingeholt werden.

Bonjour Paris! Knapp 500 deutsche Athleten werden bei der 33. Auflage der Neuzeit um individuelle Bestleistungen oder gar Medaillen kämpfen. Dabei wird alles ganz anders als in Tokio – virusbedingt ein Jahr verschoben und ohne Publikum in leeren Stadien.

Die Stadt an der Seine ist seit Wochen im Ausnahmezustand. Für die meisten Venues werden bestehende Strukturen genutzt, was, wie die ersten Bilder zeigen, eindrucksvoll umgesetzt wurde. Beachvolleyball direkt unterm Eiffelturm zum Beispiel.

Zum ersten Mal soll die Eröffnungsfeier auf dem Wasser stattfinden. Eine logistische Herausforderung, bei der den teilnehmenden Athleten wohl noch mehr abverlangt wird als sonst.

Aber auch wie so oft gibt es die unangenehmen Begleiterscheinungen. Die Einwohner wurden aufgefordert, den Sommerurlaub genau in die Olympiazeit zu verlegen und dafür die Stadt zu verlassen. Die Obdachlosen sind längst aus dem Stadtbild vertrieben. Die Angst vor Anschlägen führt zu verschärftesten Sicherheitsmaßnahmen. Und der Protest von Bürgerintiativen gehört eben auch zu Olympia. Und ist selten so kurios wie #JeChieDansLaSeine.

Für mich heißt es: Kurz mit dem Zug rüber an die für 1,4 Milliarden Euro im Vorfeld gesäuberte Seine, statt mit dem Flieger um die halbe Welt. Ein Witz über die Deutsche Bahn geht eigentlich immer. Aber geht jetzt nicht. Denn ich fahre mit dem TGV. Hier also meine Olympische Eröffnungsformel: „Ich erkläre das Packen meiner sieben Sachen für meine Teilnahme an den dritten Olympischen Spielen meiner Zeitrechnung hiermit für eröffnet.“

Tom Bloch

 

Folge 2: Wie ein kleiner Wolf das Olympia-Feuer in mir entfachte  

Schon seit ich ein kleines Kind bin, bedeutet mir Olympia alles. 1984 fanden die Spiele in Sarajevo statt. Damals hieß das Maskottchen Vučko. Es war ein kleiner Wolf, der ganz laut „Sarajevooooo“ brüllte. Das fand ich witzig. Auch das, was man am Fernsehen zu sehen bekam, gefiel mir sehr. So viele spannende Sportarten! Kaum waren die Spiele um, stand mein Entschluss fest: Ich möchte selbst einmal zu den Spielen fahren und dort Medaillen gewinnen – das habe ich damals sogar in Freundebücher eingetragen.

Den entscheidenden Impuls erhielt ich dann vor 12 Jahren, bei den Olympischen Spielen in London. Damals war ich zu Hause in Deutschland und habe es dann einfach nicht mehr ausgehalten – ich wollte auch vor Ort sein und mir das Spektakel als Zuschauer nicht entgehen lassen. Ich bekam tatsächlich noch „Restkarten“ für das Beachvolleyball-Finale der deutschen Männer. Das war so grandios vor der Skyline des alten Londons und mit der Stimmung um einen herum. Ich hatte das Verlangen, die Momente festzuhalten. Mit meiner alten Amateurkamera habe ich damals geknipst und schöne Aufnahmen gemacht.

Auch bei Veranstaltungen im Freien habe ich fotografiert: beim 50-km-Gehen, beim Freiwasserschwimmen, beim Marathonlauf und so weiter – es war ein riesiges Fest!

Spätestens auf dem Rückweg nach Deutschland war mir dann klar: Ich möchte dieses Hobby zum Beruf machen und professionell als Sportfotograf arbeiten!

Ein Jahr später war ich bei der Schwimm-Weltmeisterschaft in Barcelona, wo ich auch das erste Mal die Bestätigung fühlte, dass es meine Leidenschaft ist, die Momente und den Sport bei großen Wettbewerben festzuhalten. Von dieser Faszination habe ich seitdem nichts verloren.

Wenn ich an Olympia denke, dann gehen mir einige bedeutende Momente durch den Kopf, die unvergesslich geblieben sind. Der Zieleinlauf von Dieter Baumann 1992 in Barcelona, bei dem unsere ganze Familie vor dem Fernseher stand und mitgefiebert hat. Oder jüngst auch der Bahnrad-Vierer mit den Weltrekorden aus den bislang letzten Spielen in Tokio.

Während meiner kurzen Leichtathletik-Karriere konnte ich mich zwar nie selbst für die Spiele qualifizieren. Ich habe aber immerhin mit einem zusammentrainiert, der es zu Olympia geschafft hat – mit dem Sprinter Tobias Unger! Das war eine unvergesslich tolle Erfahrung. Und jetzt wird am Ende mein Olympia-Traum doch noch wahr. Wenn auch nicht als Sportler, sondern ganz offiziell als akkreditierter Fotograf.

Welches Highlight wird es wohl diesmal geben? Ich weiß es noch nicht. Ganz sicher werden viele besondere Momente in der Tischtennishalle passieren, schließlich tritt der deutscher Superstar Timo Boll letztmals bei Olympischen Spielen an. Ich bin jedenfalls schon sehr gespannt auf mein Paris-Abenteuer …

Benni Lau

 

Folge 3: Rollin’, rollin’, rollin’  

16.000 Schritte.
Vom Hotel zum Main Press Center zur Beachvolleyball-Arena am Eiffelturm und wieder retour.
Und der Tag ist noch nicht zu Ende.
Da lob ich mir, wenn es rollt beim Laufen.

Aber halt, ich bin ja noch den Kurzbericht meiner gestrigen Anreise schuldig.
Kein Witz mit der Deutschen Bahn, hatte ich gesagt. War aber halt dann doch, wie alle sagen.
Der TGV war eben ein ICE. Und damit war’s klar.
Der rollte erst mal gar nicht.
Verließ Stuttgart mit Verspätung, weil man auf andere, verspätete Züge, warten musste.
In Vaihingen/Enz erster Halt auf freier Strecke, Gleisprobleme.
Umleitung. Karlsruhe-Straßburg-Gare de l’Est.
Wir rollen in Paris ein mit 37 Minuten Verspätung.
Wurscht, sag ich mir, hab eh keine dringenden Termine.
Laissez faire, sagt da wohl der Franzose.

Und schon rollt es weiter:
Am Olympia-Helpdesk im riesigen Bahnhofsgebäude frag ich nach der kürzesten Verbindung zum Main Press Center. Das ist neben den Wettkampfstätten so in etwa das wichtigste Gebäude bei Olympia.
Der freundliche Helfer im Paris2024-Shirt hat keine Ahnung, was ich meine.
Dann sage ich ihm, dass dies im Palais de Congrés angesiedelt sei.
Erhellte Miene. Schwuppdiwupp erhielt ich einen Metro-Freifahrschein.
Ich solle die 4, dann die 1 nehmen. Und zur Sicherheit das Ganze mit Google Maps überwachen.

Also los.
Immer mit Kamera-Rollkoffer (30 kg, zwei Rollen, eine davon schon am Stuttgarter Bahnsteig kaputt gegangen), Klamotten-Rollkoffer (20 kg, vier Rollen, eine irgendwie auch plötzlich den Gummi verloren) und Laptop-Tasche um den Hals (12 kg und ohne Rollen).
Kilometer für Kilometer.
Ta-tak, ta-tak, ta-tak.
Die kaputten Rollen funktionieren, machen aber Geräusche.
Und immer wieder hinstellen, zugreifen, tragen.
Metro bedeutet U-Bahn, bedeutet unterirdisch, bedeutet Treppen.
Treppen runter, durch lange Gänge zum Gleis.
Rollin’, rollin’, rollin’.
Dann wieder durch lange Gänge raus nach oben.

Endlich im MPC angekommen, da rollt alles prima.
Ruckzuck akkreditiert, und damit drin in der Olympischen Blase.
Für diese bekommet die Olympia-Journaille eine Gratis-Card für alle öffentlichen Verkehrsmittel.

Und flugs wieder runter zur U-Bahn. Ab ins Hotel.
Nur da, wo ich vorher rauskam, war jetzt zu.
Rien ne va plus.
Erst mal einen anderen Eingang gesucht.
Dann mit der Metro 1, umsteigen in den Vorortzug RER 4, raus nach Nanterre im Nordwesten der Stadt.
Letzte Etappe meiner Tour de France: Mit den Koffern durch die Straße 800 Meter bis zum Hotel gerollt.
Ta-tak, ta-tak, ta-tak.

Eingecheckt, Zimmer gecheckt: Kühlschrank, Mikrowelle. Super!

Also Google Maps befragt: Supermarkt Franprix in 650 Meter.

Ohne Koffer los.
Eingekauft.
Ein bisschen Obst, Mikrowellenessen, Bier, Rosé aus dem Dreiliter-Schlauch.
Schnellkasse, kurzes Laufband, alles drauf geladen.
Der Kassierer fragt, was danach klingt, ob die vielen Bierdosen, die nicht auf dem Laufband stehen, auch zu mir gehören.
Ich nutze mein Schul- und Gastrofranzösisch: „Oui, c’est mon bière. Pardon, je suis Allemand.“
Dann seh’ ich nur noch Zähne. Der Kassierer lacht herzlich.

Ich lad alles wieder zurück in den Einkaufskorb und frag ihn mutig, ob ich diesen ausleihen könne, um alles rüber in mein Hotel zu bringen.
Er lacht noch herzlicher und sagt so etwas wie: Selbstverständlich, ne pas de problème.
Laissez faire eben.

Ich geh raus und setzt den Einkaufskorb ab.
Und zieh’ ihn über das Kopfsteinpflaster die 650 Google-Maps-Meter zum Hotel. Essen auf Rädern.
Ta-tak, ta-tak, ta-tak.
Von den beiden Rollen am Einkaufskorb ist eine kaputt.

Tom Bloch

 

Folge 4: Why does it always rain on me

Es ist 3 Uhr in der Nacht und ich stehe im Regen von Paris. Morgen findet die Eröffnungsfeier statt, und in meinen Ohren höre ich unaufhörlich dieses ultralaute, kopfzermarternde Piepsen, das direkt aus der Hölle zu kommen scheint. Ich habe meine LA-Lakers-Schlafanzughose an und ein T-Shirt welches mir meine Kinder bemalt haben. Seit 25 Minuten stehe ich da, mitten auf den Straßen von Paris. Ich schaue in den Himmel, und lasse den Tag nochmal Revue passieren.

Rückblick: Ziemlich genau 24 Stunden zuvor habe ich mich von meiner Frau verabschiedet und bin mit dem Auto von Großbettlingen aus in mein Paris-Abenteuer aufgebrochen. Ich will unbedingt früh da sein – so gibt es bei den Olympischen Spielen doch einiges zu regeln, bevor man dann zum Fotografieren an die Box gehen darf.

Als ich um 9 Uhr in den Vororten von Paris ankomme, beginnt auf der Autobahn auch schon der Stau. Während ich auf meiner 08/15-Spur langsam die nächste Toilette herbeisehne, brettern auf der Spur links von mir im Minuten-Takt irgendwelche schwarze Limousinen vorbei, eskortiert von Polizei mit Autos und Motorrädern und natürlich Blaulicht und Sirene. Diese fahren auf einer eigens gesperrten Fahrbahn, welche nur für PARIS 2024 gesperrt wurde.

Näher am Zentrum fallen mir dann als erstes die vielen Soldaten und Polizisten in der Stadt auf. An vielen Kreuzungen nahe den Spielstätten stehen Dutzende Bewaffnete, mit Maschinengewehr im Anschlag und Finger am Abzug; bereit, das Schlimmste zu verhindern.

Um 11 Uhr komme ich schließlich müde im Süden von Paris an. Dort erlebe ich den ersten Schock! Der gebuchte Parkplatz in der Tiefgarage wird von der Polizei gebraucht. Kein Problem! Vor dem Hotel gibt es auch Parkplätze. Auf Nachfrage stellt sich allerdings heraus, dass diese 5-Mal so teuer sind wie mein ursprünglicher Platz. Welch ein Ärger, hatte ich mich doch gerade wegen den günstigen Parkmöglichkeiten für eine Reise mit dem Auto entschieden. Da hätte ich ja gleich mit dem Taxi kommen können!

Hotel und Parken sind also erstmal abgehakt, Der nächste Anlaufpunkt ist also die Wettkampfstätte gleich um die Ecke. Hier darf ich noch ein wenig beim Spiel unserer Handball-Damen gegen Südkorea mitfiebern. Ein wirklich spannendes Match, bei dem unsere Mädels am Ende doch noch eine unerwartete 22:23 Niederlage hinnehmen müssen.

Also weiter ins Pressecenter der Paris Süd Arena auf dem Messegelände. Eine große Halle mit vielen Absperrbändern und noch mehr freundlichen Volunteers. Hier kann ich den gültigen Presseausweis abholen und dann geht es ab ins Hotel. Während sich meine Asia-Nudel-Snack (zwei Pfefferschoten) gerade seine vorgeschriebenen 3 Minuten Zeit nimmt, habe ich die Zeit meinen Presseausweis etwas genauer zu begutachten. Hierauf sind jede Menge Abkürzungen vermerkt.

  • EPs | bedeutet Sportartbezogen (bei mir Tischtennis)
  • 4 | bedeutet Pressebereich
  • MPC | bedeutet Zugang zum Main Press Center in der Innenstadt
  • TC | Transport, also freie Fahrt in ganz Paris

Aber was bedeutet TKW? Ich öffne meine Lupen App am Handy schaue im Superkleingedruckten auf der Rückseite nach. Schock. TAEKWONDO? Das kann nicht sein! Ich lasse meine Nudeln stehen und eile im Sprint zurück zum Pressecenter an der Venue. Nach einigem hin und her stellt sich heraus, dass hier auf die Schnelle nichts zu machen ist, und ich auf jeden Fall Hilfe brauche, und so verbringe ich die nächste Stunde am Telefon und frage nebenher schonmal Google nach den Regeln beim Taekwondo. Das darf doch nicht wahr sein. Zum Glück habe ich viele freundliche Menschen vom Deutschen Olympischen Sportbund an der Leitung, die nun versuchen aus TKW ein TBT zu zaubern. Allerdings ist die Aussage erstmal: versprechen können wir nichts! Ich muss mich also bis zum nächsten Tag gedulden. Quelle merde!

Oh man, und dann habe ich ja auch noch diese Einladung zum Fotografen-Treffen! In der Mail steht: „Dies ist eine großartige Gelegenheit, sich mit Kollegen aus aller Welt zu treffen, bei Getränken und Essen inmitten der Wunder eines der verborgenen Juwelen von Paris – einem Jahrmarktsmuseum, dem Musée des Arts Forains. Nehmen Sie teil am Spaß der Jahrmarktsspiele und Attraktionen der Jahrhundertwende.“ Zudem wollte ich mich dort mit meinem Kolumnen-Partner Tom treffen. Hilft ja alles nichts. Heute kommen eh keine Neuigkeiten mehr rein, und schlafen kann ich ja später noch. Also ab in die Metro!

Eine Stunde später am Musée des Arts Forains angekommen bietet sich mir ein traumhaftes Ambiente. Plötzlich finde ich mich inmitten eines riesigen Jahrmarkts aus uralten Zeiten wieder. Und aus all den Attraktionen, Karussells und antiken Kulissen ragt einer schon von weitem Heraus – Tom.

Ich freute mich unheimlich, es doch noch hierher geschafft zu haben und mich mit vielen bekannten Fotografen und all den „Alten Hasen“ aus aller Welt austauschen zu können, Geschichten von vergangenen Spielen zu hören und mir auch den ein oder anderen Tipp abzuholen. Ich komme mir etwas vor wie als Kind am ersten Tag auf einer neuen Schule. Dies ist sicher ein schöner Abschluss für einen chaotischen Tag, der nach einer langen Metrofahrt ans andere Ende der Stadt totmüde um 1 Uhr nachts endet.

Und so stehe ich nun, nach kurzem Schlaf, wie zu Beginn dieser Kolumne geschrieben im Regen von Paris. Zwischen all den Leuten in Ihren Schlafanzügen suche ich die Fenster nach Rauch ab. Das brutale, schmerzhafte Piepsen des Feueralarms verursacht fast schon körperliche Schmerzen, oder habe ich etwa Tinnitus? Trotz alledem kann ich mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Es ist schon lustig, was sich der ein oder andere im Halbschlaf so alles Wichtige mitgenommen hat. Eine Frau im Kleid und gemachten Haaren steht mit Sonnenbrille neben einem fast nackten Mann. Ich bin mit gerade nicht mehr sicher. Meine Gedanken kreisen. Zum Glück wird heute für mich doch noch ein Parkplatz gefunden. Inzwischen habe ich auch die Nachricht, dass der Fehler auf der Akkreditierung ohne Probleme korrigiert werden kann. Nach einer guten halben Stunde präsentiert uns die Feuerwehr einen defekten Wasserkocher und beendet den Alarm, und sogar die Handballdamen haben noch eine Chance auf die Finalspiele. Alles gut also! Jetzt können die Spiele wirklich beginnen!

Benni Lau

 

Folge 5: Dabei sein ist alles  

Dabei sein ist alles, ist so ein abgenudelter Ausspruch, wenn es um Olympia geht. Der im Grunde aber natürlich stimmt. Soooo viele Athleten schaffen es ja nicht zu den Wettkämpfen der Jugend der Welt. Und für die, die es geschafft haben, gibt es nur wenig Medaillen zu gewinnen. Und die Nationen, die den Sport oder die jeweilige Disziplin nicht fördern, bekommen eben noch weniger Medaillen. Aber darauf will ich jetzt gar nicht hinaus.

Mir geht es nämlich darum: NICHT dabei sein ist alles.
Nämlich bei der Eröffnungsfeier.
Das ist mein Motto.
Aus Gründen.

Was sich bei Paris 2024 früh abzeichnete, war ein gigantischer Kampf um die Sicherheit der Teilnehmer. Lange Anreise, Kontrollen, Polizei und Armee in höchster Konzentration und bei martialischem Auftreten.

Die Journalisten- und Fotografenplätze waren streng limitiert.
Zehrende Schulungen im voraus nötig.
Um dann, was keiner ahnen konnte, (und offenbar auch bei den Veranstaltern niemand in Betracht zog), ungeschützt im Regen zu sitzen. Stundenlang.

Nicht dabei sein, ist alles.

Vorausahnend, das die Teilnahme an der Eröffnungsshow durchaus kompliziert werden könnte, entschied ich, wie einst in Rio 2016 gemeinsam mit der Beachvolleyballerin Britta Büthe, die Eröffnungsfeier gemütlich im Deutschen Haus zu verfolgen. Nun ja. Bis ich dann letztendlich drin war, hat es – nach Akkreditierung, Schwierigkeiten dabei, erneuter Akkreditierung, dann erneuter Sicherheitskontrolle durch freundlich deutsche Polizisten – doch auch 90 Minuten gedauert, bis ich drin war. No problem, am ersten Öffnungstag läuft eben noch nicht alles rund.

Bin ich denn schon drin, oder was? Ich bin drin!

Und da gibt es das große Aha-Erlebnis.

Was heißt hier Deutsches Haus!
Ein ganzes Stadion hat das TeamDeutschland vor Ort eingenommen!
Auf dem (Rugby-)Spielfeld die riesige Bühne für Livebands und Stream, davor zahlreiche Mitmach-Angebote, oder Zonen zum Ausruhen und Rumfläzen. Hier hat jedermann Zutritt für einen Obolus von 20 Euro.

Und im Businessbereich des Rugby-Clubs SF Paris im Stade Jean-Bouin gibt es für Athleten, geladene Honoratioren, Sponsoren und täglich 60 Journalisten eine erstklassige Verpflegung, Interviews, und allerlei Chi-Chi. Die Athleten selbst haben in einem weiteren, abgesperrten Bereich, noch zusätzlich einen temporär aufgebauten Kraftraum zur Verfügung, eine Sauna und andere Möglichkeiten, sich einmal total auszuklinken und zurückzuziehen. Und feiern im Deutschen Haus im besten Fall eine rauschende Medaillenparty.

So sieht’s aus. Die Zeit vergeht wie im Flug. Gegen 19 Uhr wird es dann ein wenig unruhig, denn viele fleißige Hände decken das Buffet auf für das gemeinsame Abendmahl.

Ganz gschamig-zurückhaltender Gast natürlich bin ich unter den ersten 20, 30, bevor die Schlange ewig lang wird. Gemeinsam (wie die Orgelpfeifen) hinter Fußballweltmeister Thomas „Icke Häßler“ und seinem Sohn.
Also 208 cm, 166 cm und geschätzte 140 cm.
Was dort aber nicht weiter auffällt. Denn mit in der Schlange tummeln sich auch die Handballer Oliver Roggisch (202 cm) und Andy Wolff (198 cm), die zu ihrer Größe auch noch eine muskulär bedingte Breite mitbringen. Und irgendwo war auch Reck-Star Fabian Hambüchen (163 cm). Den hab ich aber aus den Augen verloren…

Zusammengefasst also der ideale Platz für die Eröffnungsfeier.

  • Vorteil 1: Oberamtliche Speisen und Getränke
  • Vorteil 2: Ganz aktuell: Dach überm Kopf

Aber irgendwas is ja immer.
Kommen wir also zu den Schattenseiten.

Zum einen, sind dies individuelle Personen unter all den Anwesenden. Menschen nämlich, die man kennt, rein zufällig vor Ort trifft, und sich dann verquatscht. Kolumnen-Kollege Benni Lau zum Beispiel. Oder Hannes Haßpacher, Medien-Chef des Schwäbischen Turnerbunds.

Und man dann eben doch nicht so viel auf den Bildschirm schaut.

Zum anderen ist es der Zeitplan. Denn am nächsten Morgen beginnt für mich das Volleyball-Turnier. Photographer-Briefing 7.30 Uhr. Anreisezeit ca. 65 bis 75 Minuten, je nachdem, wie schnell ich am frühen Morgen laufen kann.

Also bin ich, trotz Hefeweizen vom Fass, die Vernunft in Person und verlasse das Deutsche Haus, äh, Stadion, frühzeitig.

22:30 Uhr. Der Olympische Eid ist noch nicht gesprochen, die Olympische Flagge (falschrum) noch nicht hochgezogen. Ich stehe im Nieselregen an der Bushaltestelle der Linie 52 und beginne den Transport von mir selbst ins Hotelbett.

23:45 Uhr. Licht aus. Matratzenhorchdienst.

Der um 0.28 Uhr jäh beendet wurde.

Beide Rauchmelder piepsen mir nen Tinnitus.
Und hören nicht auf.
Ich stolpere durchs Zimmer, greife Geldbeutel, Smartphone und Akkreditierung, und begebe mich den allgemeinen Evakuierungsweg nach unten, direkt in die Hotellobby.
Dort sammeln sich verstört dreinschauende Menschen aller Couleur, und, nun ja, auch der späten Tageszeit geschuldet, in entsprechender Verfassung. Und Kleidung.

Die sich die Ohren zu halten.

Dazu die lustigen Noch-nicht-im-Bett-Gewesenen an der Hotelbar, die angesichts der illustren Gesellschaft ihr Handy zücken und die verschlafenen, unfrisiert und ungeschminkten Erscheinungen filmen. Nach ein paar Minuten ist der Spuk zu Ende. Der diensthabende Nachtportier hat dies mit der bereits vor dem Hotel parkenden Polizei besprochen. Wir dürfen wieder in die Betten, bzw. wie die Kollegen, einfach weiter an der Bar sitzen bleiben.

Aber wirklich: Nicht dabei sein, wäre jetzt alles gewesen.

Tom Bloch

 

Folge 6: Return To Sender

Das frühe Ausscheiden unseres deutschen Tischtennisteams im Mixed-Doppel verschafft mir unerwarteterweise etwas mehr Zeit an diesem Tag. Diese nutze ich am Vormittag spontan für eine Olympia-Fotochallenge. Mit einem befreundeten Fotografen habe ich mich verabredet, um mit der Metro einige der speziell für Olympia „beringten“ Sehenswürdigkeiten zu besuchen und zu fotografieren – natürlich auch das Olympische Feuer. Dieses brennt freischwebend unter einem Ballon im Jardin des Tuileries zwischen dem Place de la Concorde und dem Louvre.

Dabei möchte ich noch zwei Dinge erledigen. Diese sind von unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad. Die einfache Sache: eine Postkarte, die an meine Familie nach Deutschland gehen soll, einwerfen. Die schwierigere Aufgabe: Ich benötige Feinmechanik-Werkzeug, da sich eine Schraube an meinem 300-mm-Teleobjektiv gelockert hat. Mal sehen, ob das klappt!

Als wir uns am Vormittag direkt neben dem Olympiakomplex Arena-Süd vor dem Hotel meines Bekannten treffen, scheinen mehrere Morgen-Sessions im Volleyball, Handball und Tischtennis gleichzeitig zu Ende gegangen zu sein. Denn Menschenmassen strömen zur Metro, und wir beschließen kurzerhand, unser erstes Foto-Ziel, den Eiffelturm, auf Schusters Rappen anzusteuern. Keine fünf Minuten unterwegs mogelt sich tatsächlich ein Schaufenster mit den Großbuchstaben QUINCAILLERIE zwischen die unzähligen Cafés und Boulangerien. Die Auslagen lassen keinen Zweifel aufkommen – dies ist ein Werkzeugladen! Mit dem passenden Minischraubendrehermäppchen verlasse ich zwei Minuten später das Geschäft. Perfekt! Aufgabe eins erledigt – und zwar schneller als erwartet.

Weiter geht es zum Arc de Triomphe. Um diesen kreist der berühmte mehrspurige Kreisverkehr, der schon vielen Touristen zum Verhängnis geworden ist. Und auch die Volunteers aus aller Welt, welche für Fahrdienste eingesetzt werden, dürfen hier ihre Meisterprüfung ablegen. Mir wird es schon vom Zusehen schwindelig. Was für ein Gewusel!

Unser nächstes Ziel, der Ballon mit dem Olympischen Feuer, ist von hier aus schon deutlich zu sehen. Die kilometerlange Pariser Prachtstraße, Avenue des Champs Élysées, führt geradewegs in Richtung Louvre, vor dessen Toren der Ballon schwebt. Allerdings müssen wir noch durch einige Sicherheitskontrollen durch, bevor wir endlich an unserem wichtigsten Foto-Ziel angekommen sind.

Leider versperrt uns ein Zaun den direkten Weg zum Ballon. So schauen wir mit hunderten anderen Schaulustigen aus gut 200 Metern Entfernung auf die Flamme, die der US-Rapper Snoop Dogg erst kürzlich hierhergetragen hat. Trotzdem bin ich zutiefst beeindruckt, denn der Ballon erinnert an den ersten bemannten Flug der Menschheitsgeschichte, der 1783 hier stattgefunden haben soll. Dann steigt der Ballon hell erleuchtet 60 Meter hoch in den Nachthimmel von Paris.

Zurück im Hotel blicke ich auf meine Uhr und stelle fest, dass ich über 23.000 Schritte zurückgelegt habe. Sauber. Kurz noch alles verstauen und dann geht’s zur Tischtennis-Halle. Aus meinem Rucksack fische ich neue Verpflegung, mein neu erworbenes Werkzeug und eine Postkarte. Stimmt, da war ja noch was! Die zweite Aufgabe!

Die Post an die Daheimgebliebenen bin ich leider immer noch nicht losgeworden. Weder im Hotel, wo sie, warum auch immer, keine Postkarten annehmen, noch draußen auf der Straße. Denn die gelben, französischen Briefkästen, die nicht viel anders aussehen als unsere in Deutschland, sind zwar vorhanden, aber unbrauchbar gemacht worden. Ein Brett verriegelt stets die Öffnung zum Einwerfen. Ein Schild informiert in französischer und englischer Sprache, dass der Briefkasten aus Sicherheitsgründen gesperrt sei. Überrascht bin ich darüber nicht. Denn egal ob Einheimische, Touristen oder Olympia-Teilnehmer – mittlerweile haben sich schon alle an die vielen Absperrungen, Einschränkungen udn Sicherheitsmaßnahmen gewöhnt. Dann geht die Suche eben weiter ...

Benni Lau

 

Folge 7: Shit happens  

Shit happens. Genau darum geht es. Beziehungsweise, was da drin steckt, im „Shit“. In der Scheiße.
Escherichia coli und Enterokokken nämlich.
Die gibt’s eigentlich überall und selbst im menschlichen Körper.
Aber zu viel davon, ist halt blöd.
Weil diese winzigen, gar nicht putzigen Gesellen, Infektionen fördern.
Zum Beispiel in Gewässern.
Zum Beispiel in Gewässern, die für Olympische Wettbewerbe vorgesehen sind.

Deshalb sind die Triathlon-Schwimmtrainings ausgefallen und der Wettkampf selbst musste sogar verschoben werden. Im Ernstfall, so hört man, gibt es am Ende vielleicht nur einen Duathlon. Da hilft es nicht, wenn doch gerade erst Bürgermeisterin Anne Hildago in der Seine geschwommen ist. Denn die Werte werden an mehreren Stellen jeden Tag frisch bestimmt. Und wenn die Belastung zu hoch ist, geht halt gar niemand ins Wasser. Da hilft auch keine offizielle Athleten-Akkreditierung.

Klar, kann man sich darüber lustig machen: 1,4 Milliarden Euro hat die Stadt Paris im Vorfeld in die Aufbereitung des Abwassersystems gesteckt. Und trotzdem isses ein Satz mit X.

Oder man geht der Sache auf den Grund.
In den Untergrund.

Dafür gibt es sogar ein Museum, das Musée des Égouts.
Natürlich direkt an der Seine.
Natürlich direkt angeschlossen an das Abwassersystem der Metropole.

„Wenn wir Glück haben, sehen wir auch ne Ratte“, sagt Museums-Direktor Benjamin Raigneau auf der Tour unter der Erdoberfläche und lacht herzlich. Weil eben die im Vorfeld groß angekündigte wieder erlangte Sauberkeit der Seine nun doch nicht eingetroffen ist, haben viele Journalisten aus aller Welt die Chance genutzt, sich auf eine zufällig im Begleitprogramm der Stadt ausgeschriebene Besichtigung des Pariser Abwassersystems zu begeben.

Und diese Journalisten haben große Sorge.
Nicht wegen der Bakterienbelastung.
Sondern um mich, den hochgewachsenen Deutschen.
Dass, Shit happens, ich mir bei dem Untergrundspaziergang den Schädel stoße.
Menno, dabei bin ich doch damit groß geworden, mich zu bücken.

Und so lachen alle, wenn ich durch Türrahmen, durch lange niedrige Gänge oder unter dicken Rohren durchtauche. Unter anderem sorgt sich auch Islam aus Bangladesch, der „Ronny“ genannt wird, und sofort ein Foto mit mir will, weil er noch nie so einen großen Menschen gesehen hat.

Ohne hier jetzt zu sehr ins Detail zu gehen: In dem größten zusammenhängenden Abwasser-System Europas fließt alles zusammen, was rund 12 Millionen Bürger täglich produzieren. Dazu noch das Regenwasser. Wenn dann auf einmal zu viel Masse durch die Rohre rauscht, gehen automatische Schieber auf, und alles fließt direkt weiter – natürlich ungeklärt – in die Seine.

Genau dieser Prozess wurde durch die teuren Maßnahmen vor Olympia auf ein Minimum reduziert. Die zahlreichen, idyllisch an der Seine liegenden Hausboote, wurden allesamt an die Kanalisation angeschlossen. Die riesigen Kläranlagen noch riesiger, und am Bahnhof Gare d’Austerlitz wurde ein gigantisches unterirdisches Regenrückhaltebecken in der Erde versenkt. „99,xx Prozent der belastenden Bakterien können wir jetzt herausfiltern“, sagt der Herr Direktor.

Nun ist aber das Wetter genauso wenig regulierbar wie die Verdauung. Weil die Eröffnungsfeier mal so richtig ins Wasser fiel, und sehr viel Regenwasser in kürzester Zeit in die Kanalisation floss, strömte eben wieder ein Teil der Abwässer ungeklärt in die Seine: Koli- und Enterokokken-Bakterien schwammen sozusagen um Olympisches Gold. Deshalb dürfen jetzt keine Sportler ins Wasser. Doch Museumsdirektor Benjamin Raigneau sieht das völlig entspannt. „Sobald es nicht mehr regnet, erledigt das System das Problem von selbst. Man darf die Selbstreinigungskraft von Fließgewässern nicht außer Acht lassen.“

Er vertraut Fakten. Und weniger Politikern, die mehr oder weniger medienwirksam in die Seine hüpfen. Schon Jacques Chirac, einst Bürgermeister von Paris bevor er Staatspräsident wurde, prophezeite anno 1988, dass die Probleme angegangen werden und er in drei Jahren in der Seine baden gehen würde. „Das ist er natürlich nie“, sagt Direktor Raigneau.

Unabhängig von den Olympischen Spielen herrscht bei Raigneau und dem Team der Abwasserbeseitigung Zuversicht. Schon im nächsten Jahr sollen drei öffentliche Bade-Spots in der Seine eröffnet werden. Olympiade hin oder her.

Also alles halb so wild.
Nur, ein nachhaltiges Ergebnis hat das Abtauchen in den Untergrund auch bei mir hinterlassen.
Jedes Mal, wenn ich jetzt auf der Toilette sitze, denke ich an das, was dann anschließend damit passiert.
Shit happens.

Tom Bloch

 

Folge 8: Wundertüte Nordkorea

Als Sportfotograf habe ich schon viele Tischtennis-Partien gesehen und kenne zahlreiche Spielerinnen und Spieler aus der Vergangenheit. Viele Akteure, die in Paris starten, habe ich nicht zum ersten Mal vor der Linse und kann die Siegchancen bei Duellen oft gut einschätzen. Überraschungen erlebe jedoch auch ich – heute zum Beispiel in Form des nordkoreanischen Tischtennis-Teams, das in Paris ganz schön für Furore sorgt.

Im Mixed-Doppel schlägt Nordkorea nacheinander Japan, Schweden und Hong Kong, ehe im Finale China zu stark ist. Im Frauen-Einzel beendet Pyon Song Gyong in der dritten Runde vorzeitig die Olympia-Reise von Deutschlands Nina Mittelham. Die Erfolge kommen unerwartet,  nahm Nordkorea doch bei den letzten Spielen in Tokio pandemiebedingt nicht teil, wodurch die letzten olympischen Auftritte bereits acht Jahre zurückliegen.

Dass Tischtennis vor allem in Asien beliebt ist, ist bekannt. Unabhängig davon weiß man wenig darüber, wie die Sportart in Nordkorea praktiziert wird. Wie wird dort überhaupt trainiert? Isolation und mangelnde Möglichkeiten, sich in internationalen Duellen mit anderen zu messen, sind schließlich nicht die besten Voraussetzungen für Erfolg. Oder ist gerade das der Überraschungseffekt, der damit oft für Unberechenbarkeit sorgt? Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass die Nordkoreaner mithilfe einer Art Fernstudium die Spielweisen internationaler Topspieler hinter den Kulissen analysieren und imitieren – und zwar solange, bis jeder Aufschlag sitzt.

Deutlich sichtbar ist dagegen der Kulturschock, dem die Nordkoreaner in Paris ausgesetzt sind. Besonders dann, als sie in der Halle daran scheitern, das turnierübliche Selfie mit dem Smartphone aufzunehmen. Denn als ihnen ein Mobiltelefon in die Hand gedrückt wird mit der Aufforderung, ein Selbstbildnis zu erstellen, wirken sie irritiert. Offensichtlich haben sie so etwas noch nie gemacht.

Ihrem sportlichen Erfolg steht dies allerdings nicht im Weg. Dieser ist umso erstaunlicher, da Teilnahmen Nordkoreas an Turnieren des Tischtennis-Weltverbandes ITTF eher die Ausnahme sind. Und wenn sie mal irgendwo auftreten, dann sieht man sie danach in der Regel nicht wieder. Die Karrieredauer der meisten nordkoreanischen Tischtennisspieler ist übersichtlich.

Es bleibt ungewiss, welche Rolle das Land in Zukunft einnehmen möchte, und auch wie es künftig wahrgenommen wird. Schon bei der Eröffnungsfeier sorgte ein kleiner Fauxpas für angespannte Gemüter, als Südkorea als „Democratic People's Republic of Korea“ präsentiert wurde – dies ist die offizielle Bezeichnung Nordkoreas. Eine kleine Verwechslung, die für viel diplomatischen Wirbel gesorgt hat. Ein befreundeter Journalist fasst das Thema Nordkorea passend zusammen: „Ich weiß, dass ich darüber absolut nichts weiß!“

Benni Lau

 

Folge 9: Bow wow wow, yippy yo, yippy yay!

Olympia in Paris heißt: Es geben sich auch zahlreiche Stars quasi die Klinke in die Hand. Nicht nur als Ehrengäste oder gar Fackelträger bei der Eröffnungsfeier. Sondern eben auch als ganz normale Zuschauer bei den einzelnen Wettbewerben.

Tom Cruise war beim Schwimmen, Lady Gaga beim Turnen, Rapper Flavor Flav beim Wasserball, Bill Gates beim Tennis, Mick Jagger beim Fechten. Gesehen wurden auch schon die Hollywood-Regisseure Stephen Spielberg und Spike Lee, Schauspielerin Charlize Theron und auch Nicole Kidman mit Keith Urban und Familie. Auch ehemalige Weltklasse-Athleten schauen sich die Wettkämpfe an wie zum Beispiel Michael Phelps oder Serena Williams. Paris, the place to be.

Jemand, der immer wieder auftaucht, ist die schillernde Rapper-Legende Snoop Dogg, der als offizieller NBC-Korrespondent Paris unsicher macht und dabei auch die Spiele 2028 in seiner Heimatstadt Los Angeles promotet. Bei der Eröffnung war er als Fackelträger im Einsatz, aber auch bei den einzelnen Events zeigt er sich immer wieder.

Als Journalist ist es gut, wenn man Informanten hat. Und wenn man diese pflegt. Und so ein „Vögelchen“, das ich bereits in Tokio kennengelernt hatte, zwitscherte mir am Morgen, dass irgendwann zwischen 14 und 15 Uhr, zum Beachvolleyball-Spiel der US-amerikanischen Medaillenanwärterinnen Sara Hughes/Kelly Cheng, besonderer Besuch kommen würde.

Bow wow wow, yippy yo, yippy yay.

Snoop Dogg himself würde dann also „in da house“ sein. Diese vertrauliche Information enthielt auch, dass Snoop auf den speziellen Plätzen, die für die Kommentatoren reserviert sind, das Spiel anschauen werde.

Damn! Klarer Fall für einen Paparazzi wie mich!

Ab 14 Uhr bin ich bereit. Beobachtet die Szenerie. Denn mir ist klar, dass Snoop einiges auf der To-do-Liste haben würde bei so einem Termin. Und vor allem um sich herum eine Brigade, die ihn abschirmt.
Und genauso kommt es dann auch.

Ich bemerke, wie ein Kamerateam sich im Pressezentrum fertigmacht.

Leute, die bislang noch nie beim Beachvolleyball unterm Eiffelturm waren. Dann ziehen sie los und platzieren sich draußen bei 39°C im Schatten. Immer wieder checke ich, ob sie noch da sind. Und auf einmal sind sie weg.

Mein Startzeichen.

Ich klettere die steilen Treppen flugs hoch zu den Kommentatorenboxen.

40 Minuten vor Spielbeginn, gleißendes Sonnenlicht, brutale Hitze.

Mir ist klar, dass hier niemand demnächst Platz nehmen wird. Außer die ersten Zuschauer, die zum Session-Beginn ins Stadion kommen.

Aber ich sehe auch ein paar Volunteers, die mit großen Sonnenschirmen einerseits sich selbst schützen, andrerseits die blauen Tribünensitze beschatten, damit diese nicht so heiß werden, wenn man sich hinsetzt. Aha. Spezialservice also.

Auf einmal schirmt Security alles ab. Alle müssen die Fläche vor den Boxen räumen.

Da hilft es, wenn man diese finster drein schauenden Herrschaften längst kennt. Weil man sie jedes Mal grüßt, wenn man vorbeikommt. Und mich merkt man sich dann halt doch. Zudem hilft natürlich meine Akkreditierung und meine Fotoweste.

Sie lassen mich in eine leere Kommentarenbox passieren, obwohl ich da eigentlich keinen Zutritt habe. Und plötzlich sehe ich den Leibhaftigen auf dem Bildschirm in der Box. Die Gangsta-Rap-Legende steht in amerikanischen Farben gekleidet unten im Sand, unter Schirmen geschützt, und gibt ein Interview für NBC, redet über Beachvolleyball und seine Lieblinge Hughes/Cheng, die ihm Gold nach Hause bringen sollen.

That’s what’s up.

Dann kommt Unruhe auf.

Zuschauer haben ihn entdeckt, zücken Smartphones, und rufen. Snoop läuft mit seinem Tross unbeirrt wieder raus aus dem Stadion, trifft an der Ecke aber noch ein paar Offizielle, die mit ihm Selfies machen dürfen. Ich überlege, ob ich für meine Fotos auch schnell wieder absteigen soll.

Das würde allerdings mehrere Minuten dauern. Dann wäre er weg, denke ich.

Nein, ich vertraue meinem Tokio-Freund.

Harre der Dinge. Und tropfe.

Bei dieser Hitze wird er seinen Auftritt in der Menge kurz vor dem Spielbeginn machen. Und dann wieder ins Kühle verschwinden. Da bin ich mir sicher.

Wenn er kommt, dann kurz vor dem Anpfiff. Oder eben halt gar nicht.
Auch das ist Olympia. Verpasste Chancen.

Die Security-Leute um mich rum haben sich längst schon wieder entspannt. Zuschauer stehen oben bei den Kommentatorboxen im Umgang, machen Selfies von sich und dem Eiffelturm. Und genießen die Stimmung.

Der Moderator beginnt mit seiner Show. Die Athletinnen ziehen in die Arena ein und schlagen sich ein. Und mein graues T-Shirt hat sich längst dunkelgrau gefärbt unter der 100%-Polyester-Fotoweste.

Plötzlich geht alles ganz schnell. Security-Personal wächst wie Pilze aus dem Boden, schirmt einen Weg mit Spannbändern ab, der direkt zu den Sitzplätzen bei den Kommentatorenboxen führt.

Genau zu den Sitzplätzen, vor denen ich stehe.Das Kamerateam von vorher und noch ein paar Menschen um ihn rum, die ihn abschirmen, führen ihn an seinen Platz.

Riesiger blauer Regenschirm, rote Schlumpfmütze, blau-rot-weißer Trainingsanzug, und ein Ventilator in der Hand.

Manche Zuschauer erkennen ihn. Er winkt nur kurz und kümmert sich nicht weiter.

Dann beginnt unten im Sand die Show. Vorstellung der vier Spielerinnen. Der DJ legt „Drop it like it’s hot“ auf. Und stellt den besonderen Gast vor.

Alle schauen hoch zu ihm. Snoop gibt den Schirm ab, fängt an zu tanzen und macht einfach „his thaaang“.

Die Menge steht Kopf. Und ich direkt vor ihm und drücke den Auslöser. Dann beginnt das Spiel, Snoop und sein Tross verschwinden wenig später – genauso schnell wie er kam.

Und ich sitze im Pressezentrum, sichte meine Fotos, und grinse, und in meinen Ohren klingt es:

Bow wow wow, yippy yo, yippy yay.
Snoop Doggy, Dogg!

Tom Bloch

 

Folge 10: Der Schläger der Nation

Beinahe wäre ich in Paris zu Chinas Staatsfeind Nummer eins geworden. Dass es dazu nicht kam, habe ich meinem Bauchgefühl zu verdanken. Aber der Reihe nach …

Beim Mixed-Finale entschließe ich mich dazu, nicht etwa wie üblich direkt am Spielfeldrand Platz zu nehmen, sondern von der Pressetribüne zwischen den Zuschauerrängen aus, das Endspiel zu fotografieren. Letztlich setzt sich das favorisierte chinesische Duo Wang Chuqin und Sun Yingsha durch. Doch zumindest der männliche Part des siegreichen Teams ist nach dem Finale überhaupt nicht gut drauf. Im Gegenteil. Die Stimmung ist im Keller!

Wang Chuqin ist zwar gerade Olympia-Sieger geworden, hat aber dennoch ganz schlechte Laune. Fassungslos steht er da in der großen Halle und schaut auf seinen Schläger. Der ist kaputt. Wang Chuqin schüttelt den Kopf – wie konnte das nur passieren?

An dieser Stelle muss erwähnt werden, wie wichtig den Tischtennisspielern, die auf Topniveau spielen, ihre Schläger sind. In der Regel tauschen sie diese nie! Es kommt immer derselbe zum Einsatz. Immer! Zwar haben alle Akteure Ersatzschläger parat, die kommen aber tatsächlich nur im äußersten Notfall zum Einsatz. Nämlich dann, wenn der Stammschläger aus welchem Grund auch immer nicht genutzt werden kann. Und genau dieser Fall ist in Paris eingetreten.

Was genau ist denn nun passiert? Direkt nach dem letzten Ballwechsel jubelt das siegreiche chinesische Duo über den Olympia-Sieg. Doch die Freude währt nicht lange. Die Fotografen verlassen sofort nach dem letzten Ballwechsel ihre Positionen und versuchen verständlicherweise das bestmögliche Bild zu machen. Sie sind dabei nicht zimperlich und betreten einige Bereiche, die für sie eigentlich tabu sind. Survival of the fittest. Das beste Bild gewinnt.

Dann passiert das, was niemals hätte passieren dürfen. Im Eifer des Gefechts tritt ein Fotograf auf Wang Chuqins Schläger. Sicherlich keine Absicht. Als Fotograf steht man in solchen Situationen mitten in der Masse und hat nicht mehr die komplette Kontrolle über sich und seine Position. Es wird eben geschubst und gedrängelt. Man konzentriert sich komplett auf das, was man fotografieren möchte.

Die Auswirkungen sind in diesem Fall jedoch verheerend. Der Schlägergriff ist gebrochen; der Schläger somit nicht mehr zu gebrauchen. Chuqins Trainer eilt sofort herbei. Hält den kaputten Schläger dem Fotografen direkt vors Gesicht. Die Botschaft ist unmissverständlich: Was hast du nur getan!

Wang Chuqin ist nicht irgendein Spieler. Er ist die Nummer eins der Weltrangliste, China seit Jahrzehnten die dominierende Nation. Folglich macht die Meldung in der Tischtennis-Szene schnell die Runde.  So wie man 2010 vor der Fußball-WM nach der Ballack-Verletzung von „Deutschlands Wade der Nation“ sprach, ist nun von „Chinas Schläger der Nation“ die Rede.

Innerhalb kürzester Zeit erhalte ich zahlreiche Nachrichten. Und in wirklich jeder geht es dabei um Wang Chuqin und um die Frage, ob ich denn etwa der „böse Schläger-Kaputt-Treter“ sei. Ich kann die Leute beruhigen. Denn glücklicherweise habe ich die Szene von der Tribüne aus beobachtet. Nicht mittendrin also, sondern nur irgendwie dabei.

Die Sache bleibt nicht ohne Folgen. Tags darauf scheidet Wang Chuqin mit seinem Ersatzschläger in der zweiten Runde des Herren-Einzels aus. Sein Gegner, Truls Möregårdh aus Schweden, setzt sich in sechs Sätzen durch. Wangs kaputter Schläger habe keinen Einfluss auf die Partie gehabt, behauptet der siegreiche Möregårdh hinterher. Ich bin da anderer Meinung. Beide Akteure hatten zuvor achtmal gegeneinander gespielt. Achtmal hieß am Ende der Sieger Wang Chuqin.

Benni Lau

 

Folge 11: Under pressure

Dies ist die Geschichte vom kleinen Self-Service-Drucker im großen Pressezentrum unterm Eiffelturm. Und die geht so: Im so genannten Venue Media Center VMC, also dem Pressezentrum, steht ein Drucker, extra beschriftet: „Self-Service Printer.“ Aus Nachhaltigkeitsgründen wird bei Olympia auf Papier verzichtet. Wer aber trotzdem Informationen ausdrucken will, kann das an diesem Drucker, vorausgesetzt, man hat diesen auf seinem Rechner installiert.

Die Anweisung daneben, wie man ihn über das vorhandene Netzwerk mit seinem eigenen Rechner verbindet, ist zwei DIN A4-Seiten lang. Dabei wird beschrieben, dass man während der Druckerinstallation den am Drucker aufgeklebten Namen („EIF-Q1BOBPW-005“) eingeben soll. Nur halt nicht so, wie es auf dem Aufkleber steht. Sondern die Buchstaben alle kleingeschrieben. Und zusätzlich soll man die Endung „.otn.infra-dt.com" anfügen.

Hätte man ja eigentlich gleich auf das Label drucken können, welches am Drucker angeklebt ist. Aber gut.

Ich mach mich an die Installation, genau laut Anleitung. Und will anschließend ausdrucken. Der Drucker piepst einmal. Mehr nicht. Kein Papier kommt raus. Keine Fehlermeldung leuchtet auf.

Eine der freundlichen Volunteers sieht mich am Drucker stehen und will mir helfen. Sie weiß zu berichten, dass es schon früh Probleme gab und sie extra einen IT-Spezialisten geholt hätten, der meinte, jetzt würde alles wieder gehen. Aber selbstverständlich würde sie mir sofort wieder Hilfe besorgen.

Ich gebe ihr zu verstehen, dass das überhaupt nicht notwendig  sei. Weil ich eines gelernt habe bei Olympia: Selbstorganisation ist Gold wert.

Dennoch, etwa eine halbe Stunde später steht ein sehr erfahren aussehender Franzose mit Sonnenbrille auf der Nase und Smartphone in der Hand am Drucker, gehüllt in eine weiße Weste. „IT-Service“ steht hinten aufgedruckt. Er scrollt sich die Finger wund in seinem Smartphone, weil er in zahlreichen Screenshots die richtigen Informationen finden will. Findet aber nix. Dann zeig ich ihm, wie weit ich bisher gekommen bin.

Er gibt mir zu verstehen, dass ich ja einen Mac hätte. Und das wäre natürlich ein Sonderfall. Hmmmmh.

Ich verweise auf die Kollegen im Pressezentrum. Es gibt glaub ich keinen Fotografen, der keinen Mac besitzt. Nun gut.

Er telefoniert. Kurze Zeit später stehen gleich fünf junge Leute da. Alle sprechen gleichzeitig, und einer hackt sofort auf der Tastatur meines Rechners herum. Weit kommt er aber nicht. Denn mein Mac spricht Deutsch, ich wenig Französisch und die Jungs kein Englisch.

Kommt mir langsam alles Spanisch vor.

Lange Diskussionen. Kurzer Prozess.

Er  macht dasselbe nochmal, was ich bereits vorgenommen habe.

Und sagt: Voilá! Und strahlt.
Ich sag: Moment. Erst drucken wir eine Seite aus.
Die kommt raus und er sagt: Voilá!
Ich sag: Moment.

Zu recht. Denn plötzlich kommt noch ne Seite, und noch eine, und noch eine. Und noch eine. Keiner weiß, wie man den Drucker stoppt, der immer eine Zeile Hieroglyphen druckt, und dann eine neue Seite startet. Bis einer der Jungs einfach die Papierkassette rauszieht. Während dann vier Mann den produzierten Papierstau beseitigen, telefoniert der fünfte.

Und plötzlich steht Torea Lehartel da. Ein Mann in offizieller Olympia-Kleidung, mit wichtigem Funkgerät ausgestattet, im Besitz von englischen Sprachkenntnissen, und: Ahnung!

So muss der IT-Gott aussehen.

Torea gibt mir souverän zu verstehen, dass er das Problem kenne, die Lösung aber illegal sei. Denn er dürfe nicht an Rechner anderer Menschen Änderungen vornehmen.

Dennoch schnappt er sich mein Macbook, geht online und installiert den passenden Treiber. Nun ja. Hätt ich auch selbst drauf kommen können. Aber ich habe eben brav die zwei Seiten Anweisung abgearbeitet.

Dann geht alles ganz schnell.
Er gibt den Druckernamen ein. IN GROSSBUCHSTABEN wie auf dem Label.
Und ohne diese vermaledeite Endung. Dann verknüpft er Rechner, Druckertreiber und Drucker.

Wir schicken einen Ausdruck ab, der tatsächlich auch langsam aus dem Drucker läuft.

Eine Seite. Komplett richtig und perfekt gedruckt. Und ohne Papierstau.

Wir alle lachen.

Und ich mach auch Druck.

Und zwar auf den Auslöser.

Es sind solche kleinen Geschichten, die Ereignisse wie Olympische Spiele groß machen.

Nachtrag: Einen Tag später kommt Beachvolleyball-Olympiasieger Jonas Reckermann mit seinem iPad zu mir, der hier vor Ort die Spiele für das ZDF kommentiert. Er habe gehört, ich könne den Drucker installieren …

Tom Bloch

 

Folge 12: Enjoy The Silence!

Heute steht zur Abwechslung zunächst einmal Golf auf meinem Programm. Und das nicht etwa in offizieller Mission. Da ich an diesem Vormittag frei habe, habe ich mir Eintrittskarten gekauft und bin tatsächlich als „ganz normaler Olympia-Fan“ unterwegs. Als ich den Preis höre, den ich für meine Golf-Tickets zu zahlen habe, bin ich baff. 26,50 Euro – welch ein Schnäppchen! Den Schwaben in mir freut das sehr. Denn bei der Fußball-Europameisterschaft hätte ich damit vor ein paar Wochen sicher keines der 51 Spiele zu sehen bekommen und auch hier in Paris kosten die meisten Tickets deutlich mehr als das, was ich für mein Golf-Erlebnis bezahle.

Zunächst einmal genieße ich die Ruhe auf dem Gelände. Eine Woche lang habe ich jetzt täglich die Tischtennis-Stars begleitet. Mit einem unglaublichen Lärm in der Halle. „China, China!“, brüllt der eine Fan-Block. „Allez les Bleus!“, dröhnt es aus der anderen Ecke. So etwas habe ich zuvor in dieser Intensität noch nicht erlebt. Die Kollegen haben teilweise Oropax in den Ohren oder nutzen Kopfhörer mit Noise Reduction, um sich gegen den Lärm zu schützen.

Als Fotograf ist es da nicht immer einfach, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Zumal ständig die La-Ola-Welle durch die Halle schwappt. Von angeblich zurückhaltenden Asiaten bemerke ich nichts. Die chinesischen Fans rasten komplett aus! Die Franzosen sowieso.

Hier beim Golf in Saint-Quentin-en-Yvelines, rund 40 Minuten vom Zentrum entfernt, ist es anders. Der Platz heißt LE GOLF NATIONAL und zählt zu den schönsten Europas. In der Nähe von Schloss Versailles gelegen, ist es eine unglaublich schöne, gepflegte Anlage mit vielen Wasser-Hindernissen, auf der man sich als Zuschauer frei bewegen kann.

Auf dem Golfplatz merke ich, wie schön es ist, zur Abwechslung mal im unteren Dezibel-Bereich unterwegs zu sein. Damit auch keiner auf die Idee kommt, hier Remmidemmi zu machen, halten Volunteers Schilder hoch, auf denen das Motto des Tages zu lesen ist: Quiet Please!

Ein weiterer Vorteil: Während ich in den vergangenen Tagen einen enormen Stress hatte, um ja nichts zu verpassen, kann ich jetzt das Event in vollen Zügen genießen. Kein Druck. Entspannung und Natur pur. Die leisen Töne überwiegen hier. I enjoy the silence.

Ich laufe ein wenig mit den deutschen Startern mit. Dann setze ich mich einfach ins Gras, direkt neben den Greens, und schaue den Profis beim Putten zu. Ich merke, wie ich mich entspanne. Die richtige Abwechslung zum „Runterkommen“ vom Trubel der vergangenen Tage.

Am späten Nachmittag heißt es für mich wieder: zurück in die Tischtennis-Halle. Im Finale des Damen-Einzels stehen sich zwei chinesische Spielerinnen gegenüber – und ich bin wieder als Fotograf im Einsatz. Titelverteidigerin Chen Meng setzt sich gegen Sun Yingsh durch. Die Fans auf der Tribüne rasten aus. „China! China!“, dröhnt es stakkatoartig. Weit über 100 Dezibel – ein Wahnsinn! Toll, dass so eine Stimmung beim Tischtennis möglich ist.

Kurz denke ich an den Vormittag zurück. Dort die Ruhe, hier der Lärm. Ich grinse. Wie vielfältig Olympia doch ist. Genau so, wie es sein soll. Advantage Paris!

Benni Lau

 

Folge 13: Here comes the train again ...

Die Métro. Wikipedia erklärt mir, dass das Wort Métro die Kurzform von Chemin de fer métropolitain ist und die erste Linie im Juli 1900 anlässlich der Weltausstellung eröffnet wurde. 124 Jahre später stellt das Netz mit knapp 250 Kilometern Gesamtlänge und 404 Haltepunkten in 320 Stationen eines der größten der Welt dar. Rein rechnerisch benutzen etwa 4,3 Millionen Menschen pro Tag die Pariser Métro. Und ich. Gemeinsam mit meinem Foto-Rollkoffer.

Gerade so. Denn in manchen Haltestellen sind die unterirdischen Gänge maximal 2,10 Meter hoch, wie sogar auf Schildern steht. Das heißt: Beachvolleyballer Nils Ehlers (2,11 m) oder Hallenvolleyballer Tobias Krick (2,13 m) passen nicht mehr rein. Aber ich, hehe.

Mein Hotel ist rund 500 Meter von der RER-Haltestelle Rueil-Malmaison entfernt. Und dann bin ich mitten drin im System aus Bahnsteigen, Treppen, Verbindungsgängen, größeren Einkaufszentren und Anschlussmöglichkeiten.

Zum Main Press Center, zum Volleyball im Süden im Porte des Versailles, zum Beachvolleyball unterm Eiffelturm, zum Deutschen Haus im Rugby-Stadion Stade Jean-Bouin – nie bin ich länger als eine Stunde unterwegs (aber auch nie kürzer): allein in der Métro, mit Millionen Pariserinnen und Pariser. Eine bunte vielfältige Welt. Das System erinnert mich an das Subway-System in Manhattan.

Nur, überall stehen Polizisten. Um die Venues, die Olympischen  Veranstaltungsstätten, sind Absperrgitter, Parkverbote und großräumige Straßensperren errichtet. An jeder Ecke steht die Police Nationale in martialischem Outfit und mit Maschinenpistolen um den Hals.

Man könnte teilweise sogar noch näher ranfahren, darf man aber nicht. Abgesperrt, und ja, richtig, Polizei. Die Straßenbahn T2, die direkt zum Place de la Porte Versailles (Volleyball, Tischtennis, Handball - jetzt Gewichtheben) fährt, endet während Olympia zwei Stationen vorher. Ein simpler Holzpodest beendet die Fahrt. Aus Sicherheitsgründen. Den restlichen Weg läuft man dann halt, rund ein Kilometer weiter bis zum Beginn des weitläufigen Geländes.

Allerdings ist man trotzdem meist schneller unterwegs als mit dem angebotenen Olympischen Bus-Service der Veranstalter, den ich in Tokio im Jahr 2021 wegen Corona zwangsnutzen musste und seinerzeit hier vorgestellt und beschrieben habe.

Hach, und der Gesundheit tut es doch auch mal gut, täglich unterwegs zu sein bis die Socken qualmen. Mein Smartphone piepste heute morgen mit einer Nachricht: Du hast in den letzten 13 Tagen durchschnittlich eine längere Gesamtstrecke zurückgelegt.

Was für eine Untertreibung! „Eine längere“ – pffffff. Mehr als doppelt so viel, Smartass Smartphone, lauf ich durch die Pariser Ober- und Unterwelt. Bis zu 15 Kilometer täglich!

Und je nach Tageszeit fahren hunderte bis tausende Menschen mit. Ölsardinengleich pressen sich Einheimische, Olympia-Touristen, Journalisten und Volunteers an jeder Haltestelle rein oder wieder raus. Festhalten im Zug ist nicht notwendig. Das erledigt die Masse Mensch von alleine. Sobald man drinnen ist, steht man. Und schwitzt so vor sich hin. Nur selten gelingt es, sich einen Sitzplatz zu ergattern.

Außerdem habe ich meinen Rollkoffer bei mir. Kann aber gut sein, dass ich meine Ausrüstung, immerhin rund 25 Kilogramm, bald tragen muss.  Die Rollen am Koffer sind für die Pariser Kilometer nicht gemacht und lösen sich immer mehr auf (den Beginn des Verfalls habe ich in der dritten Folge dieser Kolumne beschrieben).

Mittlerweile fühl ich mich schon wie ein echter Métro-Profi. Laufe zügig, weil ich weiß wohin. 

Steige in den Zugabschnitt ein, von dem ich weiß, dass beim Aussteigen die Rolltreppe direkt gegenüber ist.

Und dann steige ich ganz vorne in die Métro ein, weil da erstens immer Platz ist, und zweitens beim Ausstieg die Treppe nach oben beginnt.

Nur heute früh, da lief es gar nicht rund.

Sehe auf der Anzeigetafel, dass der Zug in einer Minute am Bahnsteig einfährt, werde schneller, und halte meine Karte ans Drehkreuz. Nix piept. Ich bleibe hängen.

Gut, nehme ich halt das nächste daneben. Geht auch nicht.

Dann fluche ich, dann schaue ich die Karte an.

Dass mit dem Métro-Profi bedarf dann doch noch weiteres Training. Mit der Chipkarte vom Hotelzimmer geht halt eben auch nur die Hotelzimmertüre auf.

Tom Bloch

 

Folge 14: Promi-Party am Ehrentag!

Wie jeden Morgen klingelt der Wecker unbarmherzig. Nach einer Woche Paris fällt mir das Aufstehen an jedem Tag schwieriger. Zweimal drücke ich die Schlummertaste, dann gebe ich schließlich auf und stehe auf. Wie jeden Morgen lege ich eine Kapsel in die Kaffeemaschine, die Morgenroutine beginnt.

Dabei ist dieser Tag ein ganz besonderer für mich! An dem morgendlichen Ablauf in Paris merke ich das zwar nicht, doch erinnert mich ein Blick aufs Handy, dass heute doch nicht alles so ist wie sonst! Die Anzahl der Nachrichten, die ich erhalte, ist deutlich höher als an den anderen Tagen.

Wäre ich jetzt zu Hause, würden meine Kinder und meine Frau mit Wunderkerzen und einem Geschenk vor dem Bett stehen und mir ein Geburtstagslied trällern. Hier in meinem kleinen Zimmer spricht hingegen nur der TV-Mann, der die Olympia-Höhepunkte des Vortages aus französischer Sicht kommentiert. Ich gebe zu: ein wenig Heimweh setzt ein.

Für mich heißt es jetzt – funktionieren! Ab ins Bad, anziehen, geladene Akkus in die Kameras einlegen, Fotorucksack packen. RING! Plötzlich klingelt das Telefon. Videoanruf von zu Hause! Ich nehme ab und sehe sofort Wunderkerzen, meine beiden Mädchen und meine Frau. „Happy Birthday to you, happy Birthday to you“, wird in Deutschland gesungen. Ich strahle und freue mich sehr.

Wie schön! Meine Töchter halten mir selbstgebastelte Geschenke in die Kamera. Ich bin tief gerührt und fühle mich kurz wie zu Hause. Eine ganze Stunde verbringen wir gemeinsam am Telefon, ehe ich losmuss. Schweren Herzens lege ich auf.

Ich beeile mich, denn heute möchte ich früh in der Halle sein, um einen guten Platz auf der Pressetribüne zu ergattern. Schließlich ist Finaltag und es geht um die begehrten Medaillen!

An der Halle angekommen, muss ich aber zunächst einmal warten. Bei vielen Medienschaffenden verweigert der Scanner den Zugang zur Sportstätte. Auch das noch! Die Schlange wird länger und länger. Irgendwie spricht sich herum, dass ich heute Geburtstag habe und so wird die Wartezeit genutzt, um mir zu gratulieren. Meine Stimmung hellt sich langsam wieder auf.

Die nächsten fünf Stunden bin ich dann im „Final-Tunnel“. Ich möchte die Tischtennis-Spiele heute so gut wie möglich einfangen und dafür benötige ich die volle Konzentration. Im Anschluss schicke ich die Fotos schnellstmöglich raus und schwuppdiwupp ist es ist auch schon 18 Uhr.

Der Abend hat eine besondere Überraschung für mich parat. Ich darf ins Deutsche Haus. Das hat jetzt zwar nicht direkt etwas mit meinem Geburtstag zu tun, dennoch freue ich mich, meinen Ehrentag mit ganz besonderen Gästen zu feiern. Zehnkampf-Star Leo Neugebauer ist genauso anwesend wie die Bogenschützen Michelle Kroppen und Florian Unruh sowie die Dressur-Experten Isabell Werth, Jessica von Bredow-Werndl und Frederic Wandres. Auch wenn ich definitive Sehnsucht nach meiner Familie habe, muss ich sagen: So prominente Gäste waren noch nie bei meiner Geburtstagsfeier anwesend.

Benni Lau

 

Folge 15: Allumer Le Feu – Zünde das Feuer an

Also, wir Deutschen wollen ja unbedingt auch mal wieder dran sein und Olympische Spiele in unserem Land ausrichten. Jetzt hat der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) in Person seines Präsidenten Thomas Weikert gemeinsam mit Bundesinnen- und Sportministerin Nancy Faeser sogar ein Memorandum unterzeichnet, stilecht im Deutschen Haus, während der Spiele in Paris.

Lassen wir mal weg, dass in der Erklärung der Ministerin Faeser auch schon wieder Deutschlands heilige Kuh König Fußball vorkommt, der im olympischen Reigen eher eine kleinere Rolle spielt. Aber, um eine Sportnation zu sein, braucht es wirklich mehr Einsatz und Förderung, als alle vier Jahre auf den Medaillenspiegel zu schauen und hernach zu diskutieren, warum man erneut nur eine hintere Platzierung eingenommen hat.

Den wichtigsten Punkt, den Faeser angesprochen hat, ist die Begeisterung. Und da hat sie vollkommen recht.

Die Einwohner Paris wollen Olympia, das spürt man hier überall. Ob Volunteer oder einfacher Bürger, alle leben Paris 2024. Aus jeder Pore. Keine Straßenzug in der Metropole, in dem nicht irgendwo das Logo der Spiele zu entdecken ist.

Sobald man mit einer Akkreditierung um den Hals in der Stadt unterwegs ist, wird man angelächelt. Und kaum bleibt man stehen und schaut etwas verloren, wird einem sofort geholfen, der Weg erklärt oder darauf hingewiesen, dass Taschendiebe unterwegs sind und man auf seine sieben Sachen aufpassen solle.

Wir sind das Volk, heißt es bei uns gerne. Ja, das Volk muss es wollen. Die Begeisterung für so ein Sportereignis muss von den Bürgern ausgehen.

Und natürlich müssen gleichzeitig Sportler auf dem Weg dorthin unterstützt und gefördert werden. Was da alles bei uns im Argen liegt, wird seit Jahren eher diskutiert als geändert.

Frankreich hat seit seiner Nominierung über Jahre hinweg große Summen in die Sportförderung gesteckt, was sich jetzt schon vor dem Ende der Spiele im Medaillenspiegel ausgewirkt hat – wenn man sich dieses Argumentes bedienen möchte. Gleichzeitig wurde der Schul- und Breitensport gefördert bzw. ausgeweitet, Spiel- und Sportplätze renoviert oder neu errichtet. Ja, es wurde ein Hype gestartet.

Wir sind das Volk: Die letzten schwarz-rot-goldenen Bewerbungen für Olympia sind genau daran gescheitert. Die Bürgerentscheide in München 2013 für die Winterspiele 2022 sowie in Hamburg 2015 für die Sommerspiele 2024 haben eine deutliche Sprache gesprochen. Der Dämpfer hat lange Jahre gewirkt, lässt aber langsam nach.

Schon bei den großartigen European Championships in München 2022 wurde jeder Sportler im Interview darauf angesprochen, ob es nicht toll wäre, wieder mal Olympische Spiele in Deutschland zu haben. Nur muss man das „Wollen“ eben auch wollen.

Leider wurde jetzt, um beim Fußball zu bleiben, ein Ball einfach auf dem Elfmeterpunkt liegen gelassen: Wenige Tage nach der Unterzeichnung des oben genannten Memorandums war der Herr der Ringe, IOC-Präsident Dr. Thomas Bach, höchstpersönlich kurz Gast im Deutschen Haus. Dazu zahlreiche internationale Vertreter des Internationalen Olympischen Kommitees (IOC), also des Gremiums, das über die Vergabe von Spielen entscheidet.

Auf derselben Bühne, auf der Nancy Faeser gemeinsam mit dem DOSB wenige Tage zuvor das Memorandum unterzeichnet hat, steht Thomas Bach sowie ein paar Vorzeigesportler wie Beachvolleyball-Legende Laura Ludwig oder Alaa Maso aus Syrien, ein Vertreter des Olympischen Flüchtlingteams. Aber: kein einziges Wort über eine deutsche Bewerbungsabsicht kommt den DOSB-Vertretern über die Lippen. Nur ein paar Nettigkeiten werden ausgetauscht. So, als ob man dem Herrn Bach, der ja nicht nur allmächtiger IOC-Präsident, sondern schließlich auch Deutscher ist, nicht in Verlegenheit bringen wolle – aufgrund seiner Nationalität.

Die breite Brust, die fehlt. Ein Wir sind das Volk fehlt auch bei den Anfeuerungsgesängen in den Stadien.

Deutschland! Klatsch, klatsch, klatsch.
Deutschland! Klatsch, klatsch, klatsch.
Deutschland! Klatsch, klatsch, klatsch.

Lahmer geht es nicht.

Die Franzosen singen. Aus voller Kehle. Ganze Stadien bilden Chöre. Und die meisten sind text- und melodiesicher.

Das rockige „Allumer Le Feu“ von Johnny Hallyday lässt einem jedes Mal Gänsehaut wachsen, bei 36° Grad im Schatten.

Bei den Anfeuerungen „Allez les Bleus“ vibriert das Stadion. Selbst das weniger einfallsreiche „U-S-A“, reißt sofort jeden anwesenden Amerikaner mit. Und ja, oft wird das gegnerische Team auch ausgepfiffen. Darüber lässt sich streiten. Aber, auch das ist Begeisterung.

Deutschland! Klatsch, klatsch, klatsch. Ein bisschen mehr Einfallsreichtum schaffen wir vielleicht gerade mal im Fußballstadion.

Laut Memorandum favorisiert die Bundesregierung das Jahr 2040 für die Spiele in Deutschland – 50 Jahre nach der deutschen Einheit.

Bis dahin ist ja noch viel Zeit. Bis dahin ist eigentlich kaum noch Zeit.

Allumer Le Feu.

Tom Bloch

 

Folge 16: Der letzte Tanz

Es kommt nicht oft vor, dass man live dabei ist, wenn Geschichte geschrieben wird. Ich habe Glück und darf in Paris einen solchen Moment erleben. Und zwar aus nächster Nähe.

Es ist kurz nach 22 Uhr. Die Halle tobt. Schwedens Männer haben im Tischtennis-Viertelfinale so eben Deutschland bezwungen. Anton Källberg reckt die Faust in Richtung des jubelnden schwedischen Königspaares, welches sich inmitten der Fans befindet. Durch den klaren 3:0-Sieg ist Källbergs Team ins Halbfinale eingezogen und somit ganz nah dran an den begehrten Medaillen.

Dann wird es auf einmal ganz still. Timo Boll, der deutsche Superstar, steht auf der anderen Seite des Tisches. Für einen Moment steht er ganz ruhig da, fast in sich gekehrt. Die Gefühlswelten der beiden Sportler könnten kaum unterschiedlicher sein. Denn es ist klar: Das war gerade Bolls letztes Spiel im Nationaltrikot.

Timo Boll ist nicht irgendein Spieler. Er ist das Gesicht des deutschen Tischtennissports. Phasenweise Weltranglistenerster. Einer der wenigen Europäer, die in Chinas Superliga gespielt und dort den Titel geholt haben. Menschen weinen teilweise, wenn sie ihn auf der Straße erkennen. Ein großer Sportsmann zudem, der Schiedsrichterentscheidungen mitunter zu seinen Ungunsten korrigiert, da ihm Fairplay wichtiger ist als der sportliche Erfolg. 

Eine absolute Legende des Sports hat soeben ihren letzten Ballwechsel mit dem Nationalteam absolviert. Einer der größten deutschen Sportler tritt ab. Ein anderer, im wahrsten Sinne des Wortes „großer“ Sportler applaudiert auf der Tribüne. Basketball-Star Dirk Nowitzki sitzt im Publikum. Beide eint, dass sie bei Olympia Fahnenträger waren. Nowitzki führte 2008 in Peking das deutsche Team an, Boll 2016 in Rio.       

Nach den beim Tischtennis obligatorischen Handshakes mit Schiedsrichtern, Trainern und Spielern sitzt Timo Boll einfach nur da, ehe sich die Halle erneut erhebt. „Tiiiimo, Tiiimo“, schallt es durch die Halle. 6.500 Zuschauer verneigen sich noch einmal vor Timo Boll. Es ist, das wissen alle, sein letzter Tanz.

Ihren allerersten Olympia-Tanz absolviert hat hingegen eine junge deutsche Tischtennisspielerin – Annet Kaufmann aus Bietigheim-Bissingen, die eigentlich gar nicht zum Einsatz kommen sollte und zunächst nur als Eratzfrau vorgesehen war. Doch dann ist alles ganz anders gekommen. Bei Deutschlands bester Tischtennis-Spielerin Ying Han riss die Achillessehne. Annet Kaufmann rückte nach. Dann verletzte sich auch noch Nina Mittelham. Auf einmal stand Annet Kaufmann bei ihrer Olympia-Premiere im Mittelpunkt.

Die Chance, die sich ihr bietet, nutzt Annet Kaufmann konsequent. Beim 3:2-Sieg im Achtelfinale gegen die USA gewinnt sie beide Einzel. Beim 3:1-Sieg im Viertelfinale gegen Indien steuert sie erneut zwei Punkte bei. Von 14 Sätzen gewinnt sie 12. Welch eine Bilanz!

Der eine (Timo Boll) geht, die andere (Annet Kaufmann) kommt. In Paris vollzieht sich somit ein Generationenwechsel. Auf seinem Instagram-Profil teilt Timo Boll im Anschluss seinen rund 154.000 Followern mit, dass er sich „keine schönere Bühne für meinen internationalen Abschied (hätte vorstellen können) als meine siebten Olympischen Spiele“. Passend dazu postet er ein Foto von mir, welches direkt im Anschluss an das Spiel gegen Schweden entstanden ist. Welch eine Ehre für mich.

Benni Lau

 

Folge 17: Aus, aus, aus. Aus! Der Ball ist aus!

So schnell kann es gehen. Das Team ist seit Tagen im Rhythmus und legt allerfeinsten Volleyball aufs Parkett. Allerdings heißt nun der Viertelfinal-Gegner Frankreich. Nicht nur, dass die Équipe Tricolore als Gastgebernation von knapp 11.000 Zuschauern in der South Paris Arena im Messegelände Porte de Versailles lautstark nach vorne gepeitscht wird, es ist ja auch nicht von ungefähr das Goldmedaillenteam von Tokio 2020 beziehungsweise der aktuelle NationsLeague-Sieger – trainiert vom einstigen bundesdeutschen Auswahltrainer Andrea Giani.

Doch wie schon in der anstrengenden Qualifikation, wie schon in der Vorrunde in Paris, überrascht die deutsche Mannschaft mit ihrem polnischen Trainer Michal Winiarski mit Teamgeist, Durchschlagskraft und unheimlichen Kampfgeist. Die ersten beiden Sätze gehen eindrucksvoll an die junge deutsche Truppe um ihren „Opa“ „Hammerschorsch“ Georg Grozer (39), der schon beim letzten olympischen Auftritt der Nationalmannschaft in London 2012 mit dabei war und seitdem die entsprechende Tätowierung auf der rechten Wade trägt. Die ihn immer wieder kraftvoll nach oben katapultiert, sei es bei seinen erbarmungslosen Sprungaufschlägen mit bis zu 130 Stundenkilometern, oder bei seinen knallharten Angriffen.

Selbst Fachleute hören bei diesem erstklassigen Zweikampf über die 2,43 Meter hohe Netzkante mit dem Zungeschnalzen gar nicht auf. Liegt doch Deutschland mit einer 2:0-Satzführung vorne! Wie bitte?

Doch das französische Team arbeitet sich Punkt für Punkt zurück ins Spiel. Getragen vom Publikum, darunter Frankreichs Premierminister Gabriel Attal, und ihrem Superstar Earvin Ngapeth. Satzausgleich. Die Halle steht Kopf. Satzausgleich, entschieden vom Schiedsrichter, der ein einhändiges Zuspiel von Anton Brehme als „geführt“ abpfeift und dadurch für den Satzgewinn für Frankreich sorgt. Und für Unmut bei Deutschlands Kapitän Lukas Kampa, der sich beschwert, und dafür beim Anpfiff des spielentscheidenden Tiebreaks als erstes ebenfalls eine Gelbe Karte kassiert.

Dieser Tiebreak reiht sich fortan nahtlos in den bisherige Spielverlauf ein: als Thriller. Während sich beide Teams auf dem Spielfeld auf allerhöchsten Volleyballniveau die Seele aus dem Leib spielen, kommt es natürlich auch zu Nicklichkeiten am Netz. Selbstverständlich, bei so viel freigesetztem Adrenalin und Testosteron. Wer will es den Spielern verübeln, die sich die Seele aus dem Leib spielen? Nun ja, der Schiedsrichter.

Er hat Frankreichs Superstar Earvin Ngapeth wegen zu sehr aggressiven Jubelns durchs Netz hindurch schon in Satz vier mit einer Gelben Karte verwarnt. Beim Stand von aus deutscher Sicht 5:8 im Tiebreak bestraft er plötzlich Deutschlands Mittelblocker Tobias Krick, der nach einem astreinen Punkt erst jubelt und dann stier durchs Netz auf den Gegner blickt. Zu aggressiv, in den Augen des Mannes mit der Pfeife.

Kurios, aber regelkonform: Weil er das deutsche Team bereits einmal mit Gelb versorgte, muss er Rot geben. Was im Volleyball keine Herausstellung, aber einen Punktgewinn zur Folge hat. Und damit steht es 5:9. Die Aufregung ist groß. Durch die deutsche Brille gesehen sogar verständlich. Wieso lässt man ein solch hochdramatische Partie nicht von den Spielern entscheiden?

Und trotz des Rückstands und dieses Dämpfers kämpft sich das deutsche Team wieder ran. Vor allem durch die risikoreiche Aufschläge, die eben aber auch öfters im Netz landen und nachher in Summe für die Entscheidung sorgen. Beim Stand von 13:14 wechselt Winiarski Ruben Schott für den Aufschlag ein. Der bis dahin kaum gespielt hat, aber über einen gefährlichen Sprungaufschlag verfügt. Volles Risiko: Schotts Aufschlag setzt aber wenige Zentimeter nach der Linie auf. 13:15. Nach über zwei Stunden nervenzereissendem Schlagabtausch ist es das ganz plötzlich dann gewesen. So schnell kann es gehen.

Frankreich jubelt unbändig gemeinsam mit 11.000 Fans. Deutschlands Medaillenträume sind auf einen Schlag geplatzt. Die anfangs als vollmundig betrachtet wurden, aber bei dem Auftreten auf olympischem Parkett durchaus als gerechtfertig angesehen werden mussten.

Neben Tränen, die fließen, folgen große Szenen. Während Cheftrainer Michal Winiarski völig leergepumpt vor sich hinstarrt, schart Co-Trainer Thomas „Bob“ Ranner, der lange Zeit für den Stuttgarter Volleyball-Nachwuchs im Einsatz war, die Mannschaft zusammen. Trost ist gefragt. Und dann kommt Frankreichs Superstar Earvin Ngapeth auf die deutsche Seite und umarmt Deutschlands Superstar Georg Grozer minutenlang.

Der sich später allein bei den auf das Spielfeld aufgeklebten Olymischen Ringen hinkniet und diese streichelt. Es war wohl Grozers letzte Chance auf eine olympische Medaille. Die zum Greifen nahe war. Bleibt zu hoffen, dass diese vielversprechende Mannschaft samt ihrem Trainerteam weitgehend zusammenbleibt.

„Aus, aus, aus. Aus! Der Ball ist aus… Deutschland ist Olympiasieger!“ Es bleibt ein Traum. Vorerst.

Tom Bloch

 

Folge 18: Paris verleiht Flügel

Freundschaften müssen gepflegt werden. Das weiß man. Das wissen auch ein langjähriger Freund von mir und ich. Seit rund zwei Jahren sagen wir uns, das wir uns mal wieder treffen sollten. Einfach mal wieder gemütlich was trinken gehen, ganz ungezwungen. Zumal wir gar nicht weit voneinander entfernt wohnen. Zum Treffen gekommen ist es dann aber leider halt doch lange nicht. Irgendwas ist schließlich immer.

Wie gut, dass der langjährige Freund wie ich die Olympischen Spiele in Paris auf dem Schirm hat und vor Ort ist. Wir haben also schon vor einigen Wochen vereinbart, dass wir uns dort treffen werden. Das, was in der Heimat nicht gelungen ist, klappt auf einmal. In der französischen Haupstadt sehen wir uns nach langer Zeit wieder.

Mein langjähriger Freund ist beruflich in Paris. Er arbeitet für ein bekanntes österreichisches Unternehmen. Genauer gesagt, arbeitet er für den Weltmarktführer bei Energydrinks. Und dieser Konzern hat schon vor vielenIch Jahren entdeckt, dass für ihn das Sportsponsoring hilfreich sein kann beim Erreichen der Ziele.

Somit begebe ich mich an einem meiner freien Nachmittage auf Einladung meines langjährigen Freundes ins „Red-Bull-Haus“. Schon beim Betreten des Gebäudes bekomme ich große Augen. Dieses unterscheidet sich dann doch vom Deutschen Haus, welches in Paris den Dreh- und Angelpunkt des organisierten deutschen Sports darstellt.

Das Deutsche Haus hat eine lange Tradition. Bei Olympischen Spielen ist das an den Abenden stets der Treffpunkt für die Akteure aus Sport, Journalismus und Wirtschaft. Schon irgendwie komisch: Man ist im Ausland, schaut sich tagsüber die Wettkämpfe an und abends trifft man dann seine Landsleute.

In diesem Jahr gibt es, so wird mir gesagt, zwei Besonderheiten. Erstens befindet sich das Deutsche Haus erstmals in einem Rugby-Stadion und zweitens können diesmal auch „Normalbürger“ ein Ticket erstehen. Das führt dazu, dass in dem weitläufigen Gelände die Stimmung entsprechend kühl ist. Auf der Bühne gibt es zwar ein Programm und die Medaillengewinnerinnen und -gewinner werden standesgemäß interviewt, doch in Kontakt kommt man dann eben doch vor allem mit den Menschen, die man schon kennt. Wobei die Stimmung auf jeden Fall gut ist.

Im „Red-Bull-Haus“ ist das anders. In dem sechsstöckigen Gebäude fühlt man sich sogleich willkommen. Einfach jede und jeder begrüßt einen mit „High Five“. Es ist einfach lockerer und familiärer. So läuft zum Beispiel der katarische Hochspringer Mutaz Essa Barshim direkt an mir vorbei und an meinem Tisch sitzt eine Dame, mit der ich mich über das Thema „Marathon-Lauf“ unterhalte. Nach kurzer Zeit stellt sich heraus, dass es sich bei meiner Gesprächspartnerin um Eileen Gu, Olympiasiegerin im Ski-Freestyle, handelt. Und die plaudert hier einfach so mit mir.

An den Wänden sind Porträts der Sportlerinnen und Sportler zu sehen, die von dem österreichischen Konzern unterstützt werden. Eine illustre Runde ist das – zu meinem Erstaunen wird nicht nur der Extremsport gefördert, sondern man bringt sich auch in klassischen Sportarten wie der Leichtathletik ein. An einer Wand ist zu sehen, wie viele Medaillen die Akteure, die unterstützt werden, 2024 bei Olympia schon errungen haben. Es sind nicht wenige. Paris verleiht Flügel.

Der Abend neigt sich dem Ende entgegen. Ich verabschiede mich von meinem langjährigen Freund und bedanke mich für den schönen Abend. Wenn wir wieder zu Hause sind, das nehmen wir uns fest vor, dann wollen wir uns bald wiedersehen. Der langjährige Freund heißt Tobias Unger. Er hat an drei Olympischen Spielen teilgenommen. Sein 100-Meter-Bestzeit liegt bei 10,14 Sekunden. Es gibt nicht viele Menschen auf dieser Welt, die schneller sind als er.

Benni Lau

 

Folge 19: Merci beaucoup, Paris!

Beachvolleyball unterm Eiffelturm. Finale mit deutscher Beteiligung. Nils Ehlers und Clemens Wickler liefern nicht ganz so ab wie bei den sechs olympischen Auftritten zuvor. Aber: Verlieren nicht Gold, gewinnen eindeutig Silber.

Siegerehrung. Pressekonferenz. Fotos bearbeiten. Morgens um 2. Die letzten Kräfte mobilisieren nach über 14 Tagen Olympia. Métro fährt ja keine mehr. Also Taxi oder Uber. Geht aber nicht. Zeigt nur alles Rot, also gesperrt an auf Google Maps.

Ja, klar. Der Frauen-Marathon is ja morgen früh.  Das ganze Viertel rund um den Eiffelturm ist Sperrzone.

Ich laufe aus dem Beachvolleyballgelände. Und gegen eine Wand. Eine Wand aus Jubel, Trubel, Heiterkeit. Morgens um 2. Leute klatschen, feuern an, schreien, fiebern mit. Auf der olympischen Marathonstrecke wird ein Marathon für Jedermann durchgeführt. Mitten in der Nacht, um die Tageshitze zu vermeiden.

Anscheinend bin ich etwa bei Kilometer 30. Manche gehen nur noch. Sind erschöpft. Doch die Sperrzäune sind von vielen Menschen gesäumt. Fast wie am helllichten Tag. Besonders beeindruckend sind einige Geistig- oder Körperbehinderten in ihren Rollbetten oder Rollwägen, die von gleich mehreren Freiwilligen bei bester Laune über die Strecke geschoben werden. Immer wieder bricht Applaus aus.

Mit einem Lächeln gehe ich weiter, raus aus der Sperrzone. Auch wenn ich nun zu kilometerlangen Umwegen gezwungen bin. Am Ende eines stressigen Arbeitstages hätte ich mir das schon anders gewünscht. Aber gut. Gleichzeitig freue ich mich an diesen berührenden Bildern. Das ist Olympia.

Dann wird es wieder laut, während mein Rollkoffer über das Kopfsteinpflaster hoppelt. Vor der Bar Claudia an der Avenue de la Motte-Picquet stehen sehr viele Volunteers mit ihren grünen Paris-2024-Hemden.

Und johlen. Denn das ist die Bar, die die Beachvolleyball-Bronzemedaillen-Gewinner Anders Mol und Christian Soerum mit ihrem Team gemietet haben. Die beiden Sand-Athleten stehen mit ihren roten Trainingsanzügen vor der Eingangstüre. Und posieren geduldig für Fotos und Selfies mit den rund hundert Volunteers, die sich hier versammelt haben. Das ist Olympia.

Ich finde mich endlich mit einem Uber-Fahrer zusammen, der mit nach Hause bringt. Es ist 3.16 Uhr. Ich überarbeite diese Kolumne, die ich eigentlich schon fertig hatte. Auch das ist Olympia.

Noch einen Einsatz habe ich, das Volleyballfinale der Frauen. USA gegen Italien, welches ich für den italienischen Verband mit der Kamera begleite. Dann enden die Spiele auch für mich.

Am Abend bei der Schlussveranstaltung wird IOC-Präsident Thomas Bach den üblichen Satz sagen: Die besten Spiele, die es je gab, gehen nun zu Ende. Und, er wird recht haben.

Die Medien überschlagen sich bereits mit Superlativen. Großartige Wettkampfstätten in einer tollen Stadt mit tollen Menschen. Unglaublich. Der Blick von der Aussichtsplattform vom Eiffelturm am Morgen lässt einen die Kinnlade nur mühevoll wieder hochklappen.

Natürlich subjektiv gesehen, weil mein Hauptaufenthaltsort, die Beachvolleyball-Anlage mit knapp 13.000 Sitzplätzen im Schatten vom Eiffelturm ist schwer zu toppen und setzt für die Zukunft neue Standards. Und es hält wahrscheinlich den inoffiziellen olympischen Rekord für geknipste Selfies, wie die Washington Post schreibt.

Nach drei „Teilnahmen“ an Olympischen Spielen wünsche ich mir für die Zukunft drei Dinge.

1. Schuhe, die mit jedem Schritt die geleistete Laufarbeit wieder zurück in den Körper zurückführen. Also so ähnlich wie das Rekuperieren der Batterie beim Bremsen von Elektroautos.

2. Eine Kamera, die quasi mit den Augen verbunden ist, und man diese herrlich bunten Szenen in der Métro oder in den Vorortzügen oder auf den Straßen sofort festhalten kann, ohne erst eine Kamera zu zücken. Einfaches Auslösen per Augenzwinkern.

3. Eine Abkehr des IOC von der Scheinheiligkeit. Und wenn es auch nur bitte, bitte ein paar Prozent sind.

Nachhaltige Spiele fordern, und selbst in extra gebrandeten Fahrzeugen von Venue zu Venue gefahren zu werden. Je nach Status mit entsprechender Polizei-Eskorte auf extra freigehaltenen Spuren (schon klar, diese Spuren benutzen auch die Busse, die die Athlethen oder Journalisten durch die Metropole kutschieren). Dann mit Elektro-Golfwägelchen auf dem Gelände in das gekühlte Zelt. Und während man dann in Gesprächen sitzt oder sogar kurz den Sportlern bei ihren Aktivitäten beiwohnt, laufen draußen die Motoren nonstop weiter, damit die Klima-Anlage das Fahrzeuginnere wohlig temperiert hält.

Den lokalen Veranstaltern die Kosten aufbürden und selbst einen milliardenschweren Reibach machen. Treffender als Primo Nebiolo, seinerzeit Leichtathletik-Weltverbandspräsident, während der Leichtathletik-WM 1993 in Stuttgart gesagt hat, geht es nicht: „Be happy and pay the deficit.“

Seit Los Angeles 1984 nimmt das IOC erst Millionen, mittlerweile längst Milliarden ein. Die Spiele von Paris, so wird gerechnet, dürfte über fünf Milliarden Euro in die IOC-Kassen spülen. Fast 70 Prozent der Einnahmen kommen über verkaufte TV-Rechte, die die sportlichen Wettkämpfe übertragen. Bei den eigentlichen Akteuren, den Sportlern, kommen maximal 4 % dieser Unsummen an.

Und die „Olympic Family“ wie sich die IOC-Mitglieder nennen, hat vor Ort ihren eigenen Luxusservice. Angefangen von den oben beschriebenen privaten Transporten zu den Veranstaltungsstätten, wo gekühlte Lounges mit Extra-Service auf die Funktionäre warten. Bishin zur Unterkunft im Luxus-Hotel, welches vom IOC für die Spiele komplett gebucht wurde – für 22 Millionen Euro, wie britische Zeitungen berichten. Wenn Nachhaltigkeit gefordert wird, muss auch an diesen Stellschrauben gedreht werden.

Denn die wahren olympischen Geschichten sind meist Randgeschehen wie eingangs beschrieben, fernab der „Olympic Family“. Wie zum Beispiel diese „Gute-Nacht-Geschichte“:

Haltestelle der Buslinie 52 vor dem Deutschen Haus am Stadion Jean Bouin. Hier bin ich schon mal nachts nach Hause gefahren. Will das wieder tun. Laut Plan kommt der Bus in fünf Minuten. Ich stehe als Einziger da. Mit der Akkreditierung um den Hals erkennbarer Olympiamensch, also ortsfremd. Dann kommt jemand und stellt sich dazu. Und ich denke, cool, dann wird der Bus ja wirklich auch kommen, um halber Elf in dunkler Nacht, mitten in Paris.

Der junge Mann mit kunstvoll geflochtenem Haar wischt in seinem Smartphone umher. Wie jeder eigentlich heutzutage an einer Haltestelle.
Um mir dann wenig später zu erklären, dass der Bus hier nicht mehr hält. Ich solle doch ein Stück weiter laufen und die Métro nehmen. Sie hätten den Fahrplan geändert. Er meinte, davon gehört zu haben. Und als er mich da stehen sah, habe er kurz auf der Website des Busbetreibers nachgeschaut, um sich zu vergewissern. Er wünscht mir eine gute Nacht und verschwindet.

Merci, junger Mann mit kunstvoll geflochtenem Haar. Merci an all die lieben Menschen in Paris, die ich getroffen habe.  Egal um welche Tageszeit.

Merci beaucoup, Paris!

Tom Bloch

 

Folge 20: Au Revoir!

Die Olympischen Spiele von Paris sind Geschichte. Das heißt: Auch meine Olympia-Premiere ist vorbei, wobei ich ganz viele schöne Eindrücke mit nach Hause nehme. Die französische Hauptstadt hat ihre Gastgeber-Rolle mit Bravour gemeistert und bewiesen, dass sie nicht nur viele schöne Sehenswürdigkeiten zu bieten, sondern auch ein Herz für den Sport hat.

Sehr viel besser kann man Olympische Spiele nicht organisieren! Das hat schon mit der einzigartigen Eröffnungsfeier entlang der Seine angefangen, ging mit den wunderbaren Wettkampfstätten weiter und endete schließlich mit einer wunderbaren Abschlussfeier. Paris schuf die perfekte Bühne für diese Emotionen, indem es modernste Sportstätten an traumhaften Schauplätzen wie dem Eiffelturm und dem Stade de France bot.

Die Atmosphäre war mehr als zwei Wochen lang durchweg elektrisierend. Auf der einen Seite traten Sportlerinnen und Sportler aus der ganzen Welt mit großer Leidenschaft an, auf der anderen Seite sorgte das Publikum auf den Rängen überall für eine traumhafte Stimmung. Vor allem hat mich erstaunt, wie man geschafft hat, die ganzen schönen Sehenswürdigkeiten in die Spiele zu integrieren. Die Latte für künftige Gastgeber liegt jedenfalls sehr hoch.

Ich persönlich habe mich die meiste Zeit in der Arena „Paris Sud 4“ auf dem Messegelände aufgehalten. Dort fanden alle Tischtennis-Wettbewerbe statt. Ich weiß zwar nicht, wie es dazu gekommen ist, aber ich war bei meinen ersten Olympischen Spiele zwischen all den internationalen Bildberichterstatterinnen und Bildberichterstatter „der deutsche Tischtennis-Fotograf“. Da Deutschland in allen fünf Wettbewerben vertreten war, hatte ich entsprechend viel zu tun.

Natürlich ist es eine Ehre, all diese Top-Akteure aus nächster Nähe erleben zu dürfen. Besonders freut mich natürlich aber auch die lokale Komponente. Ich wohne in Großbettlingen im Landkreis Esslingen. Keine sechs Kilometer entfernt liegt Linsenhofen. Dort ist der deutsche Tischtennis-Star Dang Qiu aufgewachsen, der in Paris für Deutschland an den Start gegangen ist. Ich erinnere mich noch gut daran, wie er früher als Kind in Frickenhausen in der Tischtennis-Halle rumsprang. Mitzuerleben, wie jemand „aus meiner Nachbarschaft“ mit der Weltspitze auf Augenhöhe agiert, ist bei aller Neutralität dann doch sensationell.

Natürlich muss man mit Blick auf das deutsche Tischtennis zwei weitere Namen nennen. Timo Boll hat in Paris seinen letzten Auftritt im Nationaltrikot gehabt. Das habe ich genauso miterleben dürfen wie die hervorragenden Auftritte der jungen Annett Kaufmann, die in der vergangenen Saison für Böblingen in der Bundesliga aufgeschlagen hat, und gemeinsam mit dem deutschen Damen-Team für Furore gesorgt hat.

Und dann bleiben natürlich die vielen Begegnungen haften, die ich hier in Paris hatte. Allein schon der quasi tägliche Kontakt mit Vertreterinnen und Vertretern des Deutschen Tischtennis-Bundes ist für mich eine sehr schöne Erfahrung gewesen. Nicht zu vergessen die vielen Gespräche mit Menschen aus der ganzen Welt. Die Mongolen, die in der Pommes-Bude Pins tauschen wollten. Der Japaner, der mich jeden Morgen mit einem netten „Gutääähn Morgääähn“ begrüßte. Der freundliche Volunteer in der Halle, der für jede Herausforderung eine Lösung fand. Bleibt zu hoffen, dass der Kontakt im Alltag nicht ganz verloren geht.

Jetzt sind die Spiele also um. Au Revoir Paris! So schön die Tage in der französischen Hauptstadt auch waren, freue ich mich schon auf die Rückkehr in die Heimat. Denn nicht nur einmal habe ich in Paris an meine Familie gedacht, die zu Hause bleiben musste, während ich in Paris gearbeitet habe.

Wie es weitergeht für mich? Gute Frage. Ich habe in Paris auf jeden Fall den „olympischen Geist“ gespürt. Das macht definitiv Lust auf mehr. 2028 geht es in Los Angeles weiter. 1984 war die Stadt ja schon einmal Gastgeber der Sommerspiele. Titelsong war damals Reach Out von Giorgio Moroder. Und dort heißt es: „Now's the time to take hold of your dream.“ Mal schauen, ob ich meinen Olympia-Traum weiterträumen darf …

Benni Lau