Turnen hilft auch einem Torhüter
  26.04.2013


Obwohl VfB-Torhüter Sven Ulreich normalerweise auf dem Fußballplatz seiner Arbeit nachgeht, ist er mitunter im Kunst-Turn-Forum Stuttgart anzutreffen. Denn auch ein Torsteher kann mit speziellen Turnübungen weiterkommen.

Rumms, rumms, rumms – immer wieder knallt der grüne Medizinball gegen die graue Betonwand. Immer wieder löst sich der Mann im roten Trikot von der blauen Bodenmatte und schleudert den Gummiball weg. Doch für einen Turner ist der Sportler mit 1,92 Metern Länge zu groß. Gestatten: Sven Ulreich, Torhüter beim Bundesligisten VfB Stuttgart. Der Fußballer hat sich nicht ins Kunst-Turn-Forum verirrt, sondern ist seit mehr als zwei Jahren regelmäßiger Besucher. Bei STB-Cheftrainer Klaus Nigl absolviert er Zusatztraining.

Im Frühjahr 2010 brach sich Sven Ulreich bei einem U-21-Länderspiel das Wadenbeinköpfchen im linken Bein. Berufsrisiko. Um dieses zu reduzieren, trainiert der Torhüter des VfB Stuttgart regelmäßig im benachbarten Kunst-Turn-Forum. Klaus Nigl hat ein spezielles Programm erstellt. „Mein Körpergefühl ist schon wesentlich besser geworden“, lobt Ulreich.

Auch wenn Sven Ulreich ab und zu gemeinsam mit Marcel Nguyen, dem zweifachen Silbermedaillengewinner von London, und Sebastian Krimmer übt, geht es nicht darum aus dem 24-Jährigen einen Turner zu machen. Außer der Bodenfläche lässt das Duo die klassischen Turngeräte links liegen. „Das Programm, das wir mit Sven absolvieren, nennt sich Voraussetzungstraining“, sagt Coach Nigl. Der etwas sperrige Namen kommt daher, weil er die körperlichen Voraussetzungen für viele Sportarten stärkt. „Ich trainiere mit Basketballern, Mountainbikern, Hoch- und Stabhochspringern und Werfern“, zählt Nigl auf. Wie sieht dieses Training aus? „Wir trainieren die kleinen Muskeln, Sehnen und Bänder, stärken und kräftigen die Sprung- und Kniegelenke und beugen damit Verletzungen vor.“

Den Medizinball hat Sven Ulreich beiseite gelegt. Zuerst beidbeinig, danach einbeinig springt der Publikumsliebling über die federnde, blaue Bodenfläche. „Wir fördern die Dynamik“, erklärt Nigl, „indem wir das Programm schnell durchziehen und wenige Wiederholungen machen.“ Etwa 40 Minuten dauert das Training, das er zweimal in der Woche absolviert. Zwei Tage vor einem Spiel. „Sven soll einen höheren Muskeltonus, also eine höhere Muskelspannung, am Spieltag haben. Deshalb ist die Belastung zwei Tage vor einem Spiel ideal, denn am Tag danach kann er sich erholen. Und am Spieltag sind die Muskeln explosiv.“

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Betreiben zwar eigentlich unterschiedlich Sportarten, trainieren aber dennoch gemeinsam im Kunst-Turn-Forum Stuttgart: Marcel Nguyen (links) und Sven Ulreich. [Text/Foto: Jost/Kruse]

An Sven Ulreich liegt es nicht, dass sich der VfB Stuttgart momentan in der zweiten Hälfte der Fußball-Bundesliga befindet. Der Torhüter erhält stets Bestnoten. Neben seinem Talent, seinen Instinkten und seiner Reaktionsschnelligkeit tragen dazu auch seine zusätzlichen Übungseinheiten im Kunst-Turn-Forum bei. Turnen als Erfolgsgeheimnis. Trotzdem möchte Sven Ulreich dies nicht an die große Glocke hängen. Insgeheim fürchtet er, dass ihn die Fans nach einem Fehler verspotten könnten. Schließlich dachte auch er zuerst an eine Schnapsidee, als ihm sein Berater Jürgen Schwab dessen Gedanken unterbreitete. „Anfangs dachte ich, ich bin Fußballer und kein Kunstturner“, bekennt der Torhüter aus Schorndorf, „aber mittlerweile spüre ich, wie mir die Turneinheiten gut tun.“

Zumal der Torhüter auch die Fortschritte sehen kann. Den Abschluss der Sprungeinheit bilden beidbeinige Sprünge auf kleine Kästen. Zwei übereinander gestapelt, also etwa ein Meter Höhe, sind kein Problem. „Sven macht unglaubliche Fortschritte“, lobt sein Spezialtrainer Nigl, „derzeit kommt er schon auf drei übereinander gestapelte Kästen.“ Bestätigung für harte Arbeit.

Das zusätzliche Engagement seines Nummer-eins-Torhüters wird auch beim VfB aufmerksam mit Interesse verfolgt. „Fredi Bobic war bei einem Besuch begeistert von Ulles Porgramm“, erzählt Klaus Nigl stolz. Mit Torwarttrainer Andreas Menger befindet sich der STB-Cheftrainer in ständigem Kontakt. „Wir wollen, dass sich unsere Torhüter entfalten“, sagt Menger, „deshalb fordern und fördern wir sie. Neben unserem Training bekommt Ulle durch das individuelle Training mit einem Experten zusätzliche neue Reize – das ist positiv und wird von uns absolut unterstützt.“

Sven Ulreich und Trainer Klaus Nigl sind weitergezogen im Kunst-Turn-Forum. Der große Mann legt sich auf ein Sprungbrett, sein Trainer fixiert seine Beine. Auf dem Bauch, auf dem Rücken und seitwärts liegend richtet er sich immer wieder auf. Der Schweiß rinnt ihm von der Stirn. „Zwischen meinem körperlichen Zustand zu dem Zeitpunkt, als ich hier angefangen habe, und heute liegen Welten“, sagt Ulreich. Sein Körpergefühl sei schon wesentlich besser geworden. Und dann fügt er schmunzelnd an: „Auch meine Freundin hat den Unterschied an meinem Körper bemerkt.“ Schon dafür lohnt doch der zusätzliche schweißtreibende Einsatz.