TOM UND BENNI IN PARIS | Folge 19
11.08.2024
Bei den Olympischen Spielen in Paris hat die SportRegion Stuttgart gleich zwei Sportjournalisten vor Ort – Tom Bloch und Benjamin Lau berichten in der Kolumne TOM UND BENNI IN PARIS exklusiv aus der französischen Hauptstadt. Für den Sportfotografen Benni Lau sind es die ersten Olympischen Spiele, Kollege Tom Bloch war bereits in Rio de Janeiro und in Tokio am Start. Täglich erzählen die beiden über ihre Erlebnisse in der Weltstadt an der Seine im Ausnahmezustand.
Folge 19: Merci beaucoup, Paris!
Beachvolleyball unterm Eiffelturm. Finale mit deutscher Beteiligung. Nils Ehlers und Clemens Wickler liefern nicht ganz so ab wie bei den sechs olympischen Auftritten zuvor. Aber: Verlieren nicht Gold, gewinnen eindeutig Silber.
Siegerehrung. Pressekonferenz. Fotos bearbeiten. Morgens um 2. Die letzten Kräfte mobilisieren nach über 14 Tagen Olympia. Métro fährt ja keine mehr. Also Taxi oder Uber. Geht aber nicht. Zeigt nur alles Rot, also gesperrt an auf Google Maps.
Ja, klar. Der Frauen-Marathon is ja morgen früh. Das ganze Viertel rund um den Eiffelturm ist Sperrzone.
Ich laufe aus dem Beachvolleyballgelände. Und gegen eine Wand. Eine Wand aus Jubel, Trubel, Heiterkeit. Morgens um 2. Leute klatschen, feuern an, schreien, fiebern mit. Auf der olympischen Marathonstrecke wird ein Marathon für Jedermann durchgeführt. Mitten in der Nacht, um die Tageshitze zu vermeiden.
Anscheinend bin ich etwa bei Kilometer 30. Manche gehen nur noch. Sind erschöpft. Doch die Sperrzäune sind von vielen Menschen gesäumt. Fast wie am helllichten Tag. Besonders beeindruckend sind einige Geistig- oder Körperbehinderten in ihren Rollbetten oder Rollwägen, die von gleich mehreren Freiwilligen bei bester Laune über die Strecke geschoben werden. Immer wieder bricht Applaus aus.
Mit einem Lächeln gehe ich weiter, raus aus der Sperrzone. Auch wenn ich nun zu kilometerlangen Umwegen gezwungen bin. Am Ende eines stressigen Arbeitstages hätte ich mir das schon anders gewünscht. Aber gut. Gleichzeitig freue ich mich an diesen berührenden Bildern. Das ist Olympia.
Dann wird es wieder laut, während mein Rollkoffer über das Kopfsteinpflaster hoppelt. Vor der Bar Claudia an der Avenue de la Motte-Picquet stehen sehr viele Volunteers mit ihren grünen Paris-2024-Hemden.
Und johlen. Denn das ist die Bar, die die Beachvolleyball-Bronzemedaillen-Gewinner Anders Mol und Christian Soerum mit ihrem Team gemietet haben. Die beiden Sand-Athleten stehen mit ihren roten Trainingsanzügen vor der Eingangstüre. Und posieren geduldig für Fotos und Selfies mit den rund hundert Volunteers, die sich hier versammelt haben. Das ist Olympia.
Ich finde mich endlich mit einem Uber-Fahrer zusammen, der mit nach Hause bringt. Es ist 3.16 Uhr. Ich überarbeite diese Kolumne, die ich eigentlich schon fertig hatte. Auch das ist Olympia.
Noch einen Einsatz habe ich, das Volleyballfinale der Frauen. USA gegen Italien, welches ich für den italienischen Verband mit der Kamera begleite. Dann enden die Spiele auch für mich.
Am Abend bei der Schlussveranstaltung wird IOC-Präsident Thomas Bach den üblichen Satz sagen: Die besten Spiele, die es je gab, gehen nun zu Ende. Und, er wird recht haben.
Die Medien überschlagen sich bereits mit Superlativen. Großartige Wettkampfstätten in einer tollen Stadt mit tollen Menschen. Unglaublich. Der Blick von der Aussichtsplattform vom Eiffelturm am Morgen lässt einen die Kinnlade nur mühevoll wieder hochklappen.
Natürlich subjektiv gesehen, weil mein Hauptaufenthaltsort, die Beachvolleyball-Anlage mit knapp 13.000 Sitzplätzen im Schatten vom Eiffelturm ist schwer zu toppen und setzt für die Zukunft neue Standards. Und es hält wahrscheinlich den inoffiziellen olympischen Rekord für geknipste Selfies, wie die Washington Post schreibt.
Nach drei „Teilnahmen“ an Olympischen Spielen wünsche ich mir für die Zukunft drei Dinge.
1. Schuhe, die mit jedem Schritt die geleistete Laufarbeit wieder zurück in den Körper zurückführen. Also so ähnlich wie das Rekuperieren der Batterie beim Bremsen von Elektroautos.
2. Eine Kamera, die quasi mit den Augen verbunden ist, und man diese herrlich bunten Szenen in der Métro oder in den Vorortzügen oder auf den Straßen sofort festhalten kann, ohne erst eine Kamera zu zücken. Einfaches Auslösen per Augenzwinkern.
3. Eine Abkehr des IOC von der Scheinheiligkeit. Und wenn es auch nur bitte, bitte ein paar Prozent sind.
Nachhaltige Spiele fordern, und selbst in extra gebrandeten Fahrzeugen von Venue zu Venue gefahren zu werden. Je nach Status mit entsprechender Polizei-Eskorte auf extra freigehaltenen Spuren (schon klar, diese Spuren benutzen auch die Busse, die die Athlethen oder Journalisten durch die Metropole kutschieren). Dann mit Elektro-Golfwägelchen auf dem Gelände in das gekühlte Zelt. Und während man dann in Gesprächen sitzt oder sogar kurz den Sportlern bei ihren Aktivitäten beiwohnt, laufen draußen die Motoren nonstop weiter, damit die Klima-Anlage das Fahrzeuginnere wohlig temperiert hält.
Den lokalen Veranstaltern die Kosten aufbürden und selbst einen milliardenschweren Reibach machen. Treffender als Primo Nebiolo, seinerzeit Leichtathletik-Weltverbandspräsident, während der Leichtathletik-WM 1993 in Stuttgart gesagt hat, geht es nicht: „Be happy and pay the deficit.“
Seit Los Angeles 1984 nimmt das IOC erst Millionen, mittlerweile längst Milliarden ein. Die Spiele von Paris, so wird gerechnet, dürfte über fünf Milliarden Euro in die IOC-Kassen spülen. Fast 70 Prozent der Einnahmen kommen über verkaufte TV-Rechte, die die sportlichen Wettkämpfe übertragen. Bei den eigentlichen Akteuren, den Sportlern, kommen maximal 4 % dieser Unsummen an.
Und die „Olympic Family“ wie sich die IOC-Mitglieder nennen, hat vor Ort ihren eigenen Luxusservice. Angefangen von den oben beschriebenen privaten Transporten zu den Veranstaltungsstätten, wo gekühlte Lounges mit Extra-Service auf die Funktionäre warten. Bishin zur Unterkunft im Luxus-Hotel, welches vom IOC für die Spiele komplett gebucht wurde – für 22 Millionen Euro, wie britische Zeitungen berichten. Wenn Nachhaltigkeit gefordert wird, muss auch an diesen Stellschrauben gedreht werden.
Denn die wahren olympischen Geschichten sind meist Randgeschehen wie eingangs beschrieben, fernab der „Olympic Family“. Wie zum Beispiel diese „Gute-Nacht-Geschichte“:
Haltestelle der Buslinie 52 vor dem Deutschen Haus am Stadion Jean Bouin. Hier bin ich schon mal nachts nach Hause gefahren. Will das wieder tun. Laut Plan kommt der Bus in fünf Minuten. Ich stehe als Einziger da. Mit der Akkreditierung um den Hals erkennbarer Olympiamensch, also ortsfremd. Dann kommt jemand und stellt sich dazu. Und ich denke, cool, dann wird der Bus ja wirklich auch kommen, um halber Elf in dunkler Nacht, mitten in Paris.
Der junge Mann mit kunstvoll geflochtenem Haar wischt in seinem Smartphone umher. Wie jeder eigentlich heutzutage an einer Haltestelle.
Um mir dann wenig später zu erklären, dass der Bus hier nicht mehr hält. Ich solle doch ein Stück weiter laufen und die Métro nehmen. Sie hätten den Fahrplan geändert. Er meinte, davon gehört zu haben. Und als er mich da stehen sah, habe er kurz auf der Website des Busbetreibers nachgeschaut, um sich zu vergewissern. Er wünscht mir eine gute Nacht und verschwindet.
Merci, junger Mann mit kunstvoll geflochtenem Haar. Merci an all die lieben Menschen in Paris, die ich getroffen habe. Egal um welche Tageszeit.
Merci beaucoup, Paris!
Tom Bloch
Alle Folgen der Serie: https://www.sportregion-stuttgart.de/tom-und-benni-in-paris



