TOM UND BENNI IN PARIS | Folge 10
  02.08.2024


Bei den Olympischen Spielen in Paris hat die SportRegion Stuttgart gleich zwei Sportjournalisten vor Ort – Tom Bloch und Benjamin Lau berichten in der Kolumne TOM UND BENNI IN PARIS exklusiv aus der französischen Hauptstadt. Für den Sportfotografen Benni Lau sind es die ersten Olympischen Spiele, Kollege Tom Bloch war bereits in Rio de Janeiro und in Tokio am Start. Täglich erzählen die beiden über ihre Erlebnisse in der Weltstadt an der Seine im Ausnahmezustand.

Folge 10: Der Schläger der Nation

Beinahe wäre ich in Paris zu Chinas Staatsfeind Nummer eins geworden. Dass es dazu nicht kam, habe ich meinem Bauchgefühl zu verdanken. Aber der Reihe nach …

Beim Mixed-Finale entschließe ich mich dazu, nicht etwa wie üblich direkt am Spielfeldrand Platz zu nehmen, sondern von der Pressetribüne zwischen den Zuschauerrängen aus, das Endspiel zu fotografieren. Letztlich setzt sich das favorisierte chinesische Duo Wang Chuqin und Sun Yingsha durch. Doch zumindest der männliche Part des siegreichen Teams ist nach dem Finale überhaupt nicht gut drauf. Im Gegenteil. Die Stimmung ist im Keller!

Wang Chuqin ist zwar gerade Olympia-Sieger geworden, hat aber dennoch ganz schlechte Laune. Fassungslos steht er da in der großen Halle und schaut auf seinen Schläger. Der ist kaputt. Wang Chuqin schüttelt den Kopf – wie konnte das nur passieren?

An dieser Stelle muss erwähnt werden, wie wichtig den Tischtennisspielern, die auf Topniveau spielen, ihre Schläger sind. In der Regel tauschen sie diese nie! Es kommt immer derselbe zum Einsatz. Immer! Zwar haben alle Akteure Ersatzschläger parat, die kommen aber tatsächlich nur im äußersten Notfall zum Einsatz. Nämlich dann, wenn der Stammschläger aus welchem Grund auch immer nicht genutzt werden kann. Und genau dieser Fall ist in Paris eingetreten.

Was genau ist denn nun passiert? Direkt nach dem letzten Ballwechsel jubelt das siegreiche chinesische Duo über den Olympia-Sieg. Doch die Freude währt nicht lange. Die Fotografen verlassen sofort nach dem letzten Ballwechsel ihre Positionen und versuchen verständlicherweise das bestmögliche Bild zu machen. Sie sind dabei nicht zimperlich und betreten einige Bereiche, die für sie eigentlich tabu sind. Survival of the fittest. Das beste Bild gewinnt.

Dann passiert das, was niemals hätte passieren dürfen. Im Eifer des Gefechts tritt ein Fotograf auf Wang Chuqins Schläger. Sicherlich keine Absicht. Als Fotograf steht man in solchen Situationen mitten in der Masse und hat nicht mehr die komplette Kontrolle über sich und seine Position. Es wird eben geschubst und gedrängelt. Man konzentriert sich komplett auf das, was man fotografieren möchte.

Die Auswirkungen sind in diesem Fall jedoch verheerend. Der Schlägergriff ist gebrochen; der Schläger somit nicht mehr zu gebrauchen. Chuqins Trainer eilt sofort herbei. Hält den kaputten Schläger dem Fotografen direkt vors Gesicht. Die Botschaft ist unmissverständlich: Was hast du nur getan!

Wang Chuqin ist nicht irgendein Spieler. Er ist die Nummer eins der Weltrangliste, China seit Jahrzehnten die dominierende Nation. Folglich macht die Meldung in der Tischtennis-Szene schnell die Runde.  So wie man 2010 vor der Fußball-WM nach der Ballack-Verletzung von „Deutschlands Wade der Nation“ sprach, ist nun von „Chinas Schläger der Nation“ die Rede.

Innerhalb kürzester Zeit erhalte ich zahlreiche Nachrichten. Und in wirklich jeder geht es dabei um Wang Chuqin und um die Frage, ob ich denn etwa der „böse Schläger-Kaputt-Treter“ sei. Ich kann die Leute beruhigen. Denn glücklicherweise habe ich die Szene von der Tribüne aus beobachtet. Nicht mittendrin also, sondern nur irgendwie dabei.

Die Sache bleibt nicht ohne Folgen. Tags darauf scheidet Wang Chuqin mit seinem Ersatzschläger in der zweiten Runde des Herren-Einzels aus. Sein Gegner, Truls Möregårdh aus Schweden, setzt sich in sechs Sätzen durch. Wangs kaputter Schläger habe keinen Einfluss auf die Partie gehabt, behauptet der siegreiche Möregårdh hinterher. Ich bin da anderer Meinung. Beide Akteure hatten zuvor achtmal gegeneinander gespielt. Achtmal hieß am Ende der Sieger Wang Chuqin.

Benni Lau

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