SPORTPSYCHOLOGIE | Markus Gretz
  18.04.2023


Im Sport setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass psycholgischen Aspekten eine wichtige Bedeutung zukommen sollte. Daher wirft die SportRegion im Jahr 2023 ein Schlaglicht auf dieses Gebiet. In der Rubrik SPORTPSYCHOLOGIE kommen Sportpsychologinnen und Sportpsycholgen zu Wort, die sich jeweils mit einem Teilaspekt auseinandersetzen. In der 6. Folge ist Markus Gretz dran.


Thema: Mehr Resilienz und Leistungsfähigkeit

Mentale Stärke ist seit vielen Jahren ein geflügeltes Wort. In den Medien und von Trainer*innen wird Sportler*innen oft diese mentale Stärke, Nervenstärke oder Willenskraft zugeschrieben oder von ihnen verlangt. Zahlreiche Mentaltrainer*innen haben den Markt erkannt und werben mit Botschaften wie „In nur 10 Wochen zu mentaler Stärke“ oder „Mit mentaler Stärke zum Erfolg“. Dabei wird vom Gehirn wie von einem Muskel gedacht und gesprochen, den man genau so oder ähnlich trainieren kann und deshalb auch so trainieren sollte.

Mit psychologischem und neurowissenschaftlichem Sachverstand kommt man aber schnell zu der Erkenntnis, dass unser Gehirn ganz anders aufgebaut ist und anders funktioniert als ein Muskel. Unser Gehirn ist viele Millionen Mal komplexer als unsere Muskulatur, was viele Herausforderungen mit sich bringt, aber auch zahlreiche Chancen und Möglichkeiten. Die Psychologie und Psychotherapie, als relativ junge Wissenschaft, hat schon zahlreiche Ansätze und Methoden gefunden und in kurzer Zeit mehrere Paradigmenwechsel hinter sich gebracht. In der aktuell „dritten Welle der Verhaltenstherapie” wird die Komplexität unseres Nervensystems nicht mehr so stark vereinfacht. Vielmehr wird nun die daraus entstehende Flexibilität der neuronalen Strukturen genutzt und gefördert. Ein Ansatz, der hierbei entstanden ist, ist die Akzeptanz- und Commitment-Therapie (kurz ACT), welche inzwischen sehr erfolgreich bei unterschiedlichen Störungen Anwendung findet. Davon profitiert auch die Sportpsychologie und entwickelte nach demselben Ansatz ACT als Akzeptanz- und Commitment-Training. Der Ansatz basiert auf der Bezugsrahmentheorie, wonach unser Gehirn immer versucht Verknüpfungen zwischen allem, was es wahrnimmt, und Informationen, die es oft sprachlich gespeichert hat, herzustellen. Diese Verknüpfungen stellen den Rahmen unseres Denkens dar. Sogenannte Frames helfen uns dabei schnell Entscheidungen zu treffen und sind überhaupt die Grundlage dafür eine sinnvolle Welt wahrzunehmen. Allerdings können solche Frames auch zu einer Unflexibilität führen. Nehmen wir ein klassisches Beispiel aus dem Sport:

Eine Turnerin hat in ihrer Kindheit immer mit Spaß trainiert, zum Spaß Wettkämpfe mitgemacht und war dort sehr erfolgreich, ohne große Nervosität. Sie hat immer wieder von unterschiedlichen Menschen den Satz gehört: „Sport soll Spaß machen.“. Mit steigendem Erfolg wird sie in den Leistungskader berufen. Dort haben auf einmal alle große Erwartungen an sie und auch sie selbst entwickelt plötzlich Ziele, die sie im Sport erreichen will. Der Sport bekommt eine gewisse Ernsthaftigkeit. Turnen macht ihr zwar immer noch Spaß, aber auf einmal kommt im Wettkampf immer mehr Nervosität auf. Tipps von ihrem Trainer, sie solle doch einfach wieder ohne Angst turnen, scheinen das Problem nicht zu beheben, sondern eher zu vergrößern. Sie hat auch im Fernsehen bei Sportübertragungen oft Sätze gehört wie: „Diese Leistung ist nur möglich, wenn man ohne Angst ran geht.“ Im Training macht ihr das Turnen weiterhin sehr viel Spaß, weil sie keine Nervosität verspürt, und dort schafft sie ihre Kür auch ohne Probleme. Doch im Wettkampf ist auf einmal so ein dumpfes Gefühl im Magen und Gedanken kommen wie „Ich werde das niemals schaffen.“ Die Turnerin hat aber in einem Buch über mentale Stärke gelesen, dass man Ziele nur erreicht, wenn man auch daran glaubt. Inzwischen machen ihr wegen dieser Erfahrungen die Wettkämpfe auch keinen Spaß mehr. Sie versucht die Angst im Wettkampf los zu werden und will wieder mit Spaß turnen und an sich glauben.

Die Turnerin ist durch ihre Frames und Glaubenssätze nicht mehr so leistungsfähig im Wettkampf, weil sie denkt man könne nur hohe Leistungen bringen, wenn man Spaß hat, keine Angst spürt und an sich glaubt. Durch den veränderten Kontext, vom Kindersport zum Leistungssport, haben sich aber ihre Gefühle und Wahrnehmung geändert. Nervosität, Druck und Angst gehören nun dazu. Dadurch, dass sie diese aber verdrängen will, kann sich sogar eine Angst vor der Angst entwickeln. Sie wird immer unflexibler und glaubt nur noch ihre Leistung bringen zu können, wenn sie sich zu 100% sicher fühlt.

ACT entwickelt Flexibilität durch Offenheit, Bewusstsein und engagiertes Handeln

Anders als im klassischen Mentaltraining, bei dem mentale Stärke aufgebaut werden soll, indem man Entspannungstraining macht und versucht negative Gefühle und Gedanken durch positive Selbstgespräche und Affirmationen zu verdrängen, ist bei ACT das Ziel die Gefühle und Gedanken anzunehmen, einzuordnen und trotz negativer Gefühle und Gedanken handlungsfähig zu bleiben. Jeder kennt es, „Denk nicht an den rosa Elefanten“ produziert sofort Bilder von genau diesem rosa Elefanten in unseren Gedanken. Unser Gehirn ist bildlich gesprochen ein Gedanken- und Gefühlsvulkan. Wir können nicht kontrollieren, was für Gefühle und Gedanken in welchem Moment kommen. Schon ein kleiner äußerer Reiz kann eine ganze Kaskade an Gedanken und Gefühlen auslösen.

Wenn man mit Goldmedaillengewinnern der olympischen Spiele spricht, sagen viele davon, dass sie noch nie so nervös vor einem Wettkampf waren. Und trotzdem haben sie ihre beste Leistung gebracht, weil sie es geschafft haben sich flexibel an die unangenehmen Gefühle und Gedanken anzupassen und ihr Handeln nicht davon abhängig zu machen. Durch Akzeptanz und Commitment-Training versuchen wir deshalb mit Athletinnen einen annehmenden Blick auf Gedanken und Gefühle zu trainieren, dabei ganz im Moment zu sein, handlungsfähig zu bleiben und sich auf das, was einem wichtig ist, zu besinnen. Dafür helfen die 6 Techniken des ACT Hexaflex-Modells (Achtsamkeit, Akzeptanz, Kognitive Defusion, Selbst als Kontext, Engagiertes Handeln, Werte).

Achtsamkeit

Schon an das Ergebnis zu denken oder über Fehler zu grübeln, holt uns aus dem Moment heraus und zieht unsere Aufmerksamkeit in die Zukunft oder die Vergangenheit. Achtsamkeitsmethoden, bei denen wir unsere Sinne schärfen, helfen Athlet*innen im Moment zu bleiben.

Akzeptanz

Wenn wir Gefühle und Gedanken vermeiden wollen, kommen diese oft verstärkt zum Vorschein, da unser Gehirn das Wort NICHT nicht so gut versteht. Mit Akzeptanz-Übungen lernen Athlet*innen unangenehme Gefühle und Gedanken anzunehmen.

Kognitive Defusion

Wenn ein Athlet oder eine Athletin im Wettkampf mit seinen Gedanken verschmolzen scheint und den Gedanken nicht unter Nervosität performen zu können als Realität ansieht, wird es schwierig sich auf das Handeln zu konzentrieren. Deshalb lernen Athlet*innen hier sich von dieser Verschmelzung zu lösen und Gedanken als Gedanken zu entlarven.

Selbst als Kontext

„Ich bin immer so unsicher.“ oder „Nur wenn ich an mich glaube, bringe ich meine Leistung.“ Ein solch starres Selbstkonzept kann Handlungsmöglichkeiten einschränken. Deshalb versuchen wir mit Athlet*innen neue Blickwinkel auf das eigene Selbst zu gewinnen und dadurch mehr Handlungsoptionen zu bekommen.

Engagiertes Handeln

Wenn schon innerlich aufgegeben wird und nur noch der Autopilot im Wettkampf läuft, sinkt die Chance auf ein gutes Ergebnis. Wir arbeiten deshalb mit Athlet*innen daran, sich auf die Handlungen zu fokussieren, die sie beeinflussen können und die am meisten zu einer guten Leistung beitragen.

Werte

Wenn Athlet*innen nicht klar ist, warum sie sich dem unangenehmen Wettkampfgefühl aussetzen, fühlt es sich oft wie fremdgesteuert und sinnlos an. Diesen Sinn im Handeln versuchen wir durch die Beschäftigung mit den eigenen Werten zu entdecken.

Zurück zu unserer Turnerin. Wenn sie es schafft, sich flexibel an die neue Situation mit all ihren Gefühlen und Gedanken anzupassen, wird sie vermutlich wieder handlungsfähiger im Wettkampf sein und ihre Leistung bringen können, wenn das in ihrem Wertesystem wichtig ist. Wenn sie allerdings entdeckt, dass ihr der Spaß am Sport wichtiger ist, kann sie ihre Handlungen in diese Richtung lenken und sich neu ausrichten. Durch ACT hat sie jedenfalls gelernt auch mit unangenehmen Gefühlen, Gedanken und Situationen klarzukommen, ohne mental stark sein zu müssen.

Lektüre

Hegarty, J., Huelsmann, C., Oakamoor, U. K., River, D., & Piasecki, P. A Review: ACT in Sport: Improve Performance through Mindfulness, Acceptance, and Commitment.

Hayes, S. C., Wilson, K. G., & Strosahl, K. D. (2014).Akzeptanz-& Commitment-Therapie: Achtsamkeitsbasierte Veränderungen in Theorie und Praxis. Buch+ E-Book. Junfermann Verlag GmbH.


Markus Gretz (34) aus Leutkirch im Allgäu hat im Bachelor Sportwissenschaften und Psychologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena studiert. Anschließend erfolgte ein Wechsel an die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, wo er den Master in Angewandter Sportpsychologie absolvierte. Neben dem Studium und nach seinem Masterabschluss arbeitete er als hauptamtlicher Basketball-Trainer im Nachwuchsleistungssport und etablierte sich als selbständiger sportpsychologischer Berater und Coach in Ulm, wo er auch Sportler*innen in Kooperation mit dem Olympiastützpunkt Stuttgart betreut. Seit 2021 ist er mit 50 % Leiter der Sportpsychologie am Nachwuchsleistungszentrum des SSV Ulm 1846 Fussball. Neben ACT bedient er sich zahlreicher anderer verhaltenstherapeutischer und systemischer Methoden und nutzt vermehrt auch Bio- und Neurofeedback-Training, um den Klient*innen die Funktionen ihres Körpers und Gehirns direkt erlebbar zu machen. Außerdem schreibt er immer wieder Beiträge für die Seite DIE SPORTPSYCHOLOGEN und ist gefragter Experte der Presse und Medien.

Mehr Infos: https://www.mg-sportpsychologie.de/ und https://www.die-sportpsychologen.de/

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