SPORTPSYCHOLOGIE | Dr. Stephan Munz
05.10.2023
Im Sport setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass psycholgischen Aspekten eine wichtige Bedeutung zukommen sollte. Daher wirft die SportRegion im Jahr 2023 ein Schlaglicht auf dieses Gebiet. In der Rubrik SPORTPSYCHOLOGIE kommen Sportpsychologinnen und Sportpsycholgen zu Wort, die sich jeweils mit einem Teilaspekt auseinandersetzen. In der 14. Folge ist Dr. Stephan Munz dran.
Thema: Ganzheitlich Motivieren in der Praxis
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung weiblicher und männlicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für alle Geschlechter.
Einleitung
„Wenn alle Variablen gleich sind, macht Motivation den Unterschied. Motivation ist der größte Einflussfaktor, um Erfolg und Expertise in allen Belangen des Lebens zu erreichen“ (Jeffrey Huber – Olympic Coach). Doch was genau ist Motivation und wie können wir Motivation verstehen und beeinflussen? Motivation bezieht sich auf Bewegung und Antrieb. Motivation sichert dabei den langanhaltenden Einsatz von Kräften und hilft Inaktivität und Müdigkeit zu überwinden. Sie unterstützt uns auch, Ziele zu stecken und diesen treu zu bleiben. Kurz gesagt bestimmt Motivation über Richtung, Intensität und Dauer unseres Handelns (Weiner, 1996; Comeli & von Rosentiel, 2011).
Schaut man jedoch genauer in die Literatur, erkennt man schnell, dass Motivation ein sehr diffuses und theoretisches Konstrukt ist. Schon im Jahr 2005 gab es mehr als 24 Minitheorien der Motivation (Reeve, 2005) und diese Zahl ist bis heute auf über 30 angestiegen. Für lehrende Personen in der Praxis erschwert dies den Umgang mit dem Thema Motivation und dessen Einflussnahme.
Dieser Beitrag präsentiert einen ganzheitlichen, interdisziplinären Ansatz aus der Pädagogischen Psychologie, welcher eine Vielzahl von den bisherigen Minitheorien zusammenfasst und dabei ein einfaches Konstrukt für die Anwendung in der Praxis vorstellt (für mehr Details siehe Munz & Jones, 2021).
Das MUSIC Model
Das MUSIC Model der Motivation (Jones, 2009) basiert auf fünf motivationalen Bedürfnissen: (eMpowerment = Autonomie, Usefullness = Nützlichkeit, Success = Erfolg, Interest =Interesse, Caring = Fürsorge), welche lehrende Personen beim Design von Lernsituationen in Betracht ziehen und entwickeln können.
Die Schlüsselprinzipien des Models sind dabei, dass Lernende: (a) das Gefühl der Autonomie beim Lernen besitzen und teilweise eigene Entscheidungen über Ihren Lernprozess treffen können, (b) verstehen warum das, was sie lernen, nützlich für Ihre kurzfristigen und langfristigen Ziele ist, (c) glauben, dass sie erfolgreich sein können, wenn sie sich anstrengen, (d) persönliches und situationales Interesse an den Lerninhalten und Instruktionen zeigen und (e) sich sicher sind, dass den lehrenden Personen ihr Lernprozess am Herzen liegt und diese sich um sie kümmern.
Wenn die fünf motivationalen Bedürfnisse des Models von Lernenden hoch bewertet werden, steigen Motivation, Engagement, Lernerfolg, Kreativität und Performanz signifikant an. Dies zeigen eine Vielzahlt von Studien über das MUSIC Model (siehe auch Chittum & Jones, 2017; Gladman, Gallagher, & Ali, 2020; Hansen et al., 2019; Jones & Skaggs, 2016). Doch was bedeutet das für die Praxis und wie können die Komponenten des Models im Sport angewendet werden?
1. eMpowerment – Autonomie
Die eMpowerment Variable zielt darauf ab, dass Sportler eine gewisse Kontrolle über ihren eigenen Lernprozess haben. eMpowerment ist in der Selbstbestimmungtheorie (Self-Dertermination Theory verankert [Ryan & Deci, 2020]). Sportler haben ein gewisses Bedürfnis nach Autonomie.
Frage: Haben Athleten das Gefühl, dass sie Aspekte ihrer Trainings- und Leistungsentwicklung kontrollieren können?
- Als Landes- und Bundesnachwuchstrainer in der Leichtathletik versuche ich immer, dass meine Athleten gewisse Aspekte Ihres Trainings selbst kontrollieren können. Hier geht es nicht darum, dass Athleten tun und lassen können, was sie wollen. Ziel ist es, dass sie Entscheidungen in einem gesteckten Rahmen übernehmen. Zum Beispiel gebe ich meinen Athleten die Wahl, zwischen verschiedenen Warm-Up, oder Cool-Down Routinen zu entscheiden. Der Trainingsprozess und Inhalt werden zu ihrem eigenen Produkt, dessen Wertigkeit durch Mitbestimmung steigt. Zudem sollten die Perspektiven, Gefühle und Rückmeldungen der Athleten in den täglichen und wöchentlichen Trainingsprozess miteinfließen.
Athleten sollten die Möglichkeit bekommen, Initiative zu ergreifen, unabhängig zu arbeiten und eine aktive Rolle im Trainingsalltag zu übernehmen. Beispiel: In meinem Disziplinbereich Stabhochsprung ist die turnerische Komponente ein entscheidender Bestandteil im Training. Hier versuche ich älteren Athleten (mit eventueller vorangegangener Turnerfahrung) Verantwortung zu übertragen. Die älteren Athleten sind verantwortlich, jüngeren Athleten die richtige Ausführung der spezifischen Turnübungen beizubringen. Ich bin auch ein Verfechter davon, dass junge Athleten früh in eine Trainerrolle kommen und Verantwortung nicht nur für sich, sondern auch für andere im Team übernehmen. Dies steigert nicht nur die Identifikation für die Sache, sondern auch das eigene Knowhow für die Disziplin und die eigene Entwicklung.
2. Usefulness – Nützlichkeit
Die Usefulness Komponente basiert auf dem Wertaspekt der Erwartungs-mal-Wert-Modelle von Eccles & Wigfield (2020). Sie bezieht sich auf Strategien, die Individuen helfen zu verstehen, warum sie eine Aktivität machen und wie diese im Einklang mit ihren kurzfristigen und langfristigen Zielen ist. Wenn eine junge Stabhochspringerin das langfristige Ziel hat, deutsche Jugendmeisterin zu werden, dann ist es wahrscheinlicher, dass sie täglich hart und zielstrebig trainiert, wenn das tägliche Training ihr hilft, dieses Ziel auch zu erreichen. Sie wird zudem die Bereitschaft entwickeln, Dinge zu tun, welche von Natur aus keine Freude bereiten, aber wichtig für ihre Leistungsentwicklung sind.
Frage: Verstehen Athleten, warum sie spezielle Einheiten und Übungsformen machen und wie diese Aktivitäten in Übereinstimmung mit Ihrer Leistungsentwicklung stehen?
- Trainer sollten regelmäßig erklären, warum sie spezielle Trainingsinhalte implementieren und wie das Training den Athleten hilft, besser zu werden. Es gibt nichts schlimmeres für die Motivation, als schwere und anstrengende Aufgaben erledigen zu müssen, welche für die betreffende Person, oder für die Sache keinen Sinn ergeben. Erkläre immer das Warum!
Extra Tipp: Orientierung an den Besten! Aktuelle Bilder oder Videos aus Training oder Wettkampf von Weltklasseathleten & Vorbildern kann ein kraftvolles Motivationstool für Nachwuchssportler sein. Was machen die Besten unserer Zunft und wie kommen wir Ihnen näher?
Trainer können ihren Athleten helfen, effektive Kurz- und Langzeitziele zu formulieren. Athleten bewerten die Nützlichkeitskomponente höher und sind motivierter, wenn sie effektive Ziele für ihr Handeln haben. Kurzzeitziele fungieren als strukturierte Guidelines auf einer täglichen Basis. Sie sind objektiv, spezifisch und messbar. Langzeitziele hingegen sind inspirierend und helfen beim Durchlaufen von schweren Phasen (Kristiansen et al. 2008)
3. Success – Erfolg
Die Erfolgsvariable ist vor allem in den Erwartungs-mal-Wert-Modellen (Eccles & Wigfield, 2020) und Selbstwirksamkeitstheorien (Bandura, 1997) integriert. Athleten sind motivierter, wenn sie das Gefühl haben, dass sie erfolgreich sein können. Athleten mit hoher Selbstwirksamkeit arbeiten intensiver und haben ein besseres Durchhaltevermögen. Die besten Athleten bei den olympischen Spielen haben im Voraus das höchste Selbstvertrauen in ihre Leistungsfähigkeit (Gould et al. 1999). Ziel von Trainern muss es demnach sein, eine Trainingsumgebung zu schaffen, in welcher Athleten Selbstvertrauen entwickeln können.
Frage: Glauben Athleten daran, dass sie in der gegebenen Trainingsumgebung ihr volles Leistungspotential ausschöpfen können?
- Trainer sollten klare Erwartungen an ihre Athleten formulieren und aufzeigen, was es benötigt, um erfolgreich zu werden. Beispiele hierfür sind klare Regeln und Verhaltensmuster, welche im Trainingskontext erwartet werden. Trainer sollten auch ihre Philosophie darstellen und wie sie Leistung & Erfolg definieren. Dies kann Athleten helfen, um sich selbst einzuschätzen und um zu erfahren, wie sie ihr Leistungspotential entwickeln und abrufen können.
- Trainer müssen die Leistungsfähigkeit ihrer Athleten konstant bewerten und einschätzen. Inwieweit sind meine Athleten physisch, mental und emotional für die Inhalte von Training und Wettkampf vorbereitet? Zum Beispiel wäre es schädlich, einen Kaderneuling ohne vorangegangene Erfahrung alleine in den Kraftraum zum Maximalkrafttraining zu schicken. Die Lernumgebung muss auf den Entwicklungsstand des Lernenden angepasst werden, sodass dieser Erfolgserlebnisse entwickeln und daran wachsen kann.
Trainer sollten ihren Athleten regelmäßiges Feedback geben. Es ist wichtig, dass Athleten wissen, wo sie im Trainingsprozess stehen und wie ihre momentanen Leistungen einzuordnen sind. Neben dem Feedback von Trainerseite, können regelmäßige quantifizierbare Tests wichtige Orientierungspunkte liefern. Sind die Tests gut, steigt das Selbstvertrauen. Bei schlechten Ergebnissen kann man rechtzeitig intervenieren und im Saisonverlauf Schlimmeres verhindern.
4. Interest – situationales/persönliches Interesse
Die Variable Interesse zielt darauf ab, Athleten durch interessante und freudige Trainingsinhalte zu motivieren. Wissenschaftler unterscheiden zwischen zwei Typen der Variable: situationales und persönliches Interesse (Hidi & Renninger, 2006). Situationales Interesse bezieht sich auf den temporären Status der Aufmerksamkeit, Beteiligung und Engagement. Dabei geht es um die Frage, ob ein Athlet in der gegebenen Trainingsumgebung sich konzentriert und die Aufmerksamkeit auf die wesentlichen Dinge legt. Persönliches Interesse beschreibt die Prädisposition oder Passion, die ein Individuum bei einem Thema oder Bereich hat. Bei Athleten thematisiert persönliches Interesse die Leidenschaft für das leistungssportliche Handeln. Zudem wird die eigene Identifikation mit der leistungssportlichen Entwicklung beschrieben.
Frage 1: Zeigen Athleten Interesse am Training und gehen sie gerne hin?
- Trainer sollten einladende und gut organisierte Trainingseinheiten konzipieren. Lange Wartezeiten bei Übungen, schlechte Abläufe und keine klaren Ansagen können Langeweile und Desinteresse hervorrufen. Spielerische Aspekte, Humor, kleine Wettkämpfe, Metaphern und Wetten sind dagegen hilfreiche Tools bei der Trainingsgestaltung.
- Trainer können Strategien entwickeln, um die weniger interessanten Aspekte des Trainings lebendiger zu gestalten. Im Sport ist Training nicht immer ein Vergnügen. Die vielen Drills, Wiederholungen und detailorientierte Arbeit sind oft langweilig und monoton. Mit meinem Stabhochsprungkader versuche ich regelmäßig neue, innovative Übungen zu entwickeln, um Abwechslung und Begeisterung zu erzeugen. Dabei sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt.
Frage 2: Können sich Athleten optimal konzentrieren?
Trainer ermöglichen es Athleten, dass sie sich im Training optimal konzentrieren können. In entscheidenden Lern- und Übungsmomenten sollten Trainer externe Störvariablen, wie Lärm, Gespräche und Handynutzen kontrollieren. Durch mentales Training, wie Atemübungen, Visualisierung und Self-Talk, lernen Athleten zusätzlich Ihren mentalen Status und ihre Konzentrationsfähigkeit positiv zu beeinflussen. Mentales Training ist wie körperliches Training. Es benötigt Zeit und Wiederholung, um besser zu werden
5. Caring – Fürsorge
Das Gefühl der Zugehörigkeit und Sicherheit ist essentiell für Athleten. Wohlbefinden und Erfüllung sind beeinflusst durch die Qualität der Beziehungen zwischen Athleten, Trainern und anderen Teammitgliedern. Eine gesunde Trainer-Athleten Beziehung, welche auf Vertrauen, Respekt, Kooperation und Engagement besteht, führt zu höherer Motivation, Trainingsqualität und Bereitschaft den Trainingsprozess zu optimieren (Adie & Jowett, 2010).
Frage: Glauben Athleten, dass ihr Trainer sich sowohl um ihr athletisches, als auch seelisches Wohlbefinden kümmert?
- Trainer sollten immer ein offenes Ohr für ihre Athleten haben. Durch Meetings, Jahresgespräche und regelmäßige Kommunikation können Trainer zeigen, dass sie für ihre Athleten da sind. Ein ständiger Austausch dient nicht nur dazu den Athleten zu vermitteln, dass man sich kümmert, sondern Trainer erhalten auch wertvolle Informationen über den psychischen und physischen Zustand ihrer Athleten. Oberste Priorität hat dabei der vertrauliche Umgang von persönlichen und sensitiven Informationen!
- Fokus auf verletzte Athleten: Im stressigen Trainingsalltag und bei der Betreuung von mehreren Athleten liegt der Fokus meist nicht auf den verletzten Athleten. Diese fühlen sich oftmals vernachlässigt und orientierungslos in ihrem Reha-Prozess. Hier ist es wichtig, dass Trainer den verletzten Athleten zeigen, dass sie da sind und einen klaren Plan für ihre Rückkehr haben. Eine gute Kommunikation zwischen Trainer, Athlet und medizinischen Team ist zudem förderlich.
- Team-Building: Gemeinsame Essen, Team-Tage, Mannschaftsmottos & Teamsymbole stärken das „Wir-Gefühl“ und tragen zum allgemeinen Zusammenhalt und Wohlbefinden der Gruppe bei.
Das MUSIC Model kann für Trainer und Praktiker ein nützliches Tool sein. Zum einen bietet das Model ein organisatorisches Gerüst, welches die wichtigsten motivationalen Konzepte zusammenfasst. Zum anderen schafft es einen Überblick über die wichtigsten motivationalen Bedürfnisse von Lernenden, welche letztendlich Leistung und Identifikation im Sport steigern können.
Dr. Stephan Munz ist Landes- und Bundesnachwuchstrainer im Disziplinbereich Stabhochsprung am Olympiastützpunkt in Stuttgart. Nach seinem Sportwissenschaftsstudium an der Universität Stuttgart, studierte er sechs Jahre an der Virginia Tech Universität (USA), wo er seinen Master und Promotion im Fachbereich Psychologie absolvierte. Nach seinem Abschluss arbeitete Dr. Munz ein Jahr als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Leichtathletiktrainer an der University of Georgia (USA).