SPORTPSYCHOLOGIE | Dr. Frieder Beck
  16.02.2023


Im Sport setzt sich immer mehr die Erkenntnis durch, dass psycholgischen Aspekten eine wichtige Bedeutung zukommen sollte. Daher wirft die SportRegion im Jahr 2023 ein Schlaglicht auf dieses Gebiet. In der Rubrik SPORTPSYCHOLOGIE kommen Sportpsychologinnen und Sportpsycholgen zu Wort, die sich jeweils mit einem Teilaspekt auseinandersetzen. In der 3. Folge ist Dr. Frieder Beck dran.


Thema: Sport mit Köpfchen – Sport fürs Köpfchen?

Stehen bei Ihnen im Beruf, Alltag oder Leben wichtige Aufgaben oder Prüfungen an, die Ihren ganzen Hirnschmalz einfordern, habe ich eine kleine Überraschung für Sie: Sie können die Turbotaste für Ihre geistige Leistungen drücken! Sie können Ihre kognitive Leistung kurzzeitig bis zu einer halben Stunde auf Maximalleistung bringen! Wie es geht? Es ist verblüffend einfach: Bewegen Sie sich! Das klingt sicherlich zunächst seltsam. Die Hirnforschung der letzten Jahre zeigt es jedoch klar: Konzentration, Merkfähigkeit, Behaltensleistung, kognitive Flexibilität, Selbstdisziplin, Selbstregulation, Inhibition und Arbeitsgedächtnis – alles, was Sie für beruflichen, schulischen oder akademischen Erfolg benötigen, wird während Bewegung und bis zu einer halben Stunde danach maximal hochgefahren.

Hier fragen Sie sich zurecht, wie verkehrt unsere menschliche Natur eigentlich arbeitet. Dort, wo Menschen Ihre maximalen geistigen Leistungen benötigen, wie beispielsweise im Büro am Schreibtisch oder Telefon, in der Schule vor dem Arbeitsblatt oder auf dem heimischen Sofa über dem Vorlesungsskript, arbeiten sie geistig unterhalb der Maximalstufe. Und auf dem Fußballfeld oder Tennisplatz, in der Schwimmhalle, beim Joggen oder Radfahren, wo geistige Leistungen eher in den Hintergrund treten, da fährt der menschliche Geist mit Volllast! Schuld an diesem Umstand ist unsere Stammesgeschichte.

Wir können unsere moderne Welt geistig erfassen, Auto fahren, Computer bedienen und den Rasen mähen, da das Gehirn eine Lernmaschine ist. Aufgrund der vergleichsweisen langsamen Generationsfolge des Menschen wurden die Architektur und der Feinaufbau unseres Denkapparates jedoch seit 30.000 Jahren kaum verändert. Zur Zeit des letzten Updates unserer Gehirnstruktur sah die Welt vollkommen anders aus. Unsere Vorfahren waren zu dieser Zeit als Sammler und Jäger viel unterwegs. Um Nahrung zu beschaffen oder neue Behausungen zu finden, mussten sie ihr Lager verlassen und sich in eine gefährliche Umgebung begeben. Dort stellten sich für unsere Vorfahren nicht nur die höchsten Anforderungen für Ihren Körper, sondern auch für ihre Kognition. Nur diejenigen konnten ihre Gene an uns weitergeben, die auf der Jagd und der Suche nach Nahrung besonders wachsam und aufmerksam waren, sich an die Verstecke der Nahrung und die Wege zurück zur Gruppe erinnern konnten, die bei erkannter Gefahr oder Beute schlagartig leise waren und sich rechtzeitig für die Flucht entscheiden oder sich leise und konzentriert an die Beute anschleichen konnten. In Urzeiten waren die höchsten kognitiven Herausforderungen immer an Bewegung gebunden.

Heute befinden wir Menschen uns im Lichte der Evolution hinsichtlich Bewegung in einer Defizitsituation. Werden wir in unserer generell bewegungsarmen modernen Welt körperlich aktiv, aktivieren wir ein 30.000 Jahre altes Signal, wachsam zu sein und den Geist hochzufahren. Wir erhöhen kurzzeitig unsere geistigen Leistungen. Die Biegebelastung der Knochen und die Aktivität der Muskulatur führen zur Ausschüttung von Signalstoffen und Wachstumsfaktoren, die nicht nur sofort unsere geistigen Leistungen hochfahren, sondern auch langfristig die Dichte und das Volumen unserer Gehirnstruktur erhöhen und zu einer Vermehrung von Synapsen führen, den organischen Bauteilen der Neuroplastizität. Sie lesen richtig! Bewegen Sie sich regelmäßig, werden nicht nur Ihre Muskulatur und Ihre Knochen stärker, auch Ihr Gehirn legt an Masse zu. Insbesondere Ihr Stirnhirn und Ihre Hippocampi profitieren dabei. Diese beiden sind Ihre neuronale Zentrale für Handlungsplanung, Arbeitsgedächtnisvorgänge, Kreativität und emotionale Regulation. Also die entscheidenden mentalen Fähigkeiten, die für schulischen oder beruflichen Erfolg entscheidend sind. Dabei ist es unserem Gehirn egal, ob wir Bälle treten oder diesen nachrennen, einen Tanzkurs absolvieren, für das Sportabzeichen trainieren, uns an Gewichten austoben, über Berge wandern oder durch Wälder radeln. Ihr Köpfchen wird dabei in Hirndünger baden. Also ab zum Sport!


Dr. Frieder Beck ist Sportwissenschaftler, Hirnforscher, Lehrer für Mathematik und Sport. Beck war 13 Jahre lang Trainer der Deutschen Nationalmannschaft Ski Freestyle. Er ist Autor u.a. von „Bewegung macht schlau“ (Goldegg-Verlag, 2021) und zahlreicher Fachpublikationen. Frieder Beck hat an der Universität Heidelberg promoviert und hält Vorträge bei Unternehmen und Trainerinnen und Trainer im Leistungssport - u.a. der höchsten Spielklassen im Fußball und Handball. Sein Forschungsbereich sind die Bewegungsneurowissenschaften. Er ist gefragter Keynotespeaker im Bereich der Neurobiologie des Lernens und der Motivation sowie der Förderung exekutiver Funktionen und der geistigen Leistung.

Mehr Infos: https://www.goldegg-verlag.com/beteiligte/beck-frieder/

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