Rollstuhltischtennis | Frickenhausen tritt in der Bundesliga an
  02.04.2020


Zwei Jahre nach dem freiwilligen Rückzug des TTC Frickenhausen aus der 2. Tischtennis-Bundesliga wird es in der Sporthalle auf dem Berg im Erich-Scherer-Zentrum Frickenhausen künftig wieder Bundesliga-Tischtennis zu sehen geben. „Wir wollen eine neue Ära nach dem Profigeschäft einleiten“, sagt Erich Unger, der Präsident des aus TTC und TSV fusionierten Vereins „Tischtennis Frickenhausen“. Ab Herbst spielt TT Frickenhausen in der Rollstuhl-Tischtennis-Bundesliga und hat dafür eine eigene Behindertensportabteilung gegründet.

Die erste Mannschaft, die künftig für den Täles-Club in der höchsten „Rolli“-Spielklasse an den Start geht, besteht aus dem zweimaligen Paralympics-Teilnehmer Thomas Brüchle (Weltrangliste Nummer 4 in der Schadensklasse WK3) und dem Iren Colin Judge. Beide spielten in der vergangenen Saison für den SV Salamander Kornwestheim und belegten in der Bundesliga-Abschlusstabelle den vierten Platz. Sechs weitere Rollstuhlfahrer kämpfen zudem in unteren Ligen beziehungsweise bei Para-Turnieren für TT Frickenhausen um Punkte, ebenso zwei „Fußgänger“, Michael Roll, dem der linke Unterarm fehlt, und der geistig behinderte Sebastian Rösenberg. „Der gesamte Verein hat die Planungen von Anfang an sehr positiv und aufgeschlossen aufgenommen, und unser Ziel ist es, eine Anlaufstelle und eine Hochburg für Spielerinnen und Spieler mit körperlichen Einschränkungen zu werden“, verrät Jürgen „Max“ Veith, auch bei TT Frickenhausen Manager, Motor und „Mädchen für alles“.

Die neue Entwicklung kam zustande, weil Anika Müller sich in den beiden letzten Jahren bei Salamander Kornwestheim um die Organisation vorwiegend des Bundesliga-Teams gekümmert hatte. Die 24-Jährige, die in Ludwigsburg ihren Master für Lehramt Sonderpädagogik „baut“, spielt seit ihrem achten Lebensjahr Tischtennis. „Eine Freundin hat mich damals ins Training mitgenommen, ich habe später auch eine Zeitlang die TTC-Jugend trainiert und mit der Frauenmannschaft in der Oberliga gespielt“, erinnert sie sich. 2014 legte Anika Müller am Nürtinger Max-Planck-Gymnasium ihr Abitur ab, später wurde sie Trainerin des Landeskaders im Rollstuhl-Tischtennis. Dabei lernte sie dann Thomas Brüchle kennen, und beide wurden ein Paar.

Auf ihre Initiative hin richtete TT Frickenhausen im November 2019 einen Spieltag der Rollstuhl-Bundesliga aus. „Die Resonanz sowohl bei den Besuchern als auch in der Berichterstattung war außergewöhnlich gut“, blickt sie zurück, „im Laufe des Tages kamen fast 100 Zuschauer, sonst sind es maximal zehn“. Für „Max“ Veith ist das Interesse des Tischtennis-Publikums im Täle erklärbar: „Die Paras bieten ganz besondere und sehr gute sportliche Leistungen, da kann man nur den Hut ziehen!“ Er verweist darauf, dass Thomas Brüchle, der im Alter von zehn Jahren durch eine plötzliche Rückenmarksblutung in den Rollstuhl gezwungen wurde, auch bei den Nichtbehinderten große Erfolge im Tischtennis vorweisen kann. So spielte er Jahre lang bei seinem Heimatverein TSG Lindau-Zech in der ersten Männermannschaft und stieg mit dem SV Deuchelried bis in die Verbandsklasse auf. Ob er auch bei TT Frickenhausen in der Männermannschaft (derzeit Landesklasse) zum Einsatz kommen wird, steht noch nicht fest. „Sagen wir es mal so: Es schaut sehr gut aus. Einzelheiten müssen noch geklärt werden, aber TT Frickenhausen ist meine erste Wahl“, so der Rechtshänder.

Schaut man beim Rollstuhltischtennis zu, fällt schnell auf, dass es etwas anders abläuft als man es vom regulären Spielbetrieb gewohnt ist. Das bestätigt auch Thomas Brüchle. „Rollstuhltischtennis ist etwas komplett anderes. Es ist viel mehr von Taktik geprägt, weil man immer auf die Schwäche des Gegners spielt, wo er sich nicht hinbewegen kann. Bei den Nichtbehinderten geht es mehr über Schnelligkeit, und ich versuche, den Gegner auszublocken.“ Der 43-Jährige gewann mit dem deutschen Team bei den Paralympics sowohl in London 2012 als auch in Rio de Janeiro 2016 die Silbermedaille, wurde mit einem Sieg im Finale gegen China 2014 Mannschafts-Weltmeister (diesen Titel verteidigte Deutschland 2017) und holte insgesamt sechs Titel bei Europameisterschaften. Seit Juni 2011 spielt er ununterbrochen fürs Nationalteam.

„Die Verlegung der Paralympics wegen der Corona-Pandemie in das kommende Jahr war die komplett richtige Entscheidung, die Gesundheit aller Spieler, Betreuer, Familien, Volunteers, Zuschauer und Einwohner steht im Vordergrund“, kommentiert der Lehrer an der Grund- und Werkrealschule Kressbronn den Aufschub. „Zudem ist jetzt der Druck etwas weg. Durch das fehlende Training in der Halle und die Absage aller Turniere war die perfekte Vorbereitung für so ein Ereignis in weite Ferne gerückt.“ So heiße es jetzt bald: „Fokussieren auf Tokio 2021!“

Gleiches gilt auch für seinen Doppel-Partner Colin Judge. Seit der abgelaufenen Saison spielt Brüchle mit dem am kommenden Sonntag 25 Jahre alt werdenden Iren, der 2017 Europameister im Einzel und dreimal irischer Meister wurde. Seine Ziele lauten klar und eindeutig „Teilnahme an Weltmeisterschaften und an Paralympischen Spielen“. In der Saison 2019/2020 belegten Brüchle/Judge in der Bundesliga den vierten Platz, Meister wurde zum fünften Mal in Folge Borussia Düsseldorf. Zweiter war der RSV Bayreuth 1 vor der RSG Koblenz. Auf Rang fünf kam der RSC Frankfurt/Main, gefolgt von der BSG Duisburg und der zweiten Bayreuther Mannschaft. Alstersport Hamburg zog im Laufe der Saison sein Team zurück. Gespielt wird pro Saison an zwei Vorrunden- sowie an zwei Rückrundenspieltagen, jedes Team tritt zweimal gegen jede andere Mannschaft an.

Eine Blutung im Rückenmark im Alter von zehn Jahren sei vermutlich der Grund für seine Behinderung, sagt Thomas Brüchle. Genau untersucht worden sei es nie. „Es kam praktisch über Nacht.“ Die Antwort auf die Frage, wie man mit einem solchen Schicksalsschlag umgeht, fällt kurz und knapp aus. „Die Ärzte haben gesagt, es war ein gutes Alter, noch vor der Pubertät“, sagt er und betont: „Es ist nicht so, dass ich mich daran gewöhnt habe, aber ich mache das Beste daraus.“

Früher hat Thomas Brüchle Fußball gespielt, „doch dann bin ich in den Rollstuhl gekommen und habe mit Tischtennis angefangen“. Ein Bekannter habe ihn, als er zwölf war, mitgenommen, „es ist mir von Anfang an leicht gefallen. Ich habe, glaube ich, schon ein gewisses Ballgefühl“. Dass er im Rollstuhl sitzt, ist für ihn nichts Besonderes mehr. „Ich kenne es ja nur so“, sagt er. Seine Mitspieler, die „Fußgänger“ der TSG Lindau-Zech, hatten schnell einen Spitznamen für ihren erfolgreichsten Spieler – sie nannten ihn „Rollerboy“. Seiner Meinung nach ist Tischtennis der einzige Sport, bei dem er mit den „Fußgängern“ mithalten könne.

Brüchle hat an der Grund- und Werkrealschule Kressbronn ein volles Deputat als Lehrer. Wichtig ist ihm auch dabei die Abwechslung. So unterrichtet er genauso gerne Viertklässler wie auch die älteren Schüler in den Abschlussklassen. „Der Umgang mit Menschen, gerade Kindern und Jugendlichen, hat mir schon immer Spaß gemacht“, sagt er und fügt hinzu: „Kinder fragen direkt, und dann ist es für sie ganz normal, mir etwa die Türe aufzuhalten.“

Zweimal Team-Gold (2014, 2017) und Einzelbronze (2018) gewann der 43-Jährige bei Weltmeisterschaften. Bei kontinentalen Titelkämpfen wurde er sechs Mal Europameister (2011, 2013, 2015, 2017, 2019 im Team sowie 2015 im Einzel) und holte zudem die Silbermedaille im Einzel (2011) und drei Mal Einzel-Bronze (2013, 2017, 2019). Im November 2016 wurde er vom Bundespräsidenten mit dem Silbernen Lorbeerblatt, der höchsten Auszeichnung für Sportler in Deutschland, geehrt. Aktuell rangiert Brüchle auf dem vierten Platz der Weltrangliste, seine beste Platzierung war im November 2019 der dritte Rang.

Für die Paralympics 2020 war der Neu-Frickenhausener aufgrund seiner Weltranglistenplatzierung und der 2019 gespielten Turniere schon qualifiziert. Jetzt peilt er natürlich die Paralympics 2021 an. Nach dem bisher schönsten Moment seiner sportlichen Karriere gefragt, antwortet Thomas Brüchle: „Das ist echt sehr schwer zu sagen. Ich kann aber vielleicht meine Top 3 nennen: Der erste WM-Titel im Team in Peking 2014 im Finale gegen China, die Silbermedaille bei meinen ersten Paralympics 2012 in London und der EM-Titel 2015 im Einzel in Dänemark.“

Jetzt gilt seine ganze Konzentration seinem neuen Verein und der sportlichen Zukunft nach Corona: „Ich trainiere ja bereits seit etwa zwei Jahren regelmäßig in Frickenhausen. Die Bedingungen dort sind ideal. Beim Bundesligaspieltag im November, der von TT Frickenhausen ausgerichtet wurde, konnte man schon die Begeisterung und das Engagement des Vereins deutlich erkennen. Ich freue mich sehr auf die neue Saison!“

Mehr Infos: https://tischtennis-frickenhausen.de/

Quelle: TT Frickenhausen/Binder

 

 

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