MEIN MOMENT | Der Sportler-des-Jahres-Macher
  24.05.2021


In der Serie MEIN MOMENT kommt in jeder Woche eine Person zu Wort, die im vergangenen Vierteljahrhundert einen besonderen sportlichen Moment erlebt hat. In der 21. Folge geht es um Klaus J. Dobbratz, der gemeinsam mit mit seiner Frau Beate und Tochter Deborah für die Veranstaltung „Sportler des Jahres“ verantwortlich ist.

Klaus J. Dobbratz’ Rückblick

Ende 1947 fragte sich mein Vater Kurt Dobbratz, ein Journalist: Wer war eigentlich der beste Sportler in diesem Jahr? Daraus resultierten eine bis heute viel beachtete Wahl und eine festliche Gala, denn seitdem organisiert unsere Familie die Wahl zum „Sportler des Jahres“, inzwischen ist mit „Töchterle“ Deborah, genannt Debbie, schon die dritte Generation aktiv. Zur damaligen „Urteilsfindung“ kontaktierte mein Vater telefonisch zirka 20 Zeitungen in den vier Sektoren, in denen nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Lizenz der vier Siegermächte schon wieder gearbeitet werden durfte. Später wurde per Post abgestimmt, und heute wird online gewählt. Die „Zentrale der Sportlerwahl“ ist seit einigen Jahren ein Büro mit drei Räumen in Neckartailfingen, wo unsere Agentur „Internationale Sportkorrespondenz“ (ISK) ihren Sitz hat.

In der Geburtsstunde der traditionellen Wahl erhielt übrigens „Tennisbaron“ Gottfried von Cramm die meisten Stimmen und wurde zum ersten „Sportler des Jahres“ gekürt – vor dem Motorsportler Georg Meier („Der gusseiserne Schorsch“) und Fußball-Legende Fritz Walter. Bei den Sportlerinnen gewann die Sprinterin Marga Petersen vor Ski-Star Mirl Buchner-Fischer. Die Mannschaftswertung kam erst zehn Jahre später – 1957 – hinzu (Borussia Dortmund vor 1860 München und den Leichtathleten des ASV Köln). Ein Fest hat es bei der ersten Sportler-Wahl nicht gegeben, noch nicht einmal einen Preis, lediglich eine Veröffentlichung über unsere 1945 durch meinen Vater gegründete Agentur ISK. Ein Jahr später, 1948, wurde erstmals eine Aktion per Fragebogen gestartet, wie heute noch und auch schon mit ein paar Vorschlägen durch die ISK. Noch einmal siegte Gottfried von Cramm und bei den Damen Mirl Buchner-Fischer. In Hannover ging eine kleine Feier in den Räumen des damaligen Nordwestdeutschen Rundfunks, dem NWDR, über die Bühne, und es gab eine Urkunde, später dann Pokale und die Anstecknadel des VDS.

Heute werden die Besten des Jahres von den mehr als 3.000 Mitgliedern des Verbandes Deutscher Sportjournalisten (VDS) gewählt. Mitglieder sämtlicher Sportredaktionen der Print- und elektronischen Medien analysieren und wägen Leistungen, Haltung, Fairplay und Rekorde ab, enthält die Wahl-Präambel doch deutliche Hinweise, dass nicht allein Tore, Zentimeter und Zehntelsekunden den Ausschlag geben sollen: „Als Maßstab gelten weder Gehalts- noch Prämienlisten. Gesucht wird mehr denn je das Vorbild, eine Persönlichkeit des Sports. Ausgesprochen erfolgreich natürlich, aber auch durch Haltung und Charakter aufgefallen.“ Nicht selten reüssierten deshalb Athleten aus Randsportarten beim „Sportler des Jahres“: Hockeyspieler, Ruderer, Kanuten oder Rodler gewannen schon das scheinbar ungleiche Duell gegen Repräsentanten telegener Sparten.

Die erste Überreichung mit vielen Gästen geht zurück auf das Jahr 1953 – damals in Stuttgart. 1960 gastierte die Gala erstmals in Baden-Baden. Überraschend siegte der Wintersportler Georg Thoma, und die Gäste fühlten sich auf Anhieb wohl. Längst gilt die Kurstadt als „gute Stube des deutschen Sports“, kehrte die „Sportler-Familie“ nach kleineren Umzügen (unter anderem nach München, Berlin, Sindelfingen, Dortmund, Hannover) doch immer wieder gerne an das Flüsschen Oos zurück. Mittlerweile war Baden-Baden zum 52. Mal Schauplatz der festlichen Gala zum „Sportler des Jahres“ und die ISK – zusammen mit der Baden-Baden Kongress- und Tourismus GmbH sowie dem langjährigen Medienpartner ZDF – der Gastgeber. Den Höhepunkt, die Proklamation der Gewinner, überträgt das Zweite Deutsche Fernsehen nun schon seit mehreren Jahren als exklusiver TV-Partner aus dem illustren Bénazet-Saal des Kurhauses.

Meine ersten Einsätze hatte ich im Alter von 15 oder 16 Jahre, aber meine Mutter Dorothea war von Anfang an dabei. Sie hat nächtelang die Stimmen von Hand ausgezählt, die Namen nach Eingang säuberlich nummeriert und die Ergebnisse meinem Papa mitgeteilt hat. An meine Premiere in Baden-Baden erinnere ich mich noch sehr gut, damals kümmerte ich mich in der Kulisse um meinen Vater, der die Proklamation leitete. Ich sorgte dafür, dass für ihn immer ein frisches Glas Wasser parat stand. Und vor dem Gang auf die Bühne glättete ich noch ein bisschen seine Haare, und achtete darauf, dass sein Toupet auch richtig saß …

Erstmals selbst auf der Bühne stand ich 1977 – als Dietrich Thurau „Sportler des Jahres“ wurde und ich als kleiner Co-Moderator am Rande mitmischen oder in der Pressekonferenz nach der Gala die Fragen stellen durfte. 2017 hatte unsere Tochter ihren Premierenauftritt im Bénazet-Saal. Ihre Aufgaben im Vorfeld der Gala sind die Adressenakquise, Einladungen und Hotelbuchungen, der Fahrservice und allgemeine Organisation. In der ISK, die unter anderem jahrelang die Pressearbeit für die Deutsche Eisschnelllauf-Gesellschaft (DESG) und den Hallenradsport im Bund Deutscher Radfahrer (BDR) verantwortete, sorgt sie für die kreativen Momente und bringt das aktuelle digitale Knowhow ein.

Wenn meine Frau Beate, Debbie und ich am Abend der Gala auf dem roten Teppich stehen und alle Gäste persönlich begrüßen, ist die Hauptarbeit von Familie und Orga-Team getan. Ab September dreht sich im ISK-Büro fast alles um den „Sportler“, dann laufen die Vorbereitungen so richtig an. Schon das ganze Jahr über wird geplant: Wir schreiben zum Beispiel alle in Frage kommenden Sportler und teilweise ihr Management oder die Verbände unmittelbar nach einem großen Erfolg an, um sie auf den Tag unserer Veranstaltung hinzuweisen. Später werden Kandidaten- und Einladungslisten erstellt, letzte Sponsorengespräche geführt oder zig Termine in Baden-Baden und Mainz beim ZDF wahrgenommen. Anfangs sind bis zu sechs Personen involviert, je näher der „Tag X“ kommt, desto höher wird der Personalaufwand für die Organisation. Im inneren Kreis sind das dann zwei Dutzend Leute, mit dem Service-Personal im Fahrdienst kommen wir auf insgesamt 40 Mitarbeiter. Es muss geklärt werden, wer wann anreist, wo übernachtet wird, wie die 700 Gala-Teilnehmer platziert oder welche Positionen den Fotografen zugewiesen werden und wann die Journalisten mit den Geehrten sprechen können.

Ein ganz besonders kniffliges Thema ist die Sitzordnung. Sie kann durchaus zu einem Problem werden, schließlich soll doch jeder mit jedem einen netten Abend verbringen. Wir geben uns die größte Mühe, jeden Gast zufriedenzustellen. Am Ende aller Vorbereitungen ist das unser ganz persönliches Puzzle in den letzten beiden Tagen bis kurz vor Beginn der Gala.

Im ISK-Rechenbüro gehen sämtliche Stimmen ein. Früher addierten die Wahlcrew dann endlose Zahlenkolonnen, heute hilft der „Kollege Computer“. Außer mir kennen nur zwei weitere Personen, eine vom ZDF und eine aus dem Wahlbüro, das Ergebnis, denn nur so ist gewährleistet, dass das Wahlergebnis bis zur Proklamation ein Geheimnis bleibt.

Selbstverständlich gibt es zahlreiche Geschichten und Anekdoten aus den vielen Jahren zu erzählen. Immer wieder kann es in letzter Minute zu Problemen kommen, wenn eine extreme Wetterlage zur Improvisation zwingt, weil oft der plötzliche Wintereinbruch einen Strich durch alle Planungen macht. Zum Beispiel 1995, als Michael Schumacher direkt vom Training aus Estoril in Portugal kommen sollte. Wegen einer vereisten Landebahn war der kleine Flughafen in Baden-Baden gesperrt, also wurde der Flieger nach Straßburg umgeleitet. Mit dem Shuttle-Auto kam „Schumi“ viel zu spät zur Ehrung. Auf der Rückfahrt ins Elsass bat der frischgebackene „Sportler des Jahres“ dann den Fahrer, neben ihm Platz zu nehmen – der Formel-1-Pilot wollte wenigstens noch rechtzeitig vor dem Nachtflugverbot zu seinem Jet kommen und fuhr das Shuttle-Fahrzeug kurzerhand selbst.

Oder 2015: Da bestritten die Biathlon-Staffeln der Frauen (später im Kurhaus Zweite bei der „Mannschaft des Jahres“) und Männer (am Abend Dritte) noch am Mittag ihre Weltcuprennen und mussten aus dem slowenischen Pokljuka eingeflogen werden. Wegen Blitzeis war dort jedoch der Flughafen gesperrt, die Alternative hieß Triest in Italien. Hier wurde es aber kompliziert und langwierig, weil die Teams ja ihre Gewehre dabeihatten, die durch den Zoll mussten, aber nicht angemeldet waren. Als die Sportlerinnen und Sportler endlich im Kurhaus ankamen, hatte die Fernsehsendung längst begonnen. Also umziehen im Orga-Office, Schminken im ZDF-Büro und ab auf die Bühne – Stress für alle Beteiligten.

Für das „Momentum“ schlechthin sorgte das Corona-Jahr. Erlaubt waren im Dezember 2020 nur 27 Gäste: die erstplatzierten Sportlerinnen und Sportler, ausgewählte Medienvertreter und Gratulanten. Der elegante Bénazetsaal des Kurhauses verwandelte sich in ein TV-Studio. Tests für sämtliche Anwesende wurden durch professionelle Ärzte-Teams umgesetzt, die Luftqualität in den Räumlichkeiten permanent überwacht, jede Klinke desinfiziert. Unser Hygienekonzept erfuhr allwöchentliche Updates. Aber 90 TV-Minuten gingen über den Sender, die wenigen Gäste verließen unmittelbar nach der Auszeichnung das Kurhaus, kein Get-together, null Alkohol, Transport nur in permanent gereinigten Fahrzeugen. Für den deutschen Sport und für uns ein Lebenszeichen in diesen Zeiten.


Klaus J. Dobbratz ist Journalist und hat die Agentur Internationale Sportkorrespondenz (ISK) von seinem Vater Kurt, dem „Erfinder“ der Ehrung „Sportler des Jahres“, übernommen. In die Organisation der mittlerweile zum 74. Mal durchgeführten Gala sind seine Frau Beate und inzwischen auch Tochter Deborah eingebunden. Im ISK-Büro in Neckartailfingen (Landkreis Esslingen) laufen alle Fäden zusammen. Die Familie wohnt schon seit vielen Jahren in Bempflingen (Landkreis Esslingen).

[Fotos: Pressefoto Baumann]