„Fußball trifft Kultur“ wird in Stuttgart fortgesetzt
  04.06.2013


Mit Bewegung lässt es sich leichter lernen. Auf dieser Erfahrung basiert das Projekt „Fußball trifft Kultur“, das die Frankfurt Book Fair Literacy Campaign (LitCam) 2007 initiiert hat. Das Projekt wird u.a. auch in Stuttgart durchgeführt und dort auch fortgesetzt.

Mit Bewegung lässt es sich leichter lernen. Auf dieser Erfahrung basiert das Projekt „Fußball trifft Kultur“, das die Frankfurt Book Fair Literacy Campaign (LitCam) 2007 initiiert hat. Das Projekt wird mittlerweile in Stuttgart, Frankfurt, Berlin, Gelsenkirchen, Hamburg und Nürnberg durchgeführt. Der Startschuss in Stuttgart fiel 2010 an der Martin-Luther-Schule, 2011 folgte die Lerchenrainschule in Stuttgart-Süd. Noch bis zum Ende des laufenden Schuljahres erfolgt die finanzielle Unterstützung des Projektes an beiden Stuttgarter Schulen durch die Gazi-Kinderstiftung und den Verein „Hilfe für den Nachbarn e.V.“. Im Rahmen einer Pressekonferenz konnte heute bekannt gegeben werden, dass die Gazi-Kinderstiftung auch die Finanzierung für die nächsten beiden Schuljahre sichert und sich fortan an beiden Schulen gleichermaßen engagiert. „Ich freue mich sehr, dass ich die Gelegenheit habe, dieses sinnvolle Projekt und damit sozial benachteiligte Kinder aus sozial schwachen Schichten verstärkt unterstützen zu dürfen“, so Dr. Eduardo Garcia, Vorstand der Garmo AG. „Ich habe mir mehrfach in den vergangenen Monaten einen persönlichen Eindruck vom Projekt in Stuttgart verschafft und bin überzeugt, dass wir mit unserem Engagement einen Beitrag dazu leisten können, die Zukunftschancen und Perspektiven der Kinder zu verbessern. Die Basis zur Integration in eine Gesellschaft, sowohl von Migrantenkindern als auch von Kindern aus sozial schwachen Schichten ist primär die Sprache. In Verbindung mit dem Sport lernen sie zudem, Regeln und Vorgaben zu akzeptieren.“ Von sportlicher Seite wird das Projekt durch den VfB Stuttgart und den SV Stuttgarter Kickers unterstützt. Mit dem Thienemann Verlag steht für den Kulturbereich ein starker Partner zur Seite. Das Staatliche Schulamt fördert „Fußball trifft Kultur“ mit zusätzlichen Lehrerstunden. Die Projektleitung in Stuttgart liegt beim Förderverein Kinderfreundliches Stuttgart.

Projektziele
Die gegenwärtige Bildungs- und Ausbildungssituation zeigt, dass viele Kinder trotz Schulpflicht kein ausreichendes Bildungsniveau erreichen und der Schritt von der Grundschule in weiterführende Schulen große Schwierigkeiten mit sich bringt. Hier setzt das Programm an, das von der Erkenntnis ausgeht, dass Bewegung und Sport die kognitive Aufnahmefähigkeit verbessern. Durch gezieltes Fußballtraining mit anschließendem Sprachunterricht sollen die schulischen Leistungen der Schüler so gestützt und gefördert werden, dass sie die bestmögliche Ausgangssituation für den Übergang in die weiterführenden Schulen bekommen. Daneben gilt es auch, soziale und kommunikative Kompetenzen zu vermitteln, Interesse an Bildung und Kultur zu wecken und zur Förderung der Lesemotivation und Lesekompetenz beizutragen.

Stuttgart ist eine der deutschen Städte mit dem höchsten Anteil an Kindern und Jugendlichen, deren Muttersprache nicht deutsch ist. Deshalb ist eine gezielte Sprachförderung für die faire Bildungschance jedes einzelnen Kindes von besonderer Bedeutung. Dabei sieht der Förderverein Kinderfreundliches Stuttgart das Projekt als wirksame und nachhaltige Unterstützungsmaßnahme. „Die große Chance liegt für mich in der ganz individuellen, persönlichen Begleitung und Betreuung der Kinder. Dazu kommt die gezielte Sprachförderung, viel Bewegung und das Gefühl, wertgeschätzt zu werden – alles zusammen erscheint mir das als die beste Voraussetzung für nachhaltigen Lernerfolg“, so Roswitha Wenzl, Geschäftsführerin des Fördervereins.

Das Projekt in der Praxis
Das Projekt basiert auf der Erkenntnis, dass Bewegung und Sport die kognitive Aufnahmefähigkeit verbessern. Die Schülerinnen und Schüler, die teils mit erheblichen sprachlichen Defiziten in das Projekt gestartet sind, erfahren eine intensive Sprachförderung. Sie bewirkt, dass die meisten Kinder sich nicht nur besser und konzentrierter am Unterricht beteiligen, sondern sich auch im Sozialverhalten positiv entwickeln. Die Teilnehmer lernen zudem, dass Werte und Normen nicht nur im Klassenzimmer, sondern auch im Sport und in der Turnhalle eingehalten werden müssen. Einen großen Anteil an dem Erfolg des Projektes hat die enge Zusammenarbeit zwischen Schule und Sportverein. Die Sprachlehrer holen die Kinder nach dem Fußballtraining direkt in der Turnhalle ab und haben so die Möglichkeit, sich mit den Fußballtrainern kurz über den Verlauf der vorangegangenen Stunde auszutauschen.

„‚Fußball trifft Kultur‘ ist ein wichtiges Projekt, das für zielgerichtete Sprachförderung von Kindern steht und mit dem auch deren kulturelle Bildung unterstützt wird – die Brücke dazu bildet der Sport. Als Bürgermeisterin für Kultur, Bildung und Sport freut es mich natürlich sehr, dass es ein Projekt gibt, das die Themenbereiche in meinem Aufgabenbereich so sinnvoll und wirkungsvoll miteinander verbindet. Die Freude, mit der die Kinder der beteiligten Schulen an diesem Projekt teilnehmen, ist das beste Zeichen für den Erfolg dieses Projekts“, so die Bürgermeisterin Dr. Susanne Eisenmann.

Aus Sicht der Lehrer zeigt das Projekt an beiden Schulen bereits Erfolge. Durch die intensive Förderung beteiligten sich die meisten der teilnehmenden Kinder deutlich besser und konzentrierter – und damit erfolgreicher – am Unterricht. Auch im Sozialverhalten konnte die Schule sehr positive Entwicklungen feststellen. Vor allem das Selbstbewusstsein und die Persönlichkeit der Kinder wurden durch das Projekt gestärkt.

„Je früher eine Sprachförderung stattfinden kann, desto effektiver und positiver ist die Wirkung auf den Schulalltag“, so die Direktorin der Lerchenrainschule, Dorothea Grübel. „Als multikulturelle Schule mit 25 Nationen ist es unsere Aufgabe, die Integration zu fördern und den Übergang auf weiterführende Schulen zu erleichtern. Die Sprache ist hierbei ein wichtiger Baustein. Aber auch die Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen tragen zu einer guten Integration bei. Insofern ist das Projekt bei uns an der Schule bestens verankert und wirkt sich positiv auf die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler aus.“

„Wir sind sehr zufrieden mit den Ergebnissen des Projektes“, so Martin Schmidt, Rektor der Martin-Luther-Schule. „Die Verbindung zwischen Sprachförderung und Bewegung hat sich bewährt. Bei allen Kindern konnte die Sprachfähigkeit und das Sprachgefühl verbessert werden. Im sozialen Bereich stellen wir fest, dass die Kinder durch das Projekt enorm an Selbstbewusstsein hinzugewonnen haben. Ich kenne kaum ein anderes Projekt im Bereich der Sprachförderung, in dem die Kinder eine solch intensive und vor allem erfolgsversprechende Förderung erhalten. Nach drei Jahren hat sich das Projekt mittlerweile an der Schule etabliert und wird von Schülern und Eltern gleichermaßen als Gewinn aufgenommen.“

Der Sprachunterricht wird von speziell ausgebildeten Lehrkräften durchgeführt. Hier lernen die Kinder, ein Gefühl für die Sprache zu gewinnen und umfangreiche Sätze zu bilden. Im Verlauf des Projektes wird auch die Lesefertigkeit der Kinder geschult. Durch Sprachspiele wird zudem die Merkfähigkeit der Kinder intensiv gefördert. Diese Fähigkeit hilft den Kindern, grammatikalische Strukturen und Rechtschreibregeln zu verinnerlichen. Das Staatliche Schulamt unterstützt das Projekt mit zwei zusätzlichen Lehrerstunden.

Das Fußballtraining wird durch die Trainer der VfB-Fußballschule (Martin-Luther-Schule) und des SV Stuttgarter Kickers (Lerchenrainschule) geleitet und findet zweimal in der Woche jeweils eine Stunde lang statt. Die Schwerpunkte liegen dabei auf einer allgemeinen und fußballspezifischen Koordination. Als Hauptaugenmerk lernen die Kinder Inhalte aus der Ballschule. Erste grundlegende Techniken werden ihnen dabei ebenso vermittelt wie spannende Spiel- und Turnierformen sowie teambildende Maßnahmen.

„Als größter Sportverein Baden-Württembergs sind wir uns unserer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst“, sagt Fredi Bobic, Vorstand Sport des VfB Stuttgart. „Wir beteiligen uns voller Überzeugung an dem Projekt „Fußball trifft Kultur“, weil eine frühzeitige und gezielte Sprachförderung die Zukunftsperspektiven der Kinder wesentlich erhöht. Gemeinsam mit den Projektpartnern wollen wir die Faszination und die integrative Kraft des Fußballs dazu nutzen, die positive Entwicklung von „Fußball trifft Kultur“ fortzuführen.“

„Für uns als Stuttgarter Kickers war schnell klar, dass wir uns für dieses tolle Projekt einsetzen“, so Guido Buchwald, Präsidiumsmitglied Sport beim SV Stuttgarter Kickers und Schirmherr des Projekts „Fußball trifft Kultur“. „Das Projekt vermittelt mehr als reinen Sport- und Sprachunterricht. Das regelmäßige Fußballtraining gibt den Kindern vielmehr auch wichtige Verhaltensformen mit auf den Weg. Ob Teamgeist, Fairness oder ein "Wir-Gefühl" – das alles ist für das Verhalten in unserer Gesellschaft von Bedeutung - nicht nur beim Fußball.“

FB-TRIFFT-KULTUR

Guido Buchwald und Fredi Bobic sind von dem Projekt begeistert.

Kultur näher bringen
Ein wesentlicher Baustein des Projektes ist die Vermittlung von Kultur, verbunden mit der Vielzahl von Kulturangeboten in Stuttgart und Umgebung. Die Kinder lernen bei Ausflügen, Museums- oder Theaterbesuchen ihre Stadt kennen und bekommen so ein ganz anderes Verhältnis zur außerfamiliären und außerschulischen Umgebung. Diese Termine finden ebenso außerhalb der Schulzeit statt. Seit Beginn des Projektes haben die Kinder beispielsweise einen Ausflug in die „Wilhelma“ unternommen, waren bei Fußballspielen des VfBs und der Stuttgarter Kickers oder besuchten gemeinsam das Landesmuseum Stuttgart. Der Thienemann Verlag als Partner für den Kulturbereich ist einer der traditionsreichsten Bilder-, Kinder- und Jugendbuchverlage im deutschsprachigen Raum und verlegt Klassiker wie "Der kleine Wassermann", "Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer" oder „Urmel aus dem Eis“. Damit auch Kinder, die sonst keinen leichten Zugang zu Büchern haben, Kontakt zur Kinderliteratur bekommen, unterstützt der Thienemann Verlag die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler durch Bücherspenden. Daneben waren die Kinder im Verlag eingeladen, lernten dort berühmte Figuren wie den "Räuber Hotzenplotz" kennen und erfuhren, wie Bücher gemacht werden.


Studie zur Wirksamkeit des Sprach- und Bewegungsprogramms
Mit dem Institut für Deutsche Sprache und Literatur und dem Institut für Bewegungserziehung und Sport der PH Karlsruhe wurde das Projekt erstmals auch wissenschaftlich begleitet. In einer Längsschnittuntersuchung wurden 2012 rund 200 Kinder der teilnehmenden Stuttgarter und Frankfurter Grundschulen in ihrer Leistungsentwicklung getestet. Als Messinstrument dienten dabei standardisierte Verfahren aus der Sprachdidaktik, der Kognitionspsychologie und der Sozialpsychologie. Festgestellt werden soll unter anderem, inwieweit sich die Kinder innerhalb des Projektverlaufs im Bereich ihrer Sprachkompetenz verbessern und wie sich beispielsweise auch das Selbstvertrauen oder die Integration in die Klassengemeinschaft verändern. Aus übergeordneter Perspektive betrachtet liegt das Hauptziel von „Fußball trifft Kultur“ laut Professor Schwarz von der PH Karlsruhe in der sozial-emotionalen Integration. Der Fokus der Evaluationsstudie lag deshalb einerseits auf den drei großen Förderbereichen(1) Sprache, (2) Bewegung (Fußball) und (3) Kulturerlebnisse (z.B. Theaterbesuche), andererseits aber galt es auch, die Wirkungen auf die Integration selbst zu hinterfragen. „Die Ergebnisse zeigen positive, wenn auch leichte Effekte, auf die von Schülern selbst erlebte Integration. Den größten Anteil an dieser Wirkung hat das Vorbild der Trainer, die den Schülerinnen und Schülern das Gefühl des Angenommenseins, von Werthaftigkeit und von Stärke vermitteln“, sagt Jun. Prof. Dr. Rolf Schwarz von der PH Karlsruhe.

Ausblick
Nachdem nun die Finanzierung des Projekts für die nächsten zwei Jahre an beiden Schulen gesichert ist, sollen weitere Schwerpunkte gesetzt werden. So wird ein Hauptaugenmerk darauf liegen, verstärkt die Eltern in das Projekt einzubinden. Schon heute verpflichten sie sich zu Beginn der jeweiligen Projektphase, ihre Kinder während dieser zwei Schuljahre aktiv zu unterstützen und zu begleiten. Künftig sollen sie aber noch stärker in die außerschulischen Veranstaltungen von Schule und Fußballschule eingebunden werden. „Für viele Eltern wird es heute immer schwieriger, ihre Kinder auf ihrem Bildungsweg kompetent zu begleiten und zu unterstützen. Deshalb müssen wir verstärkt versuchen, die Zusammenarbeit gerade mit den Eltern zu suchen“, so Roswitha Wenzl.