Fechten: WFB trauert um seinen Ehrenpräsidenten Gnaier
  28.11.2013


Der Württembergische Fechterbund (WFB) trauert um seinen Ehrenpräsidenten Paul Gnaier, der die Geschicke des Landesverbandes von 1971 bis 2006 führte. Im Alter von 87 Jahren ist der Erfinder von Heidenheimer Pokal und Coupe d’Europe sowie Initiator des Heidenheimer Fechtzentrums am 25. November 2013 verstorben.

WFBDer Württembergische Fechterbund (WFB) trauert um seinen Ehrenpräsidenten Paul Gnaier, der die Geschicke des Landesverbandes von 1971 bis 2006 führte. Im Alter von 87 Jahren ist der Erfinder von Heidenheimer Pokal und Coupe d’Europe sowie Initiator des Heidenheimer Fechtzentrums am 25. November 2013 verstorben. Bis zuletzt war der Heidenheimer, der auch Ehrenmitglied des Deutschen Fechterbundes und Träger des Bundesverdienstkreuzes erster Klasse war, seiner Fechtfamilie eng verbunden. Um Verantwortung hat sich Paul Gnaier nie gedrückt. Schon als 18-Jähriger, als während des Zweiten Weltkrieges die meisten Männer an der Front waren, leitete er die schon vor dem Krieg erfolgreiche Fechtabteilung des Heidenheimer Sportbundes (HSB), bis bei Kriegsende die Alliierten das Fechten als Kampfsportart verboten und erst 1949 wieder gestatteten. Mit dem Fechten begonnen hatte Paul Gnaier erst 1942, nachdem der damals 15-jährige auf der Weihnachtsfeier des Vereins zum ersten Mal Fechter in Aktion bestaunt hatte. Schon zwei Jahre später war er Württembergischer Jugend-Meister mit dem Degen und qualifizierte sich für die Deutschen Jugend-Reichsmeisterschaften. In der Wohnung von Fechtmeister Franz Kühner in Stuttgart nahm er von 1947 bis 1949 während des Fechtverbotes Lektionen und erarbeitete seine Technik. „Letztlich habe ich Meister Kühner meine Erfolge zu verdanken“, sagte Gnaier stets.

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Paul Gnaier im Jahr 2006 kurz vor seinem Abschied aus dem Amt des WFB-Präsidenten, das er 35 Jahre ausgeübt hat.

Der Heidenheimer war das, was man ein Bewegungstalent nennt. Zuvor war er bereits Kreismeister im Hochsprung und ein begeisterter Fußballer gewesen. Er spielte in der Schulmannschaft erfolgreich als Torwart, und das obwohl er in früher Kindheit die rechte Hand verloren hatte. In der elterlichen Bäckerei war Paul Gnaier als Dreijähriger in die Messer der Nudelmaschine geraten. „Ich habe die fehlende Hand aber nie als Behinderung empfunden. Ich kannte es ja nie anders. Vielleicht hat es mich sogar in gewisser Weise motiviert“, sagte Gnaier einmal in einem Interview. Nur kurze Zeit war Paul Gnaier deshalb gegen Ende des Krieges beim Militär, ohne dafür das Fechttraining aufzugeben. Von seinem Standort in Reutlingen fuhr er, den schweren Waffensack auf dem Rücken, mit dem Fahrrad nach Göppingen zu den Württembergischen Meisterschaften, wo er Vierter mit dem Florett wurde, und radelte anschließend gar weiter nach Heidenheim. Pünktlich um 12 Uhr am Montag war er jedoch wieder in seiner Kaserne. Derlei Anekdoten hatte Paul Gnaier einige parat. Immerhin motorisiert war das Leichtmotorrad auf dem er und sein Bruder Kurt 1950 samt ihren Waffensäcken von Heidenheim zu einem Turnier 200 Kilometer nach Schwenningen fuhren. „Ich musste aber an jeder Steigung abspringen und nebenherlaufen, weil das Rädle das nicht gepackt hat“, erzählte er diese Geschichte. Seine Beharrlichkeit und sein Idealismus sollten sich in den fünfziger und sechziger Jahren auszahlen. Elf Mal stand er in dieser Zeit bei Deutschen Meisterschaften ganz oben auf dem Treppchen, vier Mal im Einzel und sieben Mal mit seiner Heidenheimer Equipe, die das Degenfechten der Herren in Deutschland seinerzeit dominierte. Dazu kamen noch zwei Titel bei den Internationalen Deutschen Meisterschaften.

Dreimal fuhr Paul Gnaier als Aktiver zu Olympischen Spielen. „Die schönsten waren Rom. Wahrscheinlich, weil es meine ersten waren“, blickte er einmal in einem Interview zurück auf 1960 und erinnerte sich an die Begegnungen mit Sportgrößen wie dem Sprinter und Olympiasieger Armin Hary. Es folgten die Spiele in Tokio 1964 und in Mexiko Stadt 1968, wo er mit der deutschen Mannschaft Platz vier belegte. Da war Paul Gnaier bereits 42, hatte sich aber zuvor durch hervorragende Leistungen bei den großen Turnieren in Paris, Mailand und Heidenheim qualifiziert. Den Heidenheimer Pokal hatte Gnaier 1953 selbst aus der Taufe gehoben und das Turnier 1960 auch gewonnen. Das heutige Weltcupturnier genießt bei den Degenfechtern seit Jahrzehnten denselben Stellenwert wie etwa Wimbledon im Tennis oder Kitzbühel bei den alpinen Skifahrern. Auch der Coupe d’Europe, der Europapokal der Mannschafts-Landesmeister in Heidenheim, geht auf eine Initiative Gnaiers zurück.

Trotz seiner Erfolge als aktiver Sportler ging Gnaier zugleich seinem Beruf nach und engagierte sich im Württembergischen Fechterbund. Von 1954 bis 1991 war er hauptamtlicher Ortsvorsteher von Schnaitheim, dem Heidenheimer Stadtteil mit heute knapp 11.000 Einwohnern, wo er am 8. März 1926 zur Welt gekommen war. Dem Vorstand des Württembergischen Fechterbundes gehörte Paul Gnaier seit 1949 an. Von 1955 an fungierte er als Lehrwart des WFB, ein Amt, das ihn nach eigenen Worten mehr interessierte als die Präsidentschaft: „Mir war immer wichtig, den Enthusiasmus und die Begeisterung für den Fechtsport an die Jugend weiterzugeben“, unterstrich Gnaier wiederholt. Das gelang ihm nicht zuletzt als Leiter zahlreicher Trainingslehrgänge für Nachwuchsfechter. Zum Amt des Präsidenten drängte er sich dagegen nie. Er übernahm es 1971 als damals amtierender Vizepräsident eher notgedrungen, weil der Amtsinhaber Dr. Werner Sauer erkrankt war, und wollte es eigentlich nur ein paar Wochen bis zu dessen Genesung ausüben. Stattdessen wurde es eine Ära von 35 Jahren, in der Paul Gnaier dem Württembergischen Fechterbund seinen Stempel aufgedrückt und ihn mit viel Weitblick modernisiert hat. Ohne Gnaier gäbe es das Leistungszentrum in Heidenheim nicht; zu seiner aktiven Zeit trainierten die Fechter des HSB noch abwechselnd in drei städtischen Turnhallen. „Meine Überlegung war, mit einem starken Zentrum auch die anderen im Land stark zu machen. Ich hatte das in Frankreich gesehen, wie die mit Leistungszentren ihre Kräfte bündelten“, beschrieb Paul Gnaier seine Beweggründe. In drei Bauabschnitten entstand ab 1975 auf der Ostalb ein stattliches Fechtzentrum mit mehreren eigenen Hallen, Teilinternat und einer Physiotherapie-Abteilung. Dort findet der Fechtnachwuchs heute wettkampfgerechte Trainingsbedingungen, die beispielsweise dem Florettfechter Ralf Bißdorf 2000 in Sydney zu olympischem Silber verhalfen. Dass parallel dazu im benachbarten Nordbadischen Fechterbund der Fechtclub Tauberbischofsheim zu internationaler Größe aufstieg, sah Paul Gnaier mit viel Wohlwollen: „Das gibt es in keiner anderen Sportart. Zwei Leistungszentren in einem Bundesland. Diese Konkurrenz war für beide von Vorteil.“ Auch innerhalb Württembergs erlebten die Vereine im Sog des Heidenheimer SB einen Aufschwung. „Ohne die Breite der Vereine würde es nicht gehen“, strich Gnaier stets heraus. Er war aber auch überzeugt, dass sich ein Sportler nur am Leistungszentrum unter gleichwertigen Trainingspartnern zum Weltmeister oder gar Olympiasieger entwickeln könne. „Deshalb darf man als kleinerer Verein auch nicht hadern, wenn eines seiner jungen Talente dorthin wechselt“, verlangte Gnaier, der seinem Nachfolger Luitwin Ress 2006 ein bestens bestelltes Feld hinterließ. Mit rund 3000 Mitgliedern ist der WFB hinter Bayern der mitgliederstärkste Fechtverband in Deutschland. Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Präsidenten blieb der Träger des Bundesverdienstkreuzes erster Klasse nah bei seiner Fechtfamilie, als Zuschauer verfolgte er von Zeit zu Zeit Turniere, schaute gelegentlich im Fechtzentrum vorbei und nahm mitunter an den Verbandstagen teil, zuletzt im Frühjahr 2013, als die WFB-Familie in Welzheim ihre Hauptversammlung abhielt.

Text: Steffen Eigner (Pressesprecher des WFB)