BIG IN JAPAN | Tom Bloch schreibt für die SportRegion
  02.08.2021


Mit großen Augen, Kamera, Notizbuch und Stift sowie seinen unübersehbaren 2,08 Meter Körpergröße ist der Stuttgarter Sportjournalist Tom Bloch vor Ort in Tokio bei den Olympischen Spielen und berichtet exklusiv für die SportRegion Stuttgart in seiner Serie BIG IN JAPAN. Zahlreiche Folgen sind inzwischen online.

Folge 4: Das Land der aufgehenden Sonne

Japan, das Land der aufgehenden Sonne. Aufgrund Zeitverschiebung, Arbeit und Adrenalin sind die Nächte kurz und ich bekomme das – also den Sonnenaufgang – jeden Morgen mit. Live. So in etwa ab 4.30 Uhr. Ups, und schon den Bus verpasst. Der erste Shuttle von meinem Hotel zur MTM (Media Transportation Mall, siehe Teil drei von „Big in Japan“) fährt um 3.55 Uhr, und ab da etwa einmal jede Stunde. Den darf ich aber aufgrund meiner Soft-Quarantäne erst nehmen, wenn ich mich ordnungsgemäß beim Security-Mann in der Hotel-Lobby abmelden.

Wir zwei kommen sehr gut miteinander aus. Ohne die Sprache des jeweils anderen zu sprechen. Wenn ich sage, ich gehe zum Bus, blättert er jedes Mal umständlich in seinem Heft und zeigt mir eine Zeichnung, wie ich zur Haltestelle laufen muss. Und den Zeitplan schön handschriftlich aufgelistet, obwohl der auch ausgehängt ist. Und das jeden Morgen, obwohl man den Weg zur provisorischen Haltestelle längst kennt. Sonst wäre man ja am Vorabend auch nicht zurückgekehrt. Und das hätte die Security auf jeden Fall gemerkt. 

Obwohl sein Arbeitsplatz mit Tisch und zwei Stühlen ausgestattet ist, steht der Mann. Und zwar immer. Ob beim Heimkommen abends, oder beim Gehen in aller Herrgottsfrühe.

Der zweite genehmigte Grund, das Hotel zu verlassen, ist rein privater Natur: Hunger und Durst. Aufgrund von Corona serviert das Hotel kein Frühstück, auch das Restaurant bleibt mir verwehrt. Man darf, obwohl eigentlich unter Quarantäne, für sagenhafte 15 Minuten das Hotel verlassen. Das Smartphone zwingend dabei und Google Maps eingeschaltet, dass im Falle eines positiven Covid-Testes ein Bewegungsmuster erstellt werden kann. Nach Eintragung in die Liste bei der Security, mit Uhrzeit auf die Minute genau, läuft die Zeit. Kurz raus, links, über die Straße zum „Family Mart“. Als Alternative habe ich zehn Meter weiter eine Filiale der „Lawson“-Kette. Beide haben rund um die Uhr geöffnet und jeweils eine kleine Auswahl von fertig (mit viel Plastik) verpackten Mahlzeiten, die beim Zahlen parallel in der Mikrowelle gekocht werden. Dann wieder zügig zurück, um sich bei der Security wieder als Rückkehrer einzutragen. Da bekommt der Begriff „Fast Food“ eine ganz neue Bedeutung.

Mein bisheriger Rekord sind sieben Minuten. Eine astreine olympische Leistung, würde ich sagen.

 

Folge 5: Arsch

Jeder kennt’s. Beim Versand von einer Email kommt manchmal eine automatisch generierte Antwort. Entweder gibt es den Empfänger nicht mehr. Oder des Empfängers Postfach ist gerade am Überlaufen…

Ein völlig neue Variante habe ich jetzt in Tokio kennengelernt, beim Versand einer Pressemitteilung für das Beachvolleyballteam Borger/Sude. Da landete wenige Minuten später folgende Rückmeldung im Posteingang:

Diagnostic-Code: smtp; 550-5.7.1 This email was rejected because it violates our security policy.550-5.7.1   Found prohibited words in the mail: Arsch

Return-path: <info@tombloch.de>

Weil der Gegner, Zitat Karla Borger, „mehr Arsch in der Hose hatte“, hätten sie ihr Spiel verloren. Und deswegen ging die Email nicht raus. Eine Schimpfwort-Verstopfung sozusagen.

Was uns zu dem beliebten Thema „Toiletten in Japan“ bringt. Was wird nicht alles darüber erzählt und geschrieben. Und ich kann jetzt zusammenfassend statuieren: Es stimmt. Alles. Schon am Flughafen Haneda nach der Landung fielen die vielen Bedienknöpfe neben der Schüssel auf. Auch in meinem Hotelzimmer gibt es am WC die Schalter und Drehknöpfe für die Unterbodenreinigung rechts von der Keramik wie in einem Cockpit angeordnet. Druck, Temperatur und Trefferwinkel des Wasserstrahls sind regelbar.

Aber die Krönung einer High-Tech-Toilette erlebte ich als Zufallsfund in der Ariake Arena im zweiten Stock, Sektion F. Die extra für Volleyball und Rollstuhl-Basketball errichtete Halle hat 12.000 Sitzplätze – also im Zuschauerbereich. Dementsprechend sind die Umläufe mit einer großen Anzahl Toiletten ausgestattet.

In diesem besonderen, mit einer großen Schiebetür seitlich zu betretenden, stillen Örtchen, ist es gar nicht still. Wenn man die Tür schließt und sich auf die aufgewärmte (!) Brille setzt, ertönt Musik – rauschende und zirpend-zwitschernde Töne sollen etwaige peinliche Geräusche übertönen. Auch ein Lüfter läuft direkt unter der Brille und saugt unangenehme Gerüche ab.

Und dann sitzt man so und sinniert. Ob diese Brille zum Beispiel immer heizt. Immer geheizt hat, nach dem die Spiele ein Jahr verschoben worden sind. Und man sitzt und sitzt – uns plötzlich ist die Musik aus. Aber nur für zwei, drei Sekunden, dann geht es wieder los. Den Sound gibt es als Endlosschleife, für lange Sitzungen. Dabei gibt es Toiletten zum Sitzen in Japan erst seit nach dem zweiten Weltkrieg. Davor waren landesweit Hocktoiletten verbreitet. Doch die Entwicklung erfolgte rasend. Und schon seit den 1980er Jahren sind japanische Firmen führend in der Herstellung technisch fortgeschrittener Toilettensysteme.

Für einen sauberen … Hintern. (Das andere Wort will ich jetzt nicht verwenden, sonst kommt der Text wieder zurück.) 

 

Folge 6: Nicht nur sauber, sondern rein

Der Inbegriff einer Mega-Metropole ist für mich New York City. Eine Stadt mit rund 19 Millionen Menschen im Einzugsgebiet. Die größte Stadt, die ich bislang bei vielen Besuchen erlebt habe. Doch Tokio toppt alles: 38 Millionen Menschen wohnen hier. Der größte Ballungsraum der Welt. Und keine einzige Kippe auf dem Gehweg. Keine weggeworfenen Masken, herumliegenden Desinfektionstücher, verlorene Hundekacke-Beutel, kein Kaugummi, der auf dem Asphalt klebt. Nichts, nada, zip. Tokio präsentiert sich picobello. Selbst fallende Laubblätter von den Bäumen werden sofort weggekehrt.

Und weiter: Keine Schlaglöcher auf den Straßen, auf denen stets gewaschene Fahrzeuge unterwegs sind, die keine Beulen, Dellen oder rostige Stellen aufweisen, und an Betonwänden vorbeifahren, die kein farbenfrohes Graffiti ziert. Auch schwappt in den riesigen Hafenanlagen, an denen sich viele Olympische Bauten reihen, nicht der sonst übliche Menschen-gemachte Müll, den das Meer weltweit so heran treibt.

Viele Menschen sitzen in ihrer Mittagspause in einem der vielen Parks unter schattenspendenden Bäumen und essen. Und nehmen ihren Müll mit nach Hause. Denn es gibt keine öffentlichen Mülleimer. Im ganzen Stadtgebiet nicht. Auch deshalb, weil 1995 bei einem terroristischen Anschlag Sarin-Gas in in Zeitungspapier verpackten Plastiktüten in einem Mülleimer der U-Bahn versteckt war.

Und dennoch liegt nirgends Müll herum. Das wird schon beim Aufwachsen geregelt: Schüler putzen ihr Klassenzimmer in Eigenregie. Es gilt grundsätzlich das Verursacher-Prinzip. In den vielen Lädchen (Konbinis) an den vielen Ecken der Mega-City gibt es die entsprechenden Behälter, in denen der Müll bereits getrennt wird. Die Läden sind verpflichtet, den Verpackungsmüll anzunehmen. Bei den vielen Getränkeautomaten, die überall in der Stadt verteilt sind, stehen daneben die Behälter für Dosen oder PET-Flaschen.

Dazu kommt, dass sich Japaner einfach an Regeln halten.

Paradox: Gleichzeitig habe ich noch nie so viel Plastikmüll im Alltag produziert. Alles ist in Plastik eingepackt. Ein einzelnes (übrigens perfekt weich gekochtes) Ei. Einzelne Bananen. Vor allem die vielen Fast-Food-Artikel sind hochentwickelt eingewickelt. Denn der Aufreißfaden funktioniert wirklich. Strenge Lebensmittelvorschriften und ein höherer Hygieneanspruch sind ein weiterer Grund für den Plastikwahn.

Aber: Auch Mülltrennung und Recycling funktioniert ziemlich gut. Nur 16 Prozent der Gesamtabfallmenge landen auf Mülldeponien, heißt es. Das Paradebeispiel ist Kamikatsu im Süden Japans – hier sortieren die Menschen ihren Abfall in 45 Kategorien. Und es funktioniert.

Der Stuttgarter an sich scheitert dagegen schon an der Dreifaltigkeit von Gelbem Sack, Grüngut-Tonne und Restmüll.

Mehr Infos: https://www.sportregion-stuttgart.de/big-in-japan

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