Andile
Stress gibt‘s auf dem Fußballplatz genug. Da kann es nicht schaden, wenn man ein Maskottchen hat, das resistent ist. Vielleicht überträgt sich das auch auf die Spieler. Bei der SG Sonnenhof Großaspach jedenfalls scheint es zu funktionieren. Die Kicker des Dorfklubs am Rande des Schwäbischen Walds haben eine Eselin gewählt, die ihnen zur Seite steht. Andile heißt das Tier. Anders als Pferde, die in Stresssituationen zur Flucht neigen, bevorzugt Andile – wie andere Esel auch – das Innehalten. Sie bleiben wie angewurzelt stehen. Der Gegner ist ob einer solchen Taktik meist verwirrt.
Seit sie vier Monate alt ist, lebt Andile beim Hotel Sonnenhof in Kleinaspach. Das ist nun elf Jahre her. Zurückgezogen mit ein paar Alpakas und ihrem Nachwuchs lebt sie im „Dörfle“. Es ist die pure Idylle auf den Hügeln Aspachs mit Blick ins Grüne und auf die Weinberge. Bei besonderen Heimspielen aber wird es aufregend für Andile. Dann bekommt sie das Trikot der SG Sonnenhof übergezogen und Tierpfleger Constantin Popescu bringt sie ins schmucke Stadion. Er versteht sein Geschäft. Vor 16 Jahren kam der Rumäne nach Deutschland und war vor seinem Engagement in Kleinaspach in der Stuttgarter Wilhelma beschäftigt.
Manchmal sorgt die gebürtige Schweizerin Andile für lustige Momente. 2016 zum Beispiel, als sie versuchte, den damaligen Spieler Roussel Ngankam anzuknabbern. Der Stürmer hat sich mächtig erschreckt. Ab und zu darf Andile auch eine Karotte schnappen, die sich der Stadionsprecher vorher zwischen die Zähne klemmt.
Andile ist also ein Begriff im Sonnenhof. Aber da ist sie in guter Gesellschaft. Obwohl Aspach eine kleine Gemeinde mit 8300 Einwohnern ist und die SG sich zu Recht „Dorfklub“ nennt, mangelt es nicht an Prominenz. „Begonnen hat alles mit einer Wette“, erzählte der Hotelier Klaus Ferber erst vor kurzem dem Journalisten Uwe Flegel von der Backnanger Kreiszeitung. Ein Getränkeverkäufer hatte die Mannen vom Hotel Sonnenhof zum Fußballduell gegen ein Team des Getränkelieferanten herausgefordert. Es war die Geburtsstunde der Stammtischmannschaft des Sonnenhofs. Bruder Uli Ferber, ebenfalls Hotelier und Spielerberater, meldete den Klub dann als FC Sonnenhof Kleinaspach mit einigen Freunden in der Freizeitliga an. 1994 folgte die Fusion mit der SpVgg Großaspach. Der Weg in den Profifußball war geebnet.
Die Kommandozentrale der Ferbers ist der Sonnenhof, der einst als Gasthaus Sonne in Kleinaspach begann und 2025 nun sein 75-Jahr-Jubiläum feiert. Dort hat Uli auch seine Frau Andrea Berg kennen gelernt. Sie begleitet ihn gelegentlich ins 10.000 Zuschauer fassende Stadion, aber ausverkauft ist es nur, wenn die Schlagersängerin dort selbst einmal im Jahr beim Kult-Open-Air „Heimspiel“ auftritt. Zu den Stadioninvestoren zählte auch Mario Gomez. Kein Wunder: Ferber war Manager des ehemaligen Nationalspielers. Alexander Hleb, Joshua Kimmich und Bernd Leno gehörten ebenfalls zu seinen Klienten. Im Sommer 2013 schrieb das Stadion im Fautenhau sogar große Fußball-Geschichte. Der damalige Triple-Gewinner Bayern München kam zum Gastspiel. Es war das erste offizielle Spiel von Trainer-Legende Pep Guardiola als Bayern-Coach.
Dennoch kokettiert man in Aspach lieber mit dem Namen „Dorfklub“ und hat sich dies als Alleinstellungsmerkmal gesichert. 2016 erfolgte die Eintragung beim Deutschen Patent- und Markenamt. Damit ist der Titel geschützt – so wie die Markennamen „Fohlenelf“ für Borussia Mönchengladbach oder „Werkself“ für Bayer Leverkusen. Ziemlich schlau waren sie damals also bei der Namenswahl, denn als Alternative hätte sich ja auch der Name „Eselsklub“ angeboten.
Das aber hätte schnell zu Fehlurteilen geführt. Denn allgemein gelten die Esel wegen ihrer Sturheit als dumme Tiere. Dabei ist die Starre, in der sie bei Stress verharren, nur ein cooler Trick, um das Umfeld aufmerksam zu studieren. Um danach umso klüger zu handeln. Das wissen nur wenige. Wo mit dem „Dorfklub“ die kleinste Gemeinde im deutschen Profifußball zu Hause war, bleibt vielen Fans aber für immer in Erinnerung. Auf der Fußball-Landkarte jedenfalls ist der nordwestlich von Backnang gelegene Sonnenhof schon lange kein weißer Fleck mehr.
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