Thomas Brüchle: WM-Titel im Tischtennis-Mutterland

Als ich mit meinem Partner Tom Schmidberger 2014 zum ersten Mal Mannschafts-Weltmeister wurde, war das für mich der größte Moment in meiner Karriere. In China, im Mutterland des Tischtennis, und bei meiner ersten WM-Teilnahme die Chinesen zu schlagen – das war schon etwas Besonderes. Und dass ich den entscheidenden dritten Punkt zu unserem Erfolg beisteuern konnte, setzte dem Ganzen quasi noch das „Sahnehäubchen“ auf. Damals wurde ein Teammatch noch auf drei Gewinnpunkte gespielt, und ich machte nach einem 2:2-Zwischenstand durch meinen Sieg gegen Xiang Zhai den Sack zu und den Titelgewinn perfekt.

Tom Schmidberger, der gebürtige Niederbayer, der seit vielen Jahren für Borussia Düsseldorf spielt, ist seit den Europameisterschaften 2011 in der Nationalmannschaft mein Partner, und wir konnten bei der WM 2017 unseren Titel sogar verteidigen. Dafür haben sie uns bei den Paralympics in London (2012), Rio de Janeiro (2016) und zuletzt in Tokio jeweils im Finale bezwungen und uns Gold weggeschnappt – wobei es noch nie so knapp war wie Anfang September 2021. Das Finale in Japan war für uns leider ein „Déjà-vu“ von Rio. In einem dramatischen Doppel ist unsere Marschroute aufgegangen – zwar konnte China unsere 2:0-Satzführung ausgleichen, doch im fünften Durchgang hatten wir die besseren Nerven und holten den ersten Teampunkt (11:8, 15:13, 4:11, 7:11, 11:9).

Danach zeigte ich gegen den Paralympicssieger im Einzel und Weltranglistenersten Panfeng Feng beim 1:3 eine gute Leistung. Dennoch verlor ich mit 13:11, 3:11, 8:11, 9:11. Im entscheidenden Duell fand Tom Schmidberger dann gegen Xiang Zhai nach einer 2:0-Satzführung kein Rezept, und der Chinese machte einfach keinen Fehler mehr, so dass er am Ende das Spiel und damit auch das Match und Gold gewann (7:11, 10:12, 11:4, 11:7, 11:4). „Wir sind todesenttäuscht. Jetzt haben wir Silber, aber gerade fühlt es sich an wie der letzte Platz“, sagte Tom unmittelbar nach dem Finale. „Erst lief alles perfekt, dann lief gar nichts mehr. Ich habe keine Erklärung, eine 2:0-Führung darf man in einem solchen Spiel, auf meinem Niveau, niemals aus der Hand geben.“ Keiner von unserer Delegation machte ihm einen Vorwurf, und wir alle haben versucht, ihn zu trösten, aber so richtig freuen konnten wir uns erst mal nicht, dazu war die Enttäuschung, so kurz vor dem großen Erfolg doch noch zu verlieren, einfach zu groß.

Das Verhältnis zu den Chinesen war in den ersten Jahren etwas unterkühlt, was auch daran lag, dass sie kein Englisch sprechen. So lief viel non-verbal ab, und heute respektieren wir uns gegenseitig, was sich ja auch in Tokio gezeigt hat. Im Dorf konnten wir uns mit Maske im Endeffekt frei bewegen, aber ansonsten war der Tagesablauf doch sehr eingeschränkt: Im Bus zur Halle, später wieder zurück. Wegen der fehlenden Zuschauer kam auch keine richtige Stimmung und Begeisterung auf, andere Sportler konnten wir nicht, wie von London oder Rio gewohnt, treffen, und auch Sightseeing war nicht möglich. In den sehr einfachen Appartements wohnten wir zu fünft, so dass man schon aufpassen musste, dass einem die Decke nicht auf den Kopf fiel. Die meisten von uns waren sicherlich froh, als sie wieder zuhause waren.

Tischtennis spiele ich seit 1989. Zwei Jahre davor verursachte eine Blutung im Rückenmark meine Querschnittslähmung, seitdem bin ich auf den Rollstuhl angewiesen. Zunächst nahm ich für die TSG Lindau-Zech an Wettbewerben im Regelsport teil, später dann auch für Ravensburg im Behindertensport. Dort wurde ich 1993 Bezirksmeister im Einzel, Doppel und im gemischten Doppel und 2011 in die deutsche Para-Tischtennisnationalmannschaft in Wettkampfklasse 3 berufen. Aktuell belege ich in der Weltrangliste den vierten Platz, im August 2019 war ich schon einmal Dritter. Mit Tom Schmidberger gewann ich bei der EM 2011 den Team-Titel und Einzel-Silber, 2013 wurden wir erneut Mannschafts-Europameister, und im Einzel holte ich Bronze. Bei der EM 2015 gewann ich in beiden Disziplinen die Goldmedaille, 2017 folgte erneut Team-Gold und Einzel-Bronze, ebenso im September 2019. Damit konnten wir im Team zum fünften Mal in Folge den Europameistertitel gewinnen, sind seit 2011 bei einer EM ungeschlagen und haben gemeinsam noch nie ein EM-Finale verloren. Für meine Erfolge erhielt ich 2012 und 2016 das Silberne Lorbeerblatt des Bundespräsidenten, die höchste Auszeichnung für Sportler in Deutschland.

Seit 2020 spiele ich nun für Tischtennis (TT) Frickenhausen sowohl in der Rollstuhltischtennis-Bundesliga – gemeinsam mit dem Iren Colin Judge – als auch in der ersten Männermannschaft in der Landesklasse. Hier bin ich im vorderen Paarkreuz gesetzt. In der letzten Saison, da ja bekanntlich wegen Corona abgebrochen wurde, sind wir zwar gut gestartet, doch ich denke, in der gerade begonnenen Saison müssen wir um den Klassenverbleib kämpfen. Aber ich habe das Gefühl habe, dass sich im „Neuffener Täle“ im Behindertensport etwas entwickeln kann. Mit Colin möchte ich in der Rollstuhl-Bundesliga in der Saison 2021/22 auf einem der drei ersten Plätze landen.

Der Club in Frickenhausen hat vor zwei Jahren eigens eine Para-Abteilung gegründet, und mittlerweile gehen die Rollstuhl-Teams nicht nur in der 1. Bundesliga, sondern auch zweimal in der Regionalliga an den Start, außerdem sind die „Rollis“ als Einzelsportlerinnen und -sportler bei Einzelmeisterschaften oder Turnieren im Einsatz. Aktuell spielen für TT Frickenhausen – 2019 schlossen sich der TTC und der TSV Frickenhausen zu diesem Verein zusammen – 13 Mannschaften um Punkte: Drei Damenteams, vier Herrenteams, drei Jugendteams und die drei bereits erwähnten Rollstuhlteams. Die Damen I in der Oberliga Baden-Württemberg, die Damen II in der Landesliga, Gruppe 2, und die Damen III in der Bezirksklasse. Die Herren I sind in der Landesklasse vertreten, die Herren II in der Bezirksklasse, die Herren III in der Kreisliga A und die Herren IV in der Kreisklasse.

Geboren bin ich in Lindau, studiert habe ich Pädagogik, und heute bin ich Grund- und Werkrealschullehrer an der Parkschule Kressbronn. Nach der ersten Staatsprüfung absolvierte ich dort von 2003 bis 2004 mein Referendariat und unterrichte seitdem dort immer noch mit viel Freude. Neben dem Tischtennis lese und esse ich gerne, bevorzugt Pizza, Sushi und Schnitzel, auch Handbiken zählt zu meinen Hobbys. Mein Lebensmotto lautet: „Always look on the bright side of life!“


Thomas Brüchle ist seit einer Blutung im Rückenmark 1987 querschnittsgelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Der in Lindau geborene Grund- und Werkrealschullehrer absolvierte von 2003 bis 2004 sein Referendariat an der Parkschule Kressbronn, wo er heute noch unterrichtet. Im Alter von 13 Jahren begann er bei der TSG Lindau-Zech Tischtennis zu spielen, war zunächst im Regelsport und später auch im Behindertensport aktiv. Seit 2011 gehört der Weltranglisten-Vierte – Spitzname „The Wall“ – in der Wettkampfklasse 3 dem Nationalteam im Para-Tischtennis an, gewann drei Silbermedaillen bei den Paralympics 2012 in London, 2016 in Rio und 2021 in Tokio, wurde 2014 und 2017 jeweils Mannschafts-Weltmeister, gewann 2018 WM-Bronze im Einzel und holte insgesamt sechs Titel bei Europameisterschaften. Für seine Erfolge erhielt er 2012 und 2016 das Silberne Lorbeerblatt. Seit 2019 spielt er für TT Frickenhausen sowohl in der Rollstuhltischtennis-Bundesliga als auch für die erste Männermannschaft in der Landesklasse. Sein Vorbild ist der Schwede Jan Ove Waldner.

[Fotos: Pressefoto Baumann & IMAGO / Beautiful Sports (2) & IMAGO / HMB-Media]