Michaela Bürk: Fanclub für den weiblichen VfB-Anhang

Zum VfB-Fan wurde ich schon in meiner Kindheit, und das kam so: Die Ferien verbrachte ich Anfang der Siebziger Jahre immer mit meiner Oma bei ihrem Bruder Willi Richt in Spiegelberg im Rems-Murr-Kreis. Dieser war 1945/46 mit dem VfB Stuttgart Süddeutscher Meister geworden, als man am letzten Spieltag am 23. Juni 1946 den 1. FC Nürnberg mit 1:0 besiegte. Willi Richt spielte linker Läufer oder Mittelläufer und bis 1936/37 für die SpVgg Cannstatt, mit der er 1934/35 in die Gauliga Württemberg aufgestiegen war. Zwischen 1937 und 1947 war er für den VfB Stuttgart aktiv, gewann 1937/38 die Meisterschaft in Württemberg und zog damit in die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft ein. Dort absolvierte er alle sechs Gruppenspiele gegen den BC Hartha, Fortuna Düsseldorf und Vorwärts Rasensport Gleiwitz, der VfB wurde am Ende Dritter. Von 1939 bis 1942 folgten vier Vizemeisterschaften, ehe 1943 der zweite Titelgewinn in Württemberg gelang. Mein „Onkel Willi“ spielte mehrmals an der Seite der Stuttgarter-Kicker-Stars Edmund Conen und Albert Sing in der württembergischen Gau-Auswahl. In der Oberliga Süd kam er nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem VfB auf insgesamt 53 Spiele, sein Trainer war Fritz Teufel, und Robert Schlienz gewann die Torschützenkanone mit 42 Treffern. Im Sommer 1947 beendete Willi Richt seine Spielerlaufbahn und übernahm als Trainer die TSG Öhringen und 1953 die Sportfreunde Esslingen.

Dies alles erzählte er mir, wenn ich mit meiner Oma bei ihm in den Ferien war, und er infizierte mich dadurch mit dem VfB- und Fußball-Virus. Denn eigentlich war ich Leichtathletin beim VfL Winterbach, meine Lieblingsdisziplin war der 100-m-Sprint. Wir nahmen an den Wettkämpfen von „Jugend trainiert für Olympia“ teil. Auch meine beiden drei und sechs Jahre älteren Brüder betrieben Leichtathletik beim VfLW.

Nach meiner Schulzeit in Grunbach und der Mittleren Reife begann ich bei der Schwabengarage eine Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau und wurde nach deren Abschluss 1986 in die Firma übernommen. 2012 wechselte ich auf die Geschäftsstelle der CDU Rems-Murr, wo mir mein Talent beim Organisieren zugutekam. Der Spaß am Organisieren war schließlich auch der Grund dafür, dass ich 2014 erstmals mit dem Gedanken spielte, einen weiblichen Fanclub zu gründen – und dass ich seit 23. Juli 2017 als Vorsitzende des offiziellen VfB-Fanclubs (OFC) „Achtzehn93 dunkelrote Mädels“ im Amt bin.

Die Gründungssitzung fand im „Palm Beach“, einer großen Bar neben der Mercedes-Benz Arena, statt. Wir hatten 24 Gründungsmitglieder und meine Vorstandskolleginnen waren von Anfang an Nina Deh (Zweite Vorsitzende), Marion Helm (Pressesprecherin) und Birgit Kurz (Schatzmeisterin). Wir wurden schnell mit einer Urkunde vom VfB Stuttgart als offizieller Fanclub anerkannt, ein Status, den es seit 1990 beim VfB gibt. Ein „Offizieller Fanclub des VfB Stuttgart 1893 e.V.“ muss „mindestens zehn Mitglieder, eine demokratische Clubstruktur, belegt durch die Einreichung einer Fanclubsatzung, die Gewaltverzichtserklärung unterschrieben und ein aktives Clubleben haben“. So fordern es die Richtlinien auf die Frage „Wie gründe ich einen Offiziellen VfB-Fanclub?“

Zu viele Mitglieder sollten es in unserem Club ursprünglich nicht werden, vielmehr sollte Jede Jede kennen. Doch mittlerweile sind wir mit über 160 Mädchen und Frauen in ganz Deutschland der größte weibliche Fanclub. Auch zwei Österreicherinnen zählen seit kurzer Zeit dazu – der Club ist wie eine große Familie, bestehend aber nur aus Frauen. Zwei unserer Mitglieder sitzen im Rollstuhl, uns ist Inklusion überaus wichtig, und wir heißen Fans mit Handicap ausdrücklich willkommen.

Mir war schon länger aufgefallen, dass immer mehr weibliche VfB-Anhänger im Stadion lautstark mitfieberten. Einem gemischten Fanclub beizutreten, ist jedoch nicht jederfraus Sache. Viele fühlen sich einfach unwohl, in eine geschlossene Gemeinschaft einzutreten, noch dazu, wenn man bei einigen Männern mit Vorbehalten rechnen muss. Sätze wie „Geh doch lieber zum Ballett oder zurück an den Herd“ und „Als Frau hast Du doch keine Ahnung von Fußball“ müssen sich viele weibliche Fans immer wieder anhören – wobei dies im Stadion selbst selten passiert. Skepsis bis Ablehnung schlägt einem hauptsächlich in den „sozialen“ Netzwerken entgegen. Uns war wichtig, als Frau eine eigene Meinung zu haben und äußern zu können sowie einfach ernst genommen zu werden, denn Interesse am Fußball ist bei vielen Frauen vorhanden.

Positiv an unserem rein weiblichen Fanclub ist sicherlich, dass alle neu hinzukommenden Frauen und Mädchen bei den „dunkelroten Mädels“ schnell Anschluss finden. Zickenkrieg gibt es bei uns nicht, das Altersspektrum ist breit gefächert und reicht vom drei Monate alten Baby bis zur 71-Jährigen, die die Zahl „1893“ – das Gründungsjahr des Vereins – auf den Arm tätowiert hat. Die meisten von uns haben schon länger Dauerkarten, für die Stehplatzränge oder auch für Sitzplätze auf dem Oberrang.

Bei jedem Heimspiel treffen sich die „dunkelroten Mädels“ etwa zwei Stunden vorher an der Treppe zwischen Palm Beach und dem VfB-Fan-Shop und widmen sich ihrem Lieblingsthema, der aktuellen Situation „unseres“ Bundesligisten. Wir diskutieren die mögliche Aufstellung, die Taktik, Veränderungen im Kader oder in der Führungsspitze, aber auch den Transfermarkt oder die Geschehnisse bei der Konkurrenz. Nach den Partien sind wir oft beim Clubheim, wo die Spieler ihre Autos parken, und können dort mit ihnen reden. Oder die Treppe ist wieder Treffpunkt, dann sprechen wir über das Spiel, die Chancen, gegebene oder nicht gegebene Elfmeter oder ob Hinausstellungen berechtigt waren oder nicht.

Die gemeinsamen Aktivitäten unserer weiblichen VfB-Fans beschränken sich aber nicht nur auf einen begrenzten Radius rund um das Stadion. Wir legen viel Wert auf soziale und karitative Aktionen, sind sehr gerne als Team gemeinnützig unterwegs und haben zum Beispiel für das Kinderhospiz Stuttgart Spenden gesammelt. Während der Coronazeit guckten wir gemeinsam Bundesligaspiele im Kalaluna Schorndorf, einer Sportsbar, und hielten mehrere Online-Sitzungen ab. Vor der Präsidentenwahl stellten sich so auch die Kandidaten bei uns vor. Zu den Clubsitzungen kam einmal Präsidiumsmitglied Dr. Bernd Gaiser (2018) und 2019 Mittelfeldspieler Erik Thommy – das war beide Male sehr interessant, und wir erhielten Informationen aus erster Hand.

Vielen von uns, die an Corona-Depressionen litten, hat der Zusammenhalt der „Dunkelroten Mädels“ geholfen und ihnen Rückhalt und Unterstützung geboten. Zu „normalen“ Zeiten unternehmen wir Ausfahrten nach Hamburg, Dortmund oder – früher – nach Schalke. Unsere weiteren Ziele sind eine Zaunfahne und ein spezielles „eigenes“ Trikot.

Wir haben als Fanclub mit dem VfB einiges mitgemacht, den Abstieg in die Zweite Liga und nach einem Jahr den Wiederaufstieg. In schlechteren Zeiten hat es geholfen, dass wir so viele sind. Für den aktuellen VfB bin ich frohen Mutes, er hat eine junge Mannschaft, die sich gut entwickeln kann.

Der VfB Stuttgart nimmt in meinem Leben schon sehr breiten Raum ein, mein Partner wird manchmal als „First Lady“ gefrozzelt. Meine Tochter (26) hat mit Fußball freilich nichts im Sinn – aber der VfB ist heute sehr stolz auf uns „dunkelrote Mädels“!!!


Michaela Bürk kam in Stuttgart-Bad Cannstatt zur Welt und wohnt heute in Winterbach. Schon als kleines Kind wurde sie Fan des VfB Stuttgart, weil sie bei ihrer Oma in Spiegelberg immer die Ferien verbrachte und deren Bruder, Willi Richt, 1945/46 mit den „Roten“ Süddeutscher Meister geworden war. 2014 reifte die Idee, einen weiblichen Fanclub zu gründen – was 2017 tatsächlich geschah. Seitdem ist sie Vorsitzende des „Offiziellen Fanclubs des VfB 1893 e.V.“ (OFC) namens „Achtzehn93 dunkelrote Mädels“, dem mit über 160 Mitgliedern größten weiblichen Fanclub bundesweit.

[Fotos: Pressefoto Baumann & privat]