Michael Salzer: Vom Diskuswerfer zum Bobfahrer

Bei den Handball-Minis der TG Nürtingen und mit den Trainern Beate Wahler und Dieter Strobl begann, als ich fünf oder sechs Jahre alt war, meine sportliche Karriere. Ich spielte bis zur B-Jugend und hatte viel Spaß dabei, dann konzentrierte ich mich aber auf die Leichtathletik; dort wurde ich von meinem Vater Peter und von Rolf Raisch trainiert. Mit dem Diskus hatte ich in der A-Jugend eine Bestweite von 65,42 Metern, mit der Kugel stieß ich 17,70 Meter. 2010 wurde ich als „Werfer-Athlet des Jahres“ geehrt und gehörte dem Kader des Württembergischen Leichtathletik-Verbandes (WLV) an. Das kam ja nicht ganz von ungefähr, schließlich hatte meine Mutter Anke unter ihrem Mädchennamen Köninger 1979 bei den Junioren-Europameisterschaften im polnischen Bydgoszcz mit der deutschen Sprintstaffel die Bronzemedaille gewonnen. Zudem war sie 1984 im Siebenkampf und 1988 mit der 4x100-m-Staffel des VfL Sindelfingen Deutsche Meisterin geworden. Mein Vater Peter wurde 1975 und 1976 Deutscher Jugendmeister im Kugelstoßen und ist heute WLV-Landestrainer Diskuswerfen und Kugelstoßen sowie Trainer des Paralympics-Siegers und Weltrekordlers im Kugelstoßen, Niko Kappel. 2016 wurde er vom Landessportverband Baden-Württemberg als „Trainer des Jahres“ ausgezeichnet.

Über meinen Leichtathletik-Kumpel David Wrobel aus Leinfelden-Echterdingen, der zum SC Magdeburg wechselte und in Kienbaum den Zweierbob-Vize-Weltmeister Thomas Florschütz kennenlernte, kam ich dann im Herbst 2014 mit dem Bobsport in Kontakt. Mein Kumpel Markus Reichle, Kugelstoßer vom TSV Gammertingen, und ich erhielten eines Tages eine Einladung zu Anschubtests in Oberhof, die ganz ordentlich verliefen. Jedenfalls saß ich plötzlich im November 2014 beim Europacup auf der Olympiabahn von 1992 in La Plagne in den französischen Alpen im Viererbob von Nachwuchshoffnung Christoph Hafer (BC Bad Feilnach) und fuhr anschließend mit ihm mehrere Rennen.

Im Viererbob sitze ich als Anschieber an Position zwei direkt hinter dem Piloten, damit ich genügend Platz für meine langen Gräten habe – immerhin bin ich zwei Meter groß. Mein Gewicht von 105 Kilogramm ist durchaus von Vorteil, denn je schwerer der Bob ist, desto mehr Tempo kann er aufnehmen. Samt Besatzung wiegt ein Viererbob maximal 630 Kilogramm. Dreimal bin ich im Vierer gestürzt – jedes Mal in Winterberg! Nach dem Start, bei dem wir alle möglichst schnell unser Top-Tempo erreichen müssen, bleibt mir nichts mehr zu tun. Ich kauere hinter Christoph Hafers Rücken, ducke den Kopf runter und warte, bis wir im Ziel sind. Selbst mal an den Leinen zu sitzen und den Bob zu steuern, reizt mich aber eher nicht.

Mein Moment kam dann im Februar 2015 bei der Junioren-Weltmeisterschaft im sächsischen Altenberg. Völlig überraschend holte unser Team mit Steuermann Christoph Hafer, den beiden Anschiebern Michael Salzer und Marc Rademacher sowie Bremser Jakob-Kilian Trenkler den Titel. Nach lediglich ein paar Monaten im Bob war ich Junioren-Weltmeister, nicht zu fassen! Und meine Mutter stand als Zuschauerin an der Eisrinne! Die beiden Läufe waren richtig knapp, am Ende hatten wir nur drei Hundertstelsekunden Vorsprung vor dem Schlitten des weltcuperfahrenen und spurtstarken Letten Oskars Kibermanis, der beim Weltcup noch Platz vier auf der schwierigen Bahn im Erzgebirge belegt hatte. Gleich anschließend durfte unser Vierer bei der WM der „Großen“ in Winterberg im Sauerland starten, da belegten wir als „Frischlinge“ den 16. Platz. 2019 hatte ich einen Einsatz im Weltcup auf der Olympiabahn von 1932 und 1980 in Lake Placid, eine der schwersten Bahnen überhaupt. Das allein schon war ein beeindruckendes Ergebnis – wir kamen sturzfrei runter und belegten den 13. Platz.

Bereits im Jahr 2011, damals noch als Leichtathlet, verpflichtete ich mich bei der Bundeswehr, wo ich optimale Trainingsbedingungen hatte. Als Sportsoldat in einer Sportförderkompanie absolviere ich meinen Dienst bis vorerst einmal September 2021 derzeit in der Schwarzwald-Kaserne in Todtnau im Range eines Oberfeldwebels. 2013 begann ich im Fernstudium eine Ausbildung zum Sportökonomen, die ich drei Jahre später mit dem Bachelor abschloss. Das Thema fand ich zwar ganz interessant, aber so richtig mein Ding war es doch nicht. Deshalb begann ich 2017 in der Kolping-Schule Stuttgart unter der Leitung von Dr. Regina Nolte, die mich beim Olympiastützpunkt Stuttgart (OSP) betreute, eine Ausbildung zum Physiotherapeuten, die aufgrund einer Kooperation zwischen der Schule und dem OSP möglich wurde.

Im Corona-Jahr 2020 hatte ich zweigleisig viel Stress. In meiner Physio-Ausbildung musste ich Ende September die Abschlussprüfung überstehen, wobei in 30 Fächern insgesamt 25 Prüfungen zu absolvieren waren. Dazwischen lagen die Anschubtests in Oberhof und Berchtesgaden, die nicht nur für die Nominierung für die Weltcup-Qualifikation wichtig waren, sondern auch über die Verlängerung meiner Bundeswehrzeit in der Sportförderkompanie über den September 2021 hinaus. Immer hatte ich ein schlechtes Gewissen, für das Eine oder das Andere nicht genügend gelernt beziehungsweise trainiert zu haben. Aber am Ende habe ich beides geschafft, das Staatsexamen zum Physiotherapeuten und die Tests – ich war danach zwar richtig kaputt, aber total glücklich! Meine Hobbies sind Playstation spielen und Freunde treffen. Und nach dem Ende meiner Karriere als Leistungssportler könnte ich mir sehr gut vorstellen, wieder bei der TG Nürtingen Handball zu spielen.


Michael Salzer ist in Stuttgart geboren und machte 2011 am Wirtemberg-Gymnasium in Stuttgart-Untertürkheim sein Abitur. Er ist Mitglied der TG Nürtingen und startet beim Bobfahren für den Bob-Club Stuttgart Solitude.

[Fotos: Pressefoto Baumann / privat]