Michael Kuhn: Trampolin-Weltklasse als Aktiver und als Trainer

Durch meinen Sport Trampolinturnen habe ich in den vergangenen fast 40 Jahren als Aktiver und als Trainer sehr viele tolle Moment erlebt, aber auch ganz bittere Niederlagen – aber das gehört zum Sport einfach dazu! Ein ganz beeindruckender Moment, den ich nie vergessen werde, war der Olympiasieg in Athen 2004 durch Anna Dogonadze aus Bad Kreuznach, ein Jahr zuvor führte ich Henrik Stehlik aus Salzgitter zum Weltmeister-Titel. Bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro konnte die von mir aufgebaute und trainierte Leonie Adam aus Bonlanden als Zehnte glänzen, immerhin sind bei Olympia nur 16 Frauen und 16 Männer startberechtigt, zur erweiterten Weltklasse zählen jedoch 80 bis 90 Sportlerinnen und über 110 Sportler! Mit Rio hing zugleich auch eine sehr bittere Enttäuschung zusammen, denn es hatten sich keine Männer für die Spiele unter dem Zuckerhut qualifiziert – so dass ich am Ende des Jahres 2016 als Bundestrainer entlassen wurde.

Geboren wurde ich auf der rauhen Ostalb, in Mögglingen, und mit dem bekanntesten Sohn dieser Stadt kickte ich bis zur F-Jugend zusammen beim FC Stern Mögglingen: Carl-Uwe „Charly“ Steeb konzentrierte sich anschließend jedoch auf den Tennissport, gewann dreimal den Daviscup und war auch eine Zeit lang deutscher Daviscup-Kapitän. Zum Trampolinspringen kam ich durch einen Zufall. Der Realschullehrer Wolfgang Pfleghard hat mich beim Schulsport im Gymnasium Heubach beim Minitrampolinspringen beobachtet. Da ich das Turnen im TV Mögglingen gelernt habe, konnte ich damals schon Saltos drehen. Pfleghard leitete in Heubach die Trampolinabteilung und lud mich daraufhin zu einem Probetraining ein. Ich kannte noch nicht einmal das Sportgerät Trampolin und stellte es mir so ähnlich vor wie ein Trapez im Zirkus (ein aufgespanntes Netz in jeder Hallenecke ...)! Ich war dann ganz enttäuscht, als ich in die Halle kam und das Trampolin nur etwa vier mal zwei Meter groß war.

Im wettkampfmäßigen Trampolinturnen war ich dann ganz erfolgreich: Mannschafts-Weltmeister 1986, vier Mal Vize-Weltmeister im Einzel und mit dem Team (1986, 1988, 1990 und 1992), ich gewann drei Medaillen bei Europameisterschaften und holte fünf Deutsche Meistertitel. 1985 und 1989 war ich Sieger bei den World Games, den Weltspielen der nicht-olympischen Sportarten. Damals wurde unter den fünf Ringen noch nicht Trampolin geturnt, erst 2000 in Sydney zählte es für Frauen und Männer zum olympischen Programm, nachdem es 1996 in Atlanta als Demonstrationswettbewerb überzeugen konnte.

Das Trampolinturnen oder -springen wurde 1934 durch den Amerikaner Georg Nissen erfunden, der Segeltuch mit einigen Federn und einem Metallrahmen verband. Das Wort kommt wohl aus dem Italienischen („trampolino“ = Sprungbrett), und der erste reguläre Wettkampf fand 1947 in Dallas statt. 1955 kam die Sportart nach Europa und wurde 1959 schließlich vom Turn-Weltverband Fédération Internationale de Gymnastique (ITF) offiziell anerkannt. Das Trampolinturnen auf dem Großtrampolin wird in drei Kategorien ausgetragen – im Einzel, als Synchronwettbewerb oder mit der Mannschaft. Dabei werden die einzelnen Resultate der vier Teammitglieder addiert.

Trampolinspringen fördert den Stoffwechsel und aktiviert alle Muskelgruppen und deren Zusammenspiel. Das Trampolinturnen erfordert höchste Disziplin, Konzentration und Körperbeherrschung. Eine ausgeprägte Athletik ist eine Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches und gesundes Ausüben der Sportart. Was von außen so leicht und schwerelos aussieht, ist das Ergebnis jahrelangen, harten Trainings. Für kurze Zeit der Schwerkraft zu entkommen und frei in der Luft zu schweben, das macht die Faszination des Trampolinturnens aus. Wer selbst einmal die Möglichkeit hatte, auf einem „richtigen Trampolin“ zu turnen, konnte dabei den Reiz dieser Sportart spüren. Führende Nationen beim Trampolinturnen sind China, Russland, Kanada, Japan und Weißrussland. Deutsche Meisterschaften werden jedes Jahr ausgetragen, Europameisterschaften alle zwei Jahre. Welttitelkämpfe fanden zunächst im Zwei-Jahres-Rhythmus statt, seit 2009 sind sie ebenfalls jährlich im Programm.

Noch während meiner aktiven Zeit begann ich 1986 ein Studium an der TU München und schloss es 1992 als Diplomsportlehrer ab. Der damalige Geschäftsführer des Schwäbischen Turnerbundes (STB), Robert Baur, hatte mir schon zu dieser Zeit gesagt: „Wenn Du fertig studiert hast, kommst Du als Trainer zum STB!“ Und so geschah es. Ab 1992 arbeitete ich als STB-Landestrainer, zunächst auf einer halben Landestrainerstelle und einer halben Stelle in der Trainer- und Übungsleiterausbildung in Ruit. Damals habe ich meine spätere Frau Stefanie kennengelernt. Weil ich keinerlei Erfahrung als Trainer hatte, ließ ich mir sehr viel von ihr – sie war Trampolinspringerin und Trainerin beim MTV Stuttgart – und von MTV-Trainer Markus Kukral zeigen. Beide haben mir die ersten Hilfestellungen, Tricks und Kniffe am Beginn meiner Trainerlaufbahn gezeigt, als ich unter anderem in der Tivoli-Halle im Stuttgarter Westen angefangen habe.

Zum Jahreswechsel 1997/1998 musste dann der damalige Bundestrainer gehen – und ich wurde neuer Bundestrainer, jetzt allerdings in Vollzeit. Damals habe ich sehr viel gearbeitet und mich nicht geschont! Nationaltrainer war ich bis nach Rio 2016. Dass sich kein Mann für die Spiele dort qualifiziert hatte, wurde letztlich dem Trainer angekreidet und der schließlich entlassen. Der Deutsche Turner-Bund (DTB) verlängerte damals meinen Vertrag nicht und „reagierte damit auf die sportliche Talfahrt der deutschen Trampolinturner in den vergangenen Jahren. Für die Olympischen Spiele von Rio de Janeiro hatte sich nur die Deutsche Meisterin Leonie Adam qualifizieren können. Die Stuttgarterin verpasste jedoch in Brasilien den Sprung ins Finale und belegte den zehnten Platz. Auch bei den Spielen von London 2012 waren die deutschen Athleten ohne Medaille geblieben“, so die Begründung.

In die 18 Jahre meiner Zeit als Bundestrainer fielen eine olympische und vier WM-Goldmedaillen, eine Olympia-Bronzemedaille, insgesamt weitere 14 WM-Medaillen und 21 Plaketten bei Europameisterschaften. Und die Tatsache, dass jetzt in Tokio das deutsche Trampolin erstmals überhaupt nicht vertreten ist, tut mir richtig weh – da blutet mir einfach das Herz! Bei den Qualifikationen konnten die deutschen Athletinnen und Athleten leider nicht alles zeigen, was sie können.

Mit meiner Familie wohne ich in Degerloch, meine beiden Jungs spielen bei Germania Degerloch Fußball, unsere Tochter studiert in Tübingen Deutsch und Spanisch und war früher beim tus Stuttgart als Handballerin am Ball. Meine Hobbies sind Tennis, Ski- und Radfahren, Letzteres schont meine Gelenke. Zwar bin ich schlank gebaut, aber für Trampolin fast zu groß, und zu meiner aktiven Zeit wurde auf Prophylaxe noch nicht so viel Wert gelegt.

Wenn heutzutage in fast jedem Garten ein kleines Trampolin steht, finde ich das in Ordnung: Es bringt den Kindern viel Spaß und Freude, und sie bewegen sich, was in diesem Umfang im Verein so nicht möglich ist. Bei unsachgemäßem Umgang und nicht sachgerechtem Anlauf birgt das Springen darauf jedoch durchaus auch Risiken. Deshalb ist die Beschäftigung mit und auf einem Trampolin im Vereinstraining auf alle Fälle zu bevorzugen!


Michael „Mitch“ Kuhn ist in Mögglingen/Ostalb geboren und spielte bis zur F-Jugend Fußball mit dem dreimaligen Davis-Cup-Gewinner im Tennis und späteren Davis-Cup-Kapitän Carl-Uwe Steeb. Von 1984 bis 1992 wurde Michael Kuhn als Trampolinturner unter anderem Weltmeister mit dem deutschen Team, gewann jeweils zweimal WM-Silber im Einzel und mit der Mannschaft, drei Medaillen bei Europameisterschaften und holte fünf Deutsche Meistertitel. Nach seiner aktiven Zeit arbeitete er als Landestrainer beim Schwäbischen Turnerbund und von 1998 bis Ende 2016 als Bundestrainer.

[Fotos: Pressefoto Baumann]