Hermann Graf: Erstes offizielles Länderspiel gegen die DDR

Erst in der C-Jugend kam ich zum Handball, davor war ich Leichtathlet beim SKV Stammheim, später beim TV Stammheim und spielte auch Fußball. Einmal war ich Stuttgarter Stadtmeister im Speerwerfen mit etwa 46 Metern, die 100 Meter lief ich in 11,8 Sekunden. Mit 20 oder 21 Jahren hörte ich dann auf und widmete mich nur noch dem Handball. Als ich mit 15 Jahren meine Lehre als Werkzeugmacher bei Heinkel begann, holte mich mein Ausbilder zu seinem Verein, er war Handball-Jugendleiter beim TSV Zuffenhausen. Nach der Lehre war ich bis 1958 im Werkzeugbau tätig, ehe mich meine spätere Frau Bärbel als Handelsvertreter in ihre Firma Sorma Reiningungsmaschinen rüberlotste. Ihr Bruder Jörg Steinle war Torwart bei TSV Zuffenhausen, und ich spielte mit ihm zusammen beim TSV und in der Nationalmannschaft – so lernten wir uns kennen.

Bis zur Rente im Jahr 2000 arbeitete ich dann als selbstständiger Handelsvertreter für Reinigungs- und Pflegemittel, denn Zielstrebigkeit im Beruf war für mich sehr wichtig: Zuerst kommt die Arbeit, dann der Sport – daran habe ich mich immer gehalten. Vom Handball konnte man schließlich nicht runterbeißen – damals zumindest nicht! Bei Reisen mit dem Deutschen Handballbund (DHB) unter acht Stunden gab es fünf Mark Spesen, wir mussten fast alles aus eigener Tasche bezahlen. Damit ich mit einem „anständigen“ Lederkoffer zur Weltmeisterschaft 1961 in Deutschland fahren konnte, hatten einige AH-Spieler des TSV Zuffenhausen sogar ihre Skatkasse geleert!

Der TSVZ gehörte damals zu den „großen Drei“ im württembergischen Großfeldhandball, zusammen mit Frisch Auf Göppingen und dem TB Esslingen. Gegen beide Vereine spielten wir in der Oberliga Süd, der höchsten Spielklasse im Land. Weiter dabei waren der TSV Ansbach mit Erwin und Konrad Porzner, TuS Schutterwald und TuS Hofweier, die SG St. Leon und die SG Leutershausen. 1956, 1957 und 1958 waren wir bei den Spielen um die deutsche Meisterschaft dabei, zusammen mit den ebenfalls qualifizierten Vereinen der Gruppen Nord, West und Berlin. Die Heimspiele fanden auf der berühmten „Schlotwiese“ statt, und wir hatten dort bis zu 5.000 Zuschauer oder auch mehr.

Bei der Weltmeisterschaft in Deutschland – gespielt wurde in Berlin, Kiel, Dortmund, Krefeld, Münster und Essen – trat letztmals eine gesamtdeutsche Mannschaft an, Trainer waren Heinz Seiler (DDR) und Werner Vick vom DHB. Zur Mannschaft zählten aus dem Westen Jürgen Hinrichs im Tor – er war von 1989 bis 1993 dann auch Präsident des DHB –, Adolf Giele (Hamburg), der Göppinger Gerhard Grill, Bernd Mühleisen vom SV Möhringen, Hinrich „Hinni“ Schwenker (Bremen, Vater des späteren Nationalspielers Uwe Schwenker), Edwin Vollmer (Frisch Auf Göppingen) und ich. Aus der DDR waren unter anderem Peter Kretzschmar, der Vater von „Kretzsche“, und Paul Thiedemann, der 1980 als Trainer die DDR zu Olympia-Gold führte, dabei. Beide waren bei Länderspielen oft auch Zimmerkollegen von mir. Wir gewannen unsere Vorrundenspiele gegen die Niederlande mit 33:7 Toren, gegen Frankreich 21:7 und in der Hauptrunde mit 15:8 gegen Norwegen und mit 15:13 gegen Dänemark. Gegen Rumänien unterlagen wir mit 9:12, so dass Deutschland als Hauptrunden-Zweiter im Spiel um Platz drei stand, das wir gegen Schweden mit 14:17 Toren verloren. Weltmeister wurde Rumänien mit 9:8 nach zweimaliger Verlängerung gegen die Tschechoslowakei.

Auch bei der WM 1964 in der CSSR reichte es leider nicht aufs Treppchen, wieder belegten wir – diesmal mit einer reinen DHB-Auswahl – den vierten Platz. Zwar wurden wir Gruppensieger nach einem 14:14-Unentschieden gegen Jugoslawien, einem 12:10-Sieg gegen die DDR und einem 24:13 über die USA. Aber in der Hauptrunde wurden wir dann erneut Zweiter, weil wir den Ungarn mit 15:19 unterlagen, so dass auch der 16:8-Erfolg gegen den späteren Vize-Weltmeister Schweden nichts mehr nutzte. Um Platz 3 bezwang uns Gastgeber CSSR in Prag mit 22:15 Toren. Weltmeister wurde wiederum Rumänien mit einem 25:22 gegen Schweden. Die Partie gegen die DDR in Gottwaldov war übrigens das erste offizielle Aufeinandertreffen beider deutscher Staaten im Handball. Kuriosum am Rande: Im Tor der USA stand – unser ehemaliger Nationalmannschaftskollege Jürgen Hinrichs, der damals für die Volkswagen AG in den Vereinigten Staaten tätig war. Sein Team schied allerdings bereits in der Vorrunde aus und unterlag dabei sowohl der bundesdeutschen als auch der DDR-Nationalmannschaft (9:20). Gegen Jugoslawien ging das US-Team sogar mit 3:22 Toren unter.

An mein erstes Länderspiel erinnere ich mich noch sehr gut: Es war im März 1958 in der Kieler Ostseehalle gegen die Tschechoslowakei und wir unterlagen mit 16:20 Toren. Damals lernte ich auch Torwart Jürgen Hinrichs kennen, der war einfach ein feiner Kerl, und wir hatten eine nette Zeit. Später traf ich ihn in Traunstein beim Golfen wieder – ich hatte 2004 mit Golfspielen begonnen, als mich ein Kumpel einmal mitgenommen hat. Ich spielte dann regelmäßig beim Golfclub Schloss Weitenburg zwischen Rottenburg und Horb und hatte am Ende ein Handicap von 15,6!

In der Nationalmannschaft bestritt ich insgesamt 42 Länderspiele, war Stammspieler und Kapitän unter Bundestrainer Werner Vick und Kreisläufer. Wir kamen im Jahr auf vier bis sechs Länderspiele, haben vier Mal pro Woche trainiert, und 1965 beendete ich meine Karriere im Trikot mit dem Bundesadler. Mein Abschiedsspiel fand am 13. März in Berlin statt, Gegner war Schweden, und wir gewannen knapp mit 14:13 Toren. Ich habe auch sehr gerne Großfeld gespielt als Mittelstürmer, aber für die Nationalmannschaft trat ich nur in der Halle an, obwohl es bis 1966 offizielle Großfeld-Länderspiele gab.

Für den TSV Zuffenhausen habe ich bis 1972 gespielt, zuletzt war mein Schwager Jörg Steinle dort mein Trainer. Mit 37 Jahren habe ich zwar aufgehört, bin dann aber doch noch einmal eingesprungen. Der TSVZ benötigte aus vier Spielen sechs Punkte, um nicht abzusteigen – ich machte drei Spiele, in denen wir sechs Punkte holten. Das war’s dann!

Der Handball heute ist nicht vergleichbar mit dem Handball zu meiner Zeit. Sie spielen heute schon einen sehr guten Handball, aber die Regeln sind anders. In unseren Spielen fielen nicht so viele Tore, es gab Ergebnisse wie 9:7 oder 6:6, aber die Spiele damals waren „scho au knallhart“!

1968 zogen wir ins eigene Haus nach Scharnhausen, beim TSV bin ich seit 1969 Mitglied und habe einige Male in der AH gespielt. Früher war ich bei jedem Heimspiel in der Körschtalhalle dabei, als die Scharnhäuser Handballer dann aber nach Stuttgart umzogen, kam ich nicht mehr! Meine Frau Bärbel starb leider viel zu früh mit nur 64 Jahren, wir sind früher zusammen viel gewandert, haben das Matterhorn, den „Berg der Berge“, gemeinsam bestiegen oder haben ausgiebige Radtouren unternommen. Ich war immer ein leidenschaftlicher Ski- und Radfahrer und auch mein Motorrad hat mir immer viel Spaß gemacht. Später habe ich dann auch Tennis gespielt. Altershalber musste ich mir eine neue Hüfte einsetzen lassen und eine Spinal-OP über mich ergehen lassen. Bergsteigen und sportliche Aktivitäten sind nicht mehr drin, aber gerne spiele ich heute noch „Ziehörgele“. Es geht mir, dem Alter entsprechend, gut, und ich bin mit meinem Leben zufrieden!


Hermann „Bubes“ Graf (85) wurde in Stuttgart geboren und wuchs in Stammheim auf. Zunächst war er Leichtathlet (Speerwerfen, Sprint) beim TV Stammheim, dann spielte er Handball für den TSV Zuffenhausen. 42 Mal trug er das Trikot der Nationalmannschaft, deren Kapitän er auch war. Bei den Weltmeisterschaften 1961 in Deutschland wurde er mit der letztmals als gesamtdeutsche Mannschaft auftretenden Auswahl Vierter, ebenso bei der WM 1964 in der Tschechoslowakei, wo das Team in der Vorrundengruppe die DDR mit 12:10 Toren besiegte. Seit 1968 lebt er in Ostfildern-Scharnhausen.

[Fotos: privat]