TOM UND BENNI IN PARIS | Folge 7
30.07.2024
Bei den Olympischen Spielen in Paris hat die SportRegion Stuttgart gleich zwei Sportjournalisten vor Ort – Tom Bloch und Benjamin Lau berichten in der Kolumne TOM UND BENNI IN PARIS exklusiv aus der französischen Hauptstadt. Für den Sportfotografen Benni Lau sind es die ersten Olympischen Spiele, Kollege Tom Bloch war bereits in Rio de Janeiro und in Tokio am Start. Täglich erzählen die beiden über ihre Erlebnisse in der Weltstadt an der Seine im Ausnahmezustand.
Folge 7: Shit happens
Shit happens. Genau darum geht es. Beziehungsweise, was da drin steckt, im „Shit“. In der Scheiße.
Escherichia coli und Enterokokken nämlich.
Die gibt’s eigentlich überall und selbst im menschlichen Körper.
Aber zu viel davon, ist halt blöd.
Weil diese winzigen, gar nicht putzigen Gesellen, Infektionen fördern.
Zum Beispiel in Gewässern.
Zum Beispiel in Gewässern, die für Olympische Wettbewerbe vorgesehen sind.
Deshalb sind die Triathlon-Schwimmtrainings ausgefallen und der Wettkampf selbst musste sogar verschoben werden. Im Ernstfall, so hört man, gibt es am Ende vielleicht nur einen Duathlon. Da hilft es nicht, wenn doch gerade erst Bürgermeisterin Anne Hildago in der Seine geschwommen ist. Denn die Werte werden an mehreren Stellen jeden Tag frisch bestimmt. Und wenn die Belastung zu hoch ist, geht halt gar niemand ins Wasser. Da hilft auch keine offizielle Athleten-Akkreditierung.
Klar, kann man sich darüber lustig machen: 1,4 Milliarden Euro hat die Stadt Paris im Vorfeld in die Aufbereitung des Abwassersystems gesteckt. Und trotzdem isses ein Satz mit X.
Oder man geht der Sache auf den Grund.
In den Untergrund.
Dafür gibt es sogar ein Museum, das Musée des Égouts.
Natürlich direkt an der Seine.
Natürlich direkt angeschlossen an das Abwassersystem der Metropole.
„Wenn wir Glück haben, sehen wir auch ne Ratte“, sagt Museums-Direktor Benjamin Raigneau auf der Tour unter der Erdoberfläche und lacht herzlich. Weil eben die im Vorfeld groß angekündigte wieder erlangte Sauberkeit der Seine nun doch nicht eingetroffen ist, haben viele Journalisten aus aller Welt die Chance genutzt, sich auf eine zufällig im Begleitprogramm der Stadt ausgeschriebene Besichtigung des Pariser Abwassersystems zu begeben.
Und diese Journalisten haben große Sorge.
Nicht wegen der Bakterienbelastung.
Sondern um mich, den hochgewachsenen Deutschen.
Dass, Shit happens, ich mir bei dem Untergrundspaziergang den Schädel stoße.
Menno, dabei bin ich doch damit groß geworden, mich zu bücken.
Und so lachen alle, wenn ich durch Türrahmen, durch lange niedrige Gänge oder unter dicken Rohren durchtauche. Unter anderem sorgt sich auch Islam aus Bangladesch, der „Ronny“ genannt wird, und sofort ein Foto mit mir will, weil er noch nie so einen großen Menschen gesehen hat.
Ohne hier jetzt zu sehr ins Detail zu gehen: In dem größten zusammenhängenden Abwasser-System Europas fließt alles zusammen, was rund 12 Millionen Bürger täglich produzieren. Dazu noch das Regenwasser. Wenn dann auf einmal zu viel Masse durch die Rohre rauscht, gehen automatische Schieber auf, und alles fließt direkt weiter – natürlich ungeklärt – in die Seine.
Genau dieser Prozess wurde durch die teuren Maßnahmen vor Olympia auf ein Minimum reduziert. Die zahlreichen, idyllisch an der Seine liegenden Hausboote, wurden allesamt an die Kanalisation angeschlossen. Die riesigen Kläranlagen noch riesiger, und am Bahnhof Gare d’Austerlitz wurde ein gigantisches unterirdisches Regenrückhaltebecken in der Erde versenkt. „99,xx Prozent der belastenden Bakterien können wir jetzt herausfiltern“, sagt der Herr Direktor.
Nun ist aber das Wetter genauso wenig regulierbar wie die Verdauung. Weil die Eröffnungsfeier mal so richtig ins Wasser fiel, und sehr viel Regenwasser in kürzester Zeit in die Kanalisation floss, strömte eben wieder ein Teil der Abwässer ungeklärt in die Seine: Koli- und Enterokokken-Bakterien schwammen sozusagen um Olympisches Gold. Deshalb dürfen jetzt keine Sportler ins Wasser. Doch Museumsdirektor Benjamin Raigneau sieht das völlig entspannt. „Sobald es nicht mehr regnet, erledigt das System das Problem von selbst. Man darf die Selbstreinigungskraft von Fließgewässern nicht außer Acht lassen.“
Er vertraut Fakten. Und weniger Politikern, die mehr oder weniger medienwirksam in die Seine hüpfen. Schon Jacques Chirac, einst Bürgermeister von Paris bevor er Staatspräsident wurde, prophezeite anno 1988, dass die Probleme angegangen werden und er in drei Jahren in der Seine baden gehen würde. „Das ist er natürlich nie“, sagt Direktor Raigneau.
Unabhängig von den Olympischen Spielen herrscht bei Raigneau und dem Team der Abwasserbeseitigung Zuversicht. Schon im nächsten Jahr sollen drei öffentliche Bade-Spots in der Seine eröffnet werden. Olympiade hin oder her.
Also alles halb so wild.
Nur, ein nachhaltiges Ergebnis hat das Abtauchen in den Untergrund auch bei mir hinterlassen.
Jedes Mal, wenn ich jetzt auf der Toilette sitze, denke ich an das, was dann anschließend damit passiert.
Shit happens.
Tom Bloch
Alle Folgen der Serie: https://www.sportregion-stuttgart.de/tom-und-benni-in-paris



