TOM UND BENNI IN PARIS | Folge 16
08.08.2024
Bei den Olympischen Spielen in Paris hat die SportRegion Stuttgart gleich zwei Sportjournalisten vor Ort – Tom Bloch und Benjamin Lau berichten in der Kolumne TOM UND BENNI IN PARIS exklusiv aus der französischen Hauptstadt. Für den Sportfotografen Benni Lau sind es die ersten Olympischen Spiele, Kollege Tom Bloch war bereits in Rio de Janeiro und in Tokio am Start. Täglich erzählen die beiden über ihre Erlebnisse in der Weltstadt an der Seine im Ausnahmezustand.
Folge 16: Der letzte Tanz
Es kommt nicht oft vor, dass man live dabei ist, wenn Geschichte geschrieben wird. Ich habe Glück und darf in Paris einen solchen Moment erleben. Und zwar aus nächster Nähe.
Es ist kurz nach 22 Uhr. Die Halle tobt. Schwedens Männer haben im Tischtennis-Viertelfinale so eben Deutschland bezwungen. Anton Källberg reckt die Faust in Richtung des jubelnden schwedischen Königspaares, welches sich inmitten der Fans befindet. Durch den klaren 3:0-Sieg ist Källbergs Team ins Halbfinale eingezogen und somit ganz nah dran an den begehrten Medaillen.
Dann wird es auf einmal ganz still. Timo Boll, der deutsche Superstar, steht auf der anderen Seite des Tisches. Für einen Moment steht er ganz ruhig da, fast in sich gekehrt. Die Gefühlswelten der beiden Sportler könnten kaum unterschiedlicher sein. Denn es ist klar: Das war gerade Bolls letztes Spiel im Nationaltrikot.
Timo Boll ist nicht irgendein Spieler. Er ist das Gesicht des deutschen Tischtennissports. Phasenweise Weltranglistenerster. Einer der wenigen Europäer, die in Chinas Superliga gespielt und dort den Titel geholt haben. Menschen weinen teilweise, wenn sie ihn auf der Straße erkennen. Ein großer Sportsmann zudem, der Schiedsrichterentscheidungen mitunter zu seinen Ungunsten korrigiert, da ihm Fairplay wichtiger ist als der sportliche Erfolg.
Eine absolute Legende des Sports hat soeben ihren letzten Ballwechsel mit dem Nationalteam absolviert. Einer der größten deutschen Sportler tritt ab. Ein anderer, im wahrsten Sinne des Wortes „großer“ Sportler applaudiert auf der Tribüne. Basketball-Star Dirk Nowitzki sitzt im Publikum. Beide eint, dass sie bei Olympia Fahnenträger waren. Nowitzki führte 2008 in Peking das deutsche Team an, Boll 2016 in Rio.
Nach den beim Tischtennis obligatorischen Handshakes mit Schiedsrichtern, Trainern und Spielern sitzt Timo Boll einfach nur da, ehe sich die Halle erneut erhebt. „Tiiiimo, Tiiimo“, schallt es durch die Halle. 6.500 Zuschauer verneigen sich noch einmal vor Timo Boll. Es ist, das wissen alle, sein letzter Tanz.
Ihren allerersten Olympia-Tanz absolviert hat hingegen eine junge deutsche Tischtennisspielerin – Annet Kaufmann aus Bietigheim-Bissingen, die eigentlich gar nicht zum Einsatz kommen sollte und zunächst nur als Eratzfrau vorgesehen war. Doch dann ist alles ganz anders gekommen. Bei Deutschlands bester Tischtennis-Spielerin Ying Han riss die Achillessehne. Annet Kaufmann rückte nach. Dann verletzte sich auch noch Nina Mittelham. Auf einmal stand Annet Kaufmann bei ihrer Olympia-Premiere im Mittelpunkt.
Die Chance, die sich ihr bietet, nutzt Annet Kaufmann konsequent. Beim 3:2-Sieg im Achtelfinale gegen die USA gewinnt sie beide Einzel. Beim 3:1-Sieg im Viertelfinale gegen Indien steuert sie erneut zwei Punkte bei. Von 14 Sätzen gewinnt sie 12. Welch eine Bilanz!
Der eine (Timo Boll) geht, die andere (Annet Kaufmann) kommt. In Paris vollzieht sich somit ein Generationenwechsel. Auf seinem Instagram-Profil teilt Timo Boll im Anschluss seinen rund 154.000 Followern mit, dass er sich „keine schönere Bühne für meinen internationalen Abschied (hätte vorstellen können) als meine siebten Olympischen Spiele“. Passend dazu postet er ein Foto von mir, welches direkt im Anschluss an das Spiel gegen Schweden entstanden ist. Welch eine Ehre für mich.
Benni Lau
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