MEIN MOMENT | Torschützenkönig in gleich drei Ländern
  08.11.2021


In der Serie MEIN MOMENT kommt in jeder Woche eine Person zu Wort, die im vergangenen Vierteljahrhundert einen besonderen sportlichen Moment erlebt hat. In der 45. Folge geht es um den Wasserballer Heiko Nossek, der inzwischen beim Landessportverband Baden-Württemberg als Referent für Leistungssport tätig ist.

Heiko Nosseks Rückblick

Zum Wasserball brachte mich mein Vater, als ich sieben Jahre alt war. Mit fünf spielte ich schon Fußball, und bis zum Alter von elf Jahren betrieb ich beide Sportarten parallel. Dann konzentrierte ich mich auf „Water Polo“, wie Wasserball international genannt wird. Mein Vater Ingulf war selbst Nationalspieler (125 Länderspiele), belegte mit der deutschen Mannschaft bei den Olympischen Spielen 1972 in München den vierten Platz und wurde dabei Torschützenkönig. Er war mein erster Trainer, einziges Idol und stets mein größter Förderer, verstarb jedoch 1999 nach einem Herzinfarkt bei einer Radtour mit seinen Schülern während eines Landschulheim-Aufenthalt mit nur 55 Jahren. Seine große Karriere hat mich immer beeindruckt, und so war es nicht weiter verwunderlich, dass auch ich für Deutschland spielen wollte.

Im Jahr 2000 war es schließlich soweit: Der damalige Bundestrainer Hagen Stamm berief mich zur EM-Qualifikation in Berlin in die Männer-Nationalmannschaft. Im Laufe der folgenden Jahre hielt ich meinem Heimatverein SSV Esslingen als Nationalspieler die Treue, obwohl er in dieser Zeit als „Fahrstuhlmannschaft“ immer in die Bundesliga auf- und wieder abstieg. 2003 wechselte ich zum damaligen Rivalen SV Cannstatt, mit dem ich um die Deutsche Meisterschaft spielen wollte. Ein Jahr später fanden in Athen die Olympischen Spiele statt, für die wir uns bei der Qualifikation in Rio qualifizieren konnten. In der Vorrunde gewannen wir gegen Griechenland (5:4), Ägypten (13:3) und Spanien (11:5), unterlagen gegen Italien (5:10) und trennten uns von Australien 6:6 – das bedeutete den zweiten Platz in der Gruppe B hinter Griechenland und vor Spanien sowie das Erreichen der Finalrunde. Hier verloren wir gegen Russland mit 5:12 Toren und standen im Spiel um Platz 5 wiederum Spanien gegenüber, das wir mit 6:4 erneut bezwangen.

Mit dem SV Cannstatt wurden wir 2006 nach einem 3:2 in den Best-of-Five-Finalspielen (8:9, 6:5, 9:10, 12:5, 9:8) gegen den Serienmeister Wasserfreunde Spandau 04 erstmals Deutscher Meister. Spandau hatte davor zwölf Jahre in Folge den Titel gewonnen und ist heute mit insgesamt 37 DM-Erfolgen und weitem Vorsprung Rekordmeister, der SC Rote Erde Hamm folgt mit elf Titeln auf dem zweiten Platz. In den Jahren 2005 und 2006 stellte der SVC mit sechs Nationalspielern den größten Vereinsblock im Nationalteam. Drei Wochen nach dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft zog der SV Cannstatt dann seine Mannschaft aus der Bundesliga zurück.

Bereits Mitte jener Saison habe ich mich dazu entschieden, den Schritt als Profi zu wagen und unterschrieb beim damaligen Griechischen Meister Ethnikos Piräus. Wir hatten dort eine sehr gute Mannschaft mit Spielern wie Denis Sefik und Christos Aphroudakis, und ich konnte dort direkt Torschützenkönig der griechischen Liga werden. 2007 kehrte ich nach Esslingen zurück, um mich auf die Olympischen Spiele in Peking vorzubereiten. In Peking wurden wir in der Gruppe mit zwei Siegen (6:5 gegen China, 8:7 gegen Italien), aber drei Niederlagen (Serbien 7:11, Kroatien 5:13, USA 7:8) lediglich Vierter und verloren in der Platzierungsrunde mit 9:13 gegen Griechenland, so dass wir schließlich um die Plätze 9 und 10 spielten. Hier hatten wir gegen Italien mit 8:10 Toren das Nachsehen und landeten im Schlussklassement auf Rang 10.

Nach Olympia erfüllte ich mir meinen Traum und wechselte in die italienische Profiliga. Dieser Traum kam schon sehr früh bei mir auf und war aufgrund der Tatsache, dass damals nur zwei Ausländer pro Team erlaubt waren, für einen deutscher Spieler sehr schwer zu erreichen. Davor waren lediglich Frank Otto und Dirk Schütze in Italien aktiv. Für dieses Ziel wurde ich anfangs stets belächelt, aber schlussendlich half es mir, mich beim Training zu motivieren und immer an die Grenze zu gehen. Rari Nantes Sori, ein Vorort von Genua, war meine erste Station, und ich fand auch dort eine sehr gute Mannschaft vor, die große Ziele hatte. Wir konnten dort im ersten Jahr direkt den Europapokal gewinnen, wurden in der Liga Fünfter, und ich wurde auch dort auf Anhieb Torschützenkönig. Im Sommer 2009 wurde ich für die Sommerliga auf Malta verpflichtet. Diese Liga ist wohl einzigartig, da dort in den Sommermonaten per Team zwei Ausländer verpflichtet werden können, um dann die ansässigen Vereine zu verstärken. Ich spielte dort für San Gjilian, und auch dort wollten wir die Meisterschaft gewinnen, scheiterten aber an den „Neptunes“, bei denen Spieler wie Vladimir Vjasinovic oder Tamas Molnar aktiv waren, beide höchstdekorierte Spieler im Weltwasserball.

Nach dieser Erfahrung unterschrieb ich für die Saison 2009/10 bei Rari Nantes Imperia, einer Stadt in der Nähe der französischen Grenze. Von 2010 bis 2012 spielte ich für Rari Nantes Bogliasco, wiederum einem kleinen Küstenort in der Nähe von Genua, mit dem wir das Halbfinale in der italienischen Liga erreichen konnten. „Rari Nantes“ bedeutet so viel wie „Schwimmverein“, und Ligurien ist die Wasserball-Hochburg in Italien. Diese Zeit in Italien, wohin mich meine Familie begleitete, war ein weiteres Highlight in meinem Leben – wir lebten dort, wo andere Urlaub machen, und wir haben die Lebensart der Italiener sehr zu schätzen gelernt. Auch die Tatsache, dass wir immer noch gute Kontakte dorthin pflegen, lässt uns immer wieder gerne zurückblicken.

In der Saison 2012/2013 kam ich zum SSV Esslingen zurück und wurde in dieser Spielzeit in der Deutschen Wasserball-Liga (DWL), wie die Bundesliga seit 1998 offiziell heißt, zum zweiten Mal Torschützenkönig. Außerdem wurde ich zum „Wasserballer des Jahres“ gewählt. 2017 beendete ich im Untertürkheimer Inselbad meine Länderspielkarriere – am 14. Februar, an diesem Tag wäre mein Vater 73 Jahre alt geworden und bestimmt stolz auf meine Karriere gewesen. Im Rahmen des Weltligaspiels zwischen Deutschland und der Slowakei (9:8 nach Fünfmeterschießen) verabschiedete mich in der Halbzeitpause Rainer Hoppe, der damalige Vorsitzende der Fachsparte Wasserball im Deutschen Schwimm-Verband, und in der vollbesetzten Traglufthalle waren auch zahlreiche meiner Wegbegleiter dabei. Das war ein bewegender Augenblick, aber alles hat seine Zeit, und ich bin einfach froh und glücklich, dass ich für Deutschland so lange spielen und dies alles erleben durfte. Immerhin nahm ich an zwei Olympischen Spielen teil, spielte bei fünf Weltmeisterschaften (einmal Sechster) und fünf Europameisterschaften (einmal Fünfter) für Deutschland und holte 2005 in der Weltliga eine Bronzemedaille.

Trotz aller internationalen Einsätze oder Engagements ist mein Lebensmittelpunkt nach wie vor Esslingen: Hier bin ich geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen, in die Realschule und in die Friedrich-Ebert-Schule, wo ich das Fachabitur ablegte. Später studierte ich an der Hochschule Ansbach „International Management“, ein Studiengang, der speziell für Spitzensportler konzipiert wurde. Von 2003 bis 2005 absolvierte ich beim Landessportverband Baden-Württemberg (LSVBW) eine Ausbildung zum Sport- und Fitness-Bürokaufmann und bin heute beim LSVBW Referent für Leistungssport. Dort bin ich mit meinen Kollegen aus dem Referat Leistungssport für die Betreuung der geförderten Sportarten verantwortlich und genieße die abwechslungsreiche Tätigkeit mit dem Bezug zum Leistungssport.

In Esslingen lebe ich mit meiner Familie, meine Frau spielte früher ebenfalls in der Wasserball-Bundesliga, eine Zeit lang in der Schweiz, und auch sie war Nationalspielerin. Mit Wasserball haben unsere drei Kinder allerdings nichts am Hut, sie spielen Tennis und Fußball. Dass mich meine Familie bei meinen Profistationen in Italien begleitet hat, war super und hat allen sehr gut gefallen. Heute fahren wir alle gerne Rad oder im Winter Ski, spielen Tennis oder wandern zusammen.

Nachdem ich meine aktive Laufbahn vor einem Jahr beendet habe, komm ich jetzt nur noch als Trainer der Bundesliga- sowie der U-18-Bundesliga-Wasserballer des SSV Esslingen ins Inselbad Untertürkheim. Der SSVE ist und bleibt meine Heimat, dort will ich mich auch in Zukunft noch engagieren. Ich habe dort den Wasserballsport erlernt, bin dort groß geworden, war Spieler und wurde zum Nationalspieler, war Kapitän, Co-Trainer und Trainer – und möchte meinem Verein einfach etwas zurückgeben. Deshalb kümmere ich mich um die sportlichen Geschicke, möchte die Tradition der vorbildlichen Jugendarbeit fortsetzen und ermöglichen, dass es die Eigengewächse in die Bundesliga schaffen.


Heiko Nossek ist in Esslingen geboren und bestritt von 2002 bis 2017 insgesamt 307 Länderspielen für die deutsche Wasserball-Nationalmannschaft, dabei erzielte er über 1.000 Tore. Der heute 39-Jährige kam im Alter von sieben Jahren zum Wasserball und wurde mit dem SV Cannstatt 2006 Deutscher Meister. Der Vater von drei Kindern spielte ein Jahr lang im griechischen Piräus und vier Jahre in Italien, ehe er zu seinem Heimatverein SSV Esslingen zurückkehrte. Der gelernte Sport- und Fitness-Bürokaufmann nahm an den Olympischen Spielen 2004 in Athen und 2008 in Peking sowie an fünf Welt- und fünf Europameisterschaften teil, holte 2005 die Bronzemedaille in der Weltliga, war 2013 „Wasserballer des Jahres“ und wurde – wohl einmalig – in drei Ländern Torschützenkönig: in Griechenland, Italien und zweimal in Deutschland. Beim Landessportverband Baden-Württemberg ist er Referent für Leistungssport für geförderte Sportarten.

[Fotos: Pressefoto Baumann]