MEIN MOMENT | Der wohl stärkste Stadtrat Deutschlands
  22.03.2021


In der Serie MEIN MOMENT kommt in jeder Woche eine Person zu Wort, die im vergangenen Vierteljahrhundert einen besonderen sportlichen Moment erlebt hat. In der zwölften Folge geht es um den Highlander Andreas Deuschle aus Nürtingen (Landkreis Esslingen).

Andreas Deuschles Rückblick

Ursprünglich war ich Leichtathlet, genauer gesagt Kugelstoßer. Hier wurde ich 1989 Deutscher Juniorenmeister und 1990 in Finnland Militärweltmeister. Da durfte ich mir durchaus Hoffnungen auf eine Olympia-Teilnahme 1992 in Barcelona machen – doch dann kam mir die Wiedervereinigung dazwischen. Die Athleten aus der ehemaligen DDR waren einfach besser, meine persönliche Bestleistung ist 19,17 Meter, doch der Weltrekord liegt aktuell bei 23,12 Metern – das sind einfach zwei Welten!

Weil mich Highland Games schon immer fasziniert haben, entschloss ich mich mit 40 Jahren, Baumstämme und Gewichte durch die Gegend zu werfen, und ich wurde ein Highlander. Die Highland Games stammen aus der Zeit der keltischen Könige in Schottland. Sie wurden ausgetragen, um die stärksten und schnellsten Männer Schottlands zu finden, die dann oft für den König Leibwächter und Boten oder Krieger wurden. Auch Frauen dürfen mittlerweile bei den Highland Games mitmachen. In diesem fast 1.000 Jahre alten Sport gibt es heute verschiedene Alters-, Gewichts- und Leistungsklassen, und die Disziplinen stellen hohe Anforderungen an Kraft und Technik.

Die Spiele sind Volksfeste für die ganze Gesellschaft und locken zum Teil Tausende von Touristen an. Die bekanntesten Highland Games, das Braemar Gathering, finden alljährlich Anfang September in Braemar statt und stehen unter der Schirmherrschaft von Königin Elisabeth II. Ihr traditioneller Sommersitz ist das nahegelegene Balmoral Castle, so dass sie oftmals persönlich anwesend ist. Die Urtümlichkeit der Spiele – u.a. treten die Akteure im Kilt an und Dudelsackmusik und traditionelle Tänze begleiten die Wettkämpfe – sorgt für eine ganz spezielle Atmosphäre und eine besondere Faszination.

Zunächst trainierte ich bei meinen Stammverein TG Nürtingen, doch weil meine Kollegen und ich mit unseren Wurfgeräten und Baumstämmen zu große Löcher in den Rasen das städtischen Stadions „Neckarau“ rissen, zogen wir vor drei Jahren „auf den Berg“, in den Nürtinger Stadtteil Hardt um, wo sich beim SV Hardt um mich herum eine Highlander-Gruppe im selbst angelegten Trainingsgelände etablierte.

Im Laufe der Zeit konnte ich mich gegen die starke Konkurrenz aus den USA, aus Schottland oder Japan immer besser behaupten, da mag auch meine eindrucksvolle Statur mit 1,93 Metern Körpergröße und über 150 Kilogramm Lebendgewicht durchaus eine Rolle gespielt haben. Insgesamt wurde ich sechs- oder siebenmal Deutscher Meister in der Master-Klasse, trat immer wieder auch als Veranstalter auf und organisierte in Nürtingen Highland Games.

Rückblickend war mein schönster Moment dann 2018 bei der Weltmeisterschaft in Stuttgart-Weilimdorf. Damals konnte ich mich gegen 20 Konkurrenten durchsetzen und endlich, endlich den Weltmeister-Titel in der Master-Klasse erringen, auf den ich so lange hingearbeitet habe – nachdem ich 2014 in Schottland Vize-Weltmeister geworden war. In Weilimdorf gewann ich sechs der acht Disziplinen und wurde zweimal Zweiter – das war am Ende überlegen der Titelgewinn!

Bei der WM werden die Ergebnisse folgender acht Disziplinen zusammengezählt: Steinstoßen (zwei unterschiedliche Gewichte), Hammerwerfen (2), Distance (2), Gewicht-Hochwurf („Cattle Bell“) und Baumstamm-Schleudern, das sogenannte Caber Toss. Die Baumstämme sind etwa 60 bis 70 Kilogramm schwer und fünf bis sechs Meter lang, und es ist gar nicht so einfach, sie zum Überschlagen zu bringen.

Im Sommer 2020 gelangen mir bei einer Veranstaltung in Hardt zwei Weltrekorde in der Altersklasse Masters 50 in den Wettbewerben „Open Stone“ (7,25 Kilogramm), wo ich 14,82 Meter weit stieß, mit dem „Braemar Stone“ (10 Kilo) kam ich auf 12,31 Meter. Härtester Konkurrent war der tschechische Topathlet Vladislav Tulacek, eine echte Rakete. Schade, dass wegen Corona keine Zuschauer dabei sein durften - es war eine tolle Atmosphäre.

Alle drei Jahre findet im schweizerischen Zug das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest statt. Dort habe ich 2016 und 2019 das Steinstoßen einarmig mit 40 Kilogramm gewonnen, 2019 war ich mit 51 Jahren zudem der älteste Teilnehmer. In der Schweiz ist der Sport extrem populär, es kommen oft an die 300.000 Zuschauer.

Allein von Einkünften als Highlander freilich kann man nicht leben. Als Soldat war ich in der Sportfördergruppe, danach habe ich bei Daimler Industriemechaniker gelernt und einen Halbtagesjob gehabt. Inzwischen bin ich als Versicherungsfachmann selbstständig und kann mir den Tag einteilen. Ich trainiere fünf bis sechs Mal die Woche mindestens zwei Stunden lang. Neben Beruf und Gemeinderat bleibt da nicht mehr viel Zeit übrig, meine Urlaube nutze ich deshalb eigentlich immer auch als Trainingslager. Da ich selbst eine Trainerlizenz habe, kenne ich mich auch mit der Theorie aus. Wenn ich mal einen Rat brauche, wende ich mich an Kugelstoß-Landestrainer Peter Salzer, der ja auch ein Nürtinger ist und bei dem ich zwei Jahre lang als Co-Trainer arbeitete.

Um die immensen Trainingsumfänge hinzubekommen, muss ich gut essen. In der Aufbauphase nehme ich 6.000 bis 7.000 Kalorien zu mir, vor allem Eiweiß. Schwein ist nicht so gut, also Fisch, Pute oder Rind. Hauptsächlich setze ich auf pflanzliches Eiweiß, beispielsweise aus Hülsenfrüchten, aber auch Eiweißpräparate. Der Muskelaufbau geht über Jahre, dazu braucht man viel Geduld. Bei mir in meinem Alter geht es eher darum, die Kraft zu erhalten. Da kann man nicht mehr viel Neues aufbauen. Ich bin ja froh, dass ich noch mit den Jungen mithalten kann.


Andreas Deuschle wurde in Kirchheim/Teck geboren. Er ist Kugelstoßer und seit 12 Jahren „Highlander“. 2014 wurde er als Mitglied der CDU-Fraktion in den Nürtinger Gemeinderat gewählt, 2019 erfolgte die Wiederwahl des vermutlich stärksten Stadtrats Deutschlands.

[Fotos: Pressefoto Baumann & privat]