MEIN MOMENT | Der Mann, auf den Löw und Klinsmann hören
18.10.2021
In der Serie MEIN MOMENT kommt in jeder Woche eine Person zu Wort, die im vergangenen Vierteljahrhundert einen besonderen sportlichen Moment erlebt hat. In der 42. Folge geht es um Roland Eitel, einen der einflussreichsten Menschen im deutschen Profi-Fußball.
Roland Eitels Rückblick
Die Weichen für meinen späteren beruflichen Einstieg ins Mediengeschäft wurden bereits in meiner Jugend und Juniorenzeit gestellt: Ich spielte beim FC Calmbach Fußball und kümmerte mich zugleich um die Pressearbeit – weil kein anderer da war oder einfach keiner Lust dazu hatte. Meine sportliche Laufbahn endete, als das Schreiben zu meinem Beruf, ja zu meiner Berufung werden sollte. Zuerst hatte ich eine Lehre zum Bankkaufmann absolviert, mit 21 Jahren erhielt ich dann die Chance zum Volontariat bei der Eßlinger Zeitung und so stieg ich „hauptberuflich“ ins Mediengeschäft ein. Als mein Volontariat zu Ende war, wurde ich vom Bechtle-Verlag als Redakteur übernommen und arbeitete zwei Jahre lang in der EZ-Sportredaktion. Anschließend ging ich zur Stuttgarter Zeitung ins Pressehaus Möhringen und war dort bis 1989 Sportredakteur und stellvertretender Sportchef.
Bis dahin nahezu „normal“. Als ich mich dann aber zum 1.1.1990 selbständig machte und die RE SportConsulting GmbH, ein Büro für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, eröffnete, saß ich quasi „auf der anderen Seite“ und versuchte, meinen ehemaligen Zeitungskollegen über meine „Kunden“ beziehungsweise deren Vorhaben zu informieren und deren Interessen zu vertreten. Meine ersten Rechnungen gingen damals 1990 im übrigen an Jürgen Klinsmann und Mercedes-Benz, beide bis heute wichtige „Kunden“ der Agentur.
Mit und über Jürgen Klinsmann hatte ich 1988 die Biographie „Der Weg nach oben“ geschrieben, die beim Consens Verlag in einer Auflage von 27.500 Exemplaren erschien und ein Verkaufsschlager wurde. Wir waren uns schon damals freundschaftlich verbunden, später wurde er einer meiner besten Freunde und Patenonkel meiner beiden Töchter. Von 1995 bis 1998 war ich Pressechef des VfB Stuttgart, mein erster Arbeitstag war der erste Arbeitstag des Co-Trainers Joachim Löw. Cheftrainer war Rolf Fringer. Nach dessen Rauswurf war Jogi Löw zwei erfolgreiche Jahre lang Cheftrainer der „Roten“, dann flog auch er. Ich begleitete die Arbeit von Joachim Löw bei mehreren Vereinen, ehe er 2004 Co-Trainer von Jürgen Klinsmann bei der Nationalmannschaft wurde und ihn 2006 als Bundestrainer „beerbte“.
Zurück zu Jürgen Klinsmann: Er legte 2000 in einem Sonderlehrgang des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) für ehemalige Nationalspieler seine Trainerlizenz ab. Als er, der Trainer-Neuling, die Idee hatte, Bundestrainer zu werden und das am 26. Juli 2004 auch wurde, begann für mich eine wahnsinnig intensive, lehrreiche und spannende Zeit, die für mich zwar unfassbar anstrengend und sehr lehrreich war, uns alle aber richtig eng zusammengeschweißt hat. Plötzlich war ich mittendrin von normalen Fußball-Trainern in einem der gigantischsten Projekte, die der Fußball bietet. WM im eigenen Lande, als Berater und Vermarkter für einen meinungsstarken und reformbereiten Bundestrainer, auch für seinen Co-Trainer, zudem ganz eng verbunden mit dem Hauptsponsor (Mercedes) der Nationalmannschaft – und mit einem sehr engen Verhältnis zum DFB, weil ich ja dessen Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder aus seiner Zeit als VfB-Präsident sehr gut kannte.
Jürgens Charisma und sein unerschütterlicher, mitreißender Optimismus haben sehr viel bewegt. Von Anfang an setzte man fast alles auf die Karte Heimvorteil (Klinsmann: „Nur das hebt uns ab von allen anderen Teams“), und er betonte auch der Mannschaft gegenüber immer wieder, dass sie durch den Heimvorteil Großes schaffen könne. „Eine WM im eigenen Land erlebt von uns keiner mehr, auch die nachfolgenden Spielergenerationen nicht.“ Um diesen Heimvorteil zu nutzen, war aber auch eine Änderung des Spielstils notwendig und auch eine Veränderung im Auftreten. Bis dahin zeichneten sich deutsche Mannschaften eher durch einen abwartenden Spielstil aus. „Da wird der Heimvorteil zum Heimnachteil, weil die Leute mit großen Erwartungen ins Stadion kommen und nach zehn Minuten pfeifen, da nichts passiert.“ Deshalb nominierte er Typen, die schnell nach vorne spielten und nicht hinten vor der Abwehr quer-quer.
Dazu gehörte auch die Wahl des Quartiers. Bis dahin wohnte die deutsche Mannschaft immer in Gegenden, wo – außer in dem Hotel – weit und breit kein Mensch gewohnt hat. Für die WM hatte der DFB schon geplant, das Team in Bergisch-Gladbach (Hotel) und Leverkusen (Training) vier Wochen lang unterzubringen. Aber Jürgen Klinsmann setzte seine Ideen gegen alle Widerstände durch. „Wir müssen in die Hauptstadt“, sagte er. „dort herrscht WM-Feeling, dort spüren auch die Spieler die WM-Stimmung, und sie können mal raus ins Kino oder so.“ Zudem finde dort das Endspiel statt und man müsse immer wieder am Olympiastadion vorbeifahren. Er wollte der Welt auch bei jedem Training im Hintergrund nicht Leverkusen mit dem Bayerkreuz zeigen, sondern eine große moderne Stadt, „unsere Hauptstadt“.
So geschah’s denn auch, und am Ende des „Sommermärchens“ wurde das deutsche Team Dritter. Jürgen Klinsmann trat zurück – auch weil in dem Reformprozess zu viel Energie verbraucht wurde –, sein Co-Trainer Joachim Löw übernahm und wurde bekanntlich 2014 in Brasilien Weltmeister! Die später aufgekommenen Schatten zum „Sommermärchen“ sind nachgeordnet gegenüber all dem, was bewegt wurde, und durch den ganzen Optimismus! Zu den Schatten des Sommermärchens habe ich aus meiner Sicht und aus der Bedeutung meiner Arbeit ohnehin eine eigene Meinung: Wenn ich zu einer Hochzeit eingeladen werde und ein Drei-Sterne-Koch kocht, Bryan Adams spielt live, Günter Jauch moderiert, es den besten Wein gibt – dann genieße ich das. Und wenn sich drei Jahre später rausstellt, dass die Hochzeit eigentlich im „Hirsch“ anstatt im „Ochsen“ hätte stattfinden müssen, der Brautvater aufgrund seiner Beziehung zum Gastronomen aber anders entschieden hat – dann lasse ich mir meine Freude nicht nehmen, beziehungsweise ich kann es ohnehin nicht mehr ändern.
Für mich bedeuteten diese aufregenden zwei Jahre von 2004 bis 2006, dass bis 16 Uhr alles bei mir im Büro landete, weil Jürgen in Los Angeles lebte. Wenn er um 16 Uhr aufwachte, ging die Umsetzung los. Er plante, entfachte ein Feuer – und am Ende gingen nahezu alle Pläne und Ideen tatsächlich auf! Er riss einfach alle Beteiligten mit, sie folgten ihm nahezu bedingungslos!
Wenn man die Herangehensweise der beiden Trainer ins Medizinische übertragen würde, könnte man sagen, dass Jürgen Klinsmann ein Weltklasse-Heilpraktiker, Joachim Löw hingegen ein Weltklasse-Chirurg ist. Klinsmann hat einen homöopathischen Ansatz, er sieht alles ganzheitlich. Jogi hat den Ansatz: „Gib mir genügend Zeit zum Training, und ich kann die Fehler beseitigen.“ Jürgen Klinsmann kann mit seinem Optimismus und seiner Art jede Mannschaft aufrichten, die am Boden liegt, Jogi aus jeder guten Mannschaft nochmal 15 Prozent rausholen. Selbst bei Hertha BSC hat Jürgen Klinsmann heute noch den besten Punkteschnitt der Trainer der vergangenen Jahre.
Es gibt viele Menschen, die mich „Strippenzieher“ nennen, andere hielten mich eher für „Löws Schattenmann“. Doch ich war nie ein Spielervermittler oder Makler, ich war eigentlich immer nur ein Berater für alles, was in der Öffentlichkeit passiert. Ich versuchte und versuche stets, die Innensicht dieser „Klienten“ mit meiner Außensicht zu kombinieren. Dazu zählt zum Beispiel, meine Klienten mit Informationen zu versorgen und Termine zu koordinieren, aber natürlich auch Einschätzungen vorzunehmen. Ich habe insbesondere von 2004 bis 2006 schnell gelernt, dass Medienarbeit bei einem solchen Projekt einer WM im eigenen Lande nicht das Allerwichtigste ist für einen Trainer, sondern in der Prioritätenliste weiter hinten steht. Und deshalb ist es immer wichtig, bei dieser Medienarbeit konzentriert die Dinge auf den Punkt zu bringen. Die Arbeit war vor allem auch deshalb notwendig, weil ein Trainer bei einem solchen Turnier tausende von Entscheidungen treffen muss – und die Informationen über die Außenwelt und die Einschätzung dazu kurz und knackig kriegen muss. „Wie kommt es an, wenn wir das Quartier wie oben beschrieben jetzt noch wechseln“ – solche Fragen kommen da auf. Aber: Authenzität und Glaubwürdigkeit sind entscheidende Bausteine für die Darstellung nach außen.
Als Medienberater bist Du aber auch ein Krisenmanager. Wenige Monate vor der Heim-WM 2006 ätzte etwa der damalige „Focus“-Chefredakteur Helmut Markwort gegen Bundestrainer Jürgen Klinsmann: „Gewaltige Erwartungen – aber die besten Fußballspieler des Landes werden einem Träumer überlassen, einem Einzelgänger, der mehr Guru ist als Stratege, der erfahrene Spieler wegmobbt und junge verunsichert.“ Guru, Einzelgänger, wegmobbt, verunsichert – wie reagiert man da? Soll es der Bundestrainer überhaupt lesen kurz vor der WM? Wer soll es lesen? Wie reagiert man dem Focus gegenüber? Karl Valentin-Taktik, die lautet: „Nicht mal ignorieren“?
Ein paar Wochen später hat auch der Bundestrainer mit seiner Arbeit und seiner Art einen großen Teil dazu beigetragen, dass man das Gefühl hatte, Deutschland habe sich komplett verändert, vor allem das Deutschland-Bild im Ausland hatte sich erheblich verändert. Aber klar: Helmut Markwort halte ich seither nicht mehr für besonders kompetent, zumal er sich ja auch nie entschuldigt hat. Aber so was erlebt man insbesondere in Deutschland und speziell im Schwabenland auch immer wieder, wo man eigenen Leuten eigentlich immer weniger zutraut als anderen. Aber das ist eine eigene Geschichte.
Sehr bewegt hat mich 2018 die Produktion eines Sonderheftes von „Trott-war“ für die WM in Russland. Der Verein Trott-war e. V. wurde 1994 von sozial engagierten Journalisten und Privatleuten in Stuttgart gegründet. Von Anfang an waren Ziel und Vereinszweck und damit Mittelpunkt von Trott-war die Arbeit für und mit sozial Benachteiligten. Grundsatz ist die Beteiligung der Betroffenen. Damit wird ihnen die Verantwortung für ihr Leben zurückgegeben. Sie treffen künftig selbst die dafür notwendigen Entscheidungen. Für diese Sonderausgabe des Stadtmagazins, das von freundlichen Frauen und Männern in den markanten roten Westen verkauft wird und ihnen eine Perspektive bietet, weil sie die Hälfte des Verkaufspreises erhalten, habe ich mein ganzes Netzwerk eingebracht und Gastkommentare vieler Berühmtheiten eingeholt. Die andere Hälfte des Heftes behandelte die Obdachlosen-EM in Graz. Die Arbeit zu dieser Ausgabe war brutal intensiv, hat mich aber auch wahnsinnig weitergebracht, weil die Zusammenarbeit mit den Obdachlosen so anrührend und fordernd war! Und vor allem auch lehrreich. Kleines Beispiel zum Abschluss gefällig? Man redet immer von sozial schwachen Menschen. Diese Menschen sind aber nicht sozial schwach, sondern wirtschaftlich schwach. Und wirtschaftlich schwache Menschen sind sozial oft stärker als wirtschaftlich starke Menschen.
Roland Eitel kam in Bad Wildbad zur Welt und wuchs dort im Ortsteil Calmbach auf. Nach Mittlerer Reife und Höherer Handelsschule absolvierte er eine Banklehre. 1979 begann seine Journalistenlaufbahn bei der Eßlinger Zeitung. Später arbeitete er als Redakteur und stellvertretender Sport-Chef bei der Stuttgarter Zeitung, ehe er sich 1989 mit einem Büro für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit als Medienberater selbständig machte. Erste Klienten waren Mercedes und der damalige VfB-Stürmer Jürgen Klinsmann. Von 1995 bis 1998 war Roland Eitel Pressechef des VfB Stuttgart. Im Laufe der Jahre betreute er dann auch Joachim Löw, Mesut Özil, Bruno Labbadia, Mario Götze und Thomas Schneider. Er ist zudem von Anfang an (1991) ganz eng verbunden mit dem Mercedes-Benz JuniorCup in Sindelfingen, dem wohl weltbesten U19-Turnier. Der Schwarzwälder wohnt seit 1990 in Ludwigsburg, ist verheiratet, hat zwei Töchter – deren Patenonkel Jürgen Klinsmann ist – und zwei Enkel. Seine Hobbys: Reisen und Radfahren.
[Fotos: Pressefoto Baumann (3) & IMAGO / Schüler]