MEIN MOMENT | Erfolgreich in zweiter Generation
  14.06.2021


In der Serie MEIN MOMENT kommt in jeder Woche eine Person zu Wort, die im vergangenen Vierteljahrhundert einen besonderen sportlichen Moment erlebt hat. In der 24. Folge geht es um die Sportschützin Julia Hochmuth, deren Eltern bereits international erfolgreich waren.

Julia Hochmuths Rückblick

Meine Eltern waren Hochleistungssportler – in der ehemaligen DDR-Nationalmannschaft Sportschießen – und beide selbst noch aktiv, als ich 1987 in Suhl zur Welt kam. Mir wurde das Schießen also mehr oder weniger „in die Wiege gelegt“ und so war es wenig überraschend, dass auch ich die Liebe zu dieser Sportart entdeckt habe. Im Alter von acht Jahren begann ich zunächst mit dem Luftgewehr und trat damit in die Fußstapfen meiner Mutter. Jedoch fand ich hier nicht so richtig Gefallen und entschied mich nach vier Wochen, lieber Luftpistole schießen zu wollen – das wiederum war die Disziplin meines Vaters. Eigentlich noch viel zu jung, erhielt ich eine behördliche Sondergenehmigung, und weil ich eigentlich körperlich noch viel zu schwach war, fanden meine Eltern auch hierfür eine Lösung. Durch eine Schlinge an der Decke, in die ich die Pistole reinlegen konnte, musste ich nicht das ganze Gewicht halten und konnte trainieren. Das ist nun 25 Jahre her. Die Schlinge gibt es nicht mehr, und auch die kindgerechte, sehr leichte Pistole ist inzwischen gegen eine „richtige“ getauscht worden – doch die Liebe zum Sport, die ist noch genauso da wie damals.

Der Schießsport verlangt allerhöchste Konzentration, Körper- und Gedankenbeherrschung. Es kommt nicht darauf an, wer der Schnellste oder Stärkste ist oder wer am weitesten springen kann, auch bin ich nicht auf Mitspieler angewiesen. In meinem Sport bin ich selbst mein einzig wirklicher Mitspieler – und manchmal auch Gegner. Dies macht für mich die Faszination meiner Sportart aus. Das Ziel ist zehn Meter entfernt. Geschossen wird auf eine Zielscheibe, unterteilt in zehn Ringe. Ziel ist es, möglichst oft den Mittelpunkt zu treffen – die „Zehn“. Diese hat einen Durchmesser von 11,5 Millimetern und ist damit kleiner als eine Ein-Cent-Münze. Beim Pistolenschießen muss ein- und freihändig geschossen werden, das heißt, ohne Abstützen des Körpers oder des Schießarms und mit einer Hand. Spätestens jetzt wird es schon etwas wackelig. Das Sportgerät in meiner Disziplin nennt sich Luftpistole und wird mit 4,5 Millimeter großen Diabolos geschossen – aus Blei gegossene Formen. Das Gewicht meiner Luftpistole ist ziemlich genau ein Kilogramm.

Im Jahr 2003 qualifizierte ich mich für meine erste Europameisterschaft und schaffte damit auch den Sprung in die Junioren-Nationalmannschaft. Seit 2004, im Alter von 16 Jahren, trete ich mit meinem Heimatverein Schützengilde (SGi) Ludwigsburg in der Bundesliga an. Der Sport dominiert schon immer mein Leben: Bis zu sieben Schießtrainingseinheiten pro Woche, dazu Lauf- und Krafttraining sowie Mentaltraining waren und sind Programm. Das spiegelt sich auch in Erfolgen wider: 2003, 2005, 2006, 2007, 2017 und 2020 startete ich bei Europameisterschaften, stand dabei dreimal im Einzel-Finale und gewann fünf Mannschaftsmedaillen. 2019 qualifizierte ich mich für die zweiten European Games in Minsk (Weißrussland). In der Weltrangliste stehe ich aktuell auf dem 31. Platz, in der Europarangliste auf Platz 23.

Während meines Studiums nahm ich an drei Sommer-Universiaden teil: 2011 in Shenzhen (China), 2013 in Kasan (Russland) und 2015 in Gwangju (Südkorea) – die Universiade in Kasan war mit 11.800 Aktiven aus 159 Ländern übrigens die bisher größte. An der Eberhard Karls Universität Tübingen studierte ich Sportmanagement im Bachelor-Studiengang und absolvierte anschließend den Master in General Management (BWL). Darüber hinaus engagiere ich mich beim Allgemeinen Deutschen Hochschulsportverband und wurde 2015 Disziplinchefin Pistole. Bei meinen Teilnahmen an Universiaden und Studierenden-Weltmeisterschaften durfte ich unvergessliche Momente erleben, die mich sowohl als Sportlerin sowie als Mensch geprägt haben und ein Leben lang begleiten werden. Dies wollte ich auch jungen Sportlerinnen und Sportlern nach mir ermöglichen, weshalb habe ich sozusagen „die Seite gewechselt“ und bekam somit einen Einblick in die Tätigkeit eines Sportfunktionärs.

Noch während meines Studiums begann ich als Studentische Hilfskraft am Institut für Sportwissenschaft zu arbeiten, was Ende 2013 in eine Anstellung als Wissenschaftliche Mitarbeiterin überging. Nach dieser Zeit machte ich Station in der Geschäftsstelle des Württembergischen Schützenverbandes und zeichnete hier für zwei Jahre verantwortlich als Referentin für Öffentlichkeitsarbeit und Marketing. Im Dezember 2020 verließ ich beruflich den Sport und wurde Assistentin der Geschäftsleitung bei der ACP IT Solutions GmbH, einer IT-Firma in Leinfelden-Echterdingen.

Der bisher emotionalste Moment in meiner Karriere war der Gewinn der Deutschen Mannschaftsmeisterschaft mit der SGi Ludwigsburg in der Saison 2018/2019 in der Bundesliga. Die Schützengilde gehört zu den Gründungsmitgliedern der Bundesliga und ist seit deren Bestehen 1997 erstklassig unterwegs. Viele Jahre haben wir auf das eine Ziel hingearbeitet: Deutscher Mannschaftsmeister. Nach einem Vizemeistertitel und drei dritten Plätzen aus den vergangenen Jahren war der Traum groß, ganz oben zu stehen. Wir schossen zwei herausragende Saisons und an jenem Tag im Februar 2019 war es so weit, wir standen im Gold-Finale gegen die Braunschweiger SG. Nach einem sensationellen 4:1-Sieg stand fest: Wir hatten es geschafft. Ein unbeschreiblicher Moment. Mein Moment.

In der Bundesliga besteht eine Mannschaft aus fünf Schützen, die anhand der Setzliste aufgrund der Ergebnisse vorangegangener Wettkämpfe ihre entsprechende Position haben. Im Mann-gegen-Mann-Modus hat jeder Sportler einen direkten Kontrahenten der gegnerischen Mannschaft. Weder das Geschlecht noch die sonst im Deutschen Schützenbund übliche Einteilung in Altersklassen spielen dabei eine Rolle. Pro Mannschaft darf ein ausländischer Schütze eingesetzt werden. Somit ist die Bundesliga auch international stark gefragt. Der Wettkampf besteht aus 40 Schüssen in 50 Minuten. Die zehn Sportler schießen gleichzeitig. Am Ende wird mein Ergebnis mit dem meines Kontrahenten verglichen. Der bessere gewinnt einen Einzelpunkt. Drei Punkte braucht die Mannschaft für einen Sieg. Bei Ringgleichheit wird ein Shoot-Off (Stechen) geschossen, denn Unentschieden gibt es bei uns nicht. Das internationale Wettkampfprogramm besteht aus 60 Schüssen in 75 Minuten. Bei der EM Anfang März 2020 im polnischen Wroclaw (Breslau) gewannen Andrea Heckner, Monika Karsch und ich nach einem 17:11 im Finale gegen Italien die Bronzemedaille im Teamwettbewerb.

Leider hatte ich in den letzten Jahren mit einigen körperlichen Problemen zu kämpfen, ein Bandscheibenvorfall machte im Juli 2020 sogar eine Operation an der Halswirbelsäule nötig, eindeutig zurückzuführen auf die sportliche Belastung der letzten zwei Jahrzehnte. Insgesamt erlebte ich aber in meiner sportlichen Laufbahn sehr viele schöne Momente, denn jedes internationale Finale oder jede internationale Medaille (15 Starts mit drei Finalteilnahmen), jeder nationale Wettkampf brachten mir beeindruckende, emotionale und unvergessliche Erlebnisse. Ein großes sportliches Ziel bleibt jedoch: Der Traum von den Olympischen Spielen!


Julia Hochmuth wohnt in Bietigheim. Die Pistolenschützin ist Mitglied der Schützengilde Ludwigsburg, mit der sie 2019 die Bundesliga gewann und Deutsche Mannschaftsmeisterin wurde. 2011, 2013 und 2015 nahm die Assistentin der Geschäftsleitung von der ACP IT Solutions GmbH, einer IT-Firma in Leinfelden, an den Universiaden in Shenzhen (China), Kasan (Russland) und Gwangju (Südkorea) teil. Die Rechtshänderin nennt als Hobbys Fotografieren, Laufen und Bouldern.

[Fotos: Pressefoto Baumann]